Ein Dach über alle

Reformierte und Freikirchen in der Schweiz sollen zusammengehen

Der Basler Allianzpräsident Hans Corrodi hat in einer Broschüre zum vertieften Gespräch zwischen evangelischen Landes- und Freikirchen aufgerufen. Es soll zur Bildung eines Dachs führen, unter dem alle Evangelischen der Schweiz Platz finden.
Nüchterner Visionär aus Basel: Hans Corrodi
Schritte der Versöhnung: Ein Mennonit betet am Begegnungstag mit den Reformierten im Zürcher Grossmünster.
Fahnenträger Füreinander beten… …miteinander hören…
…gemeinsam handeln: Am Christustag in Basel
Tribüne

Für Abgrenzung, Rechthaberei und Geringschätzung des Anderen ist die Zeit abgelaufen, findet Hans Corrodi. Er geht aus vom Auftrag, den Jesus allen Christen gegeben hat, und dem Gebot, dass sie einander lieben und miteinander handeln sollen. Werden die evangelischen Kirchen der Schweiz „das ihnen aufgetragene Werk gemeinsamer tun, oder gedenken sie in Eigensinn und Selbstprofilierung zu verharren?“

Corrodi braucht ein Bild: Die Apostel hätten im ersten Jahrhundert ein Kirchendach gespannt; ihre Nachfolger in der Kirchengeschichte hätten sich mehr oder weniger darum bemüht. Nun sind die Evangelischen der Schweiz gefragt, ob sie das Gemeinsame sehen und „Dachdecker“ sein wollen – oder ob sie über ihrem Zimmer eine Plache aufspannen, um den Regen fernzuhalten.

Der Kairos

Der Basler Allianzmann, der jahrelang Mitglied der reformierten Kirchenleitung in Basel war, sucht „den Willen zu einem engeren innerevangelischen Miteinander stärken“. Sieben Ereignisse, die in dichter Folge im ersten Halbjahr 2004 geschahen, lassen ihn glauben, dass Gott jetzt, zu diesem Zeitpunkt (griechisch: Kairos) etwas Besonderes tun will.

Die sieben sind: die Verteilzeitung „4telstunde für Jesus“ der Schweizerischen Evangelischen Allianz, das grosse Treffen deutschsprachiger Kommunitäten in Stuttgart, der Papstbesuch, der Christustag in Basel, der Begegnungstag der Zürcher refomierten Kirche mit den Täufern, die erste Missionssynode von mission 21 und die Reformationsjubiläen (Ökolampad in Basel, Bullinger im Aargau und in Zürich).

Die Vision

Dann skizziert Corrodi eine Vision, die offenbar nicht nur ihn umtreibt: „Eine ekklesiale Conföderation als Bundes-Dach der evangelischen Kirchen, gespannt über alle Freikirchen und Landeskirchen, welche das zulassen.“ Vorbild für diese Conföderation ist für den Autor der Bund der Eidgenossen.

Corrodi macht deutlich, wieviel die Schweiz trotz allen Unzulänglichkeiten von dieser Staatsstruktur profitiert: Eigenständigkeit für kleine Einheiten, ohne dass das Ganze preisgegeben wird. „Im Politischen wird schweizerische Identität in den 26 Kantonen verschieden gelebt.“

Wo ein Wille ist…

Wenn die Schweizer eine Willensnation sind, ist auch seitens der Kirchen Wille gefragt, “der Wille der in dieser Nation angesiedelten evangelischen Kirchen und Missionswerke für ein Kirchendach, das dem einen Leibe Christi als Einheit Rechnung trägt.“ Mit „definierter Autonomie, Freude an der Vielfalt und Sorgfalt fürs Ganze“.

Hier meldet sich laut Corrodi die Machtfrage. Reformierte wollen ihr Landeskirchen-Prestige nicht durch Kontakte mit „Stündelern“ aufs Spiel setzen; Freikirchler nicht „mit Ungläubigen am gleichen Strick ziehen“.

…steht doch Machtdenken im Weg

Im längsten Kapitel seiner 58-seitigen Schrift, die auch als pdf-Dokument erhältlich ist, thematisiert der Basler Allianzvorsitzende den Umgang mit Macht bei den Reformierten und in den Freikirchen (ihr Verbandsvorsitzender Max Schläpfer sucht sie bekanntlich als dritte Kraft in der nationalen Kirchenszene zu profilieren).

Im Rückgriff auf Zwinglis Entschluss, mit der Staatsmacht zu paktieren und die Täufer zu verfolgen, fragt Corrodi, wozu die Landeskirchen heute bereit sind. Bei Freikirchen vermutet er anderseits „verdeckte Gewalt in Bezug auf unterdrückte Rechenschaftsablage – geistlich verbrämt“. Sein Ziel: transparenter Umgang mit Macht.

Erste Schritte

Konkret denkt Corrodi an eine Anwendung und Anpassung der Leuenberger Konkordie (Übereinkunft), in der sich vor 30 Jahren die evangelischen Grosskirchen Europas, Waldenser und Böhmische Brüder verbanden.

Ob nun die Freikirchen dem SEK beitreten oder mit ihm etwas Neues gestalten: „Sowohl eine Erweiterung wie eine Neuschöpfung (der Leuenberger Konkordie; Red.) wären ein Quantensprung. Das würde den staatlich anerkannten kirchlichen Körperschaften ein demütiges Herabsteigen und Machtteilen abverlangen, den Freikirchen aber die Bereitschaft für ein stärkeres Eingebunden-Werden.“

Gemeinsames Profil

Wollen sie dies, verliert zwar die einzelne Freikirche laut Corrodi an Profil (bisher oft mit dem Sektenvorwurf verknüpft!), aber das Ganze wird gestärkt. Auf eine Phase des Studiums der verschiedenen kirchlichen Prägungen könnte nach der Broschüre eine Mediation folgen.

Und dann erst inhaltliche Diskussionen. Corrodi warnt davor, vor der Arbeit für die Einheit die Hände zu lassen mit dem Hinweis, sie müsse von oben geschenkt werden. Durchgängig bringt er sowohl landeskirchliche wie freikirchliche Einstellungen, Prägungen und Vorbehalte aufs Tapet, um sie im Widerspiel zu relativieren.

Ermutigen! – und Traditionen weglegen

Der Basler Allianzpraktiker wünscht sich „eine Kultur gegenseitiger Ermutigung“, die die Einseitigkeiten und Schwächen der einzelnen Kirchen mildert. Er schlägt vor, „dass wir aufhören, uns gegenseitig den richtigen Glauben zu- und abzusprechen, stattdessen das Urteil dem Höchsten zu überlassen.“

Auch in der Gottesdienst-Praxis müsse sorgfältig und demütig nach guten liturgischen Formen – die sehr wohl jenseits des bisherigen Brauchs liegen könnten – gesucht werden. Die Broschüre ist durchsetzt von knappen, oft spitzen Sätzen wie diesem: „Was wir heute brauchen, sind nicht Nostalgiker, sondern christliche Musiker und Kantoren als Trendsetter und heilige Leute.“

Bekennen statt vernünfteln

Hans Corrodi leitete einst das VBG-Ferien- und Studienzentrum Casa Moscia; seither engagiert er sich in der Basler reformierten Landeskirche. Er lädt die Kirchen ein, neu zu betonen, dass das „ewige Evangelium von der Erschaffung des Universums und der Menschenwerdung Christi“ ein Geheimnis ist und entsprechend bekannt werden soll.

Die Kirchen sollen miteinander das altchristliche Glaubensbekenntnis Apostolikum annehmen – der Schweizer Protestantismus täte gut daran, sich zu „verabschieden von seiner aufklärerischen Wissenschafts- und Vernunftgläubigkeit“.

Einander annehmen

Was niemand sich noch vorstellen mag, formuliert der Allianzmann vom Rheinknie, wo die Landeskirche in die Minderheit geraten ist: „Die Conföderation wird ein Kirchendach spannen über Kirchen mit Kindertaufe und Glaubenstaufe, mit einem sakramental verfassten Pfarrerstand und einem offeneren Ältestenamt.“ Wie einst Paulus, der radikal Bekehrte, und Timotheus, dem der Glaube durch die Erziehung geschenkt wurde, sollen verschiedene Christen einander akzeptieren.

Wenn die reformierten Kirchen, statt den Alphalive-Kurs als ‚freikirchlich’ abzuqualifizieren, beginnen, mit evangelistisch tätigen Bewegungen enger zusammenzuarbeiten, wird die Stimme des Glaubens in der Gesellschaft deutlicher zu vernehmen sein, meint Corrodi. Und die Evangelischen könnten eine neue Chance erhalten, die verschiedenen Sphären des Lebens mit dem Glauben an den dreieinen Gott zu durchdringen. Der Schweiz würde es gut tun.

Forum: Ihre Meinung zu diesem Artikel

Hans Corrodi-Senn:
Aufbruch wohin – Event oder Kairos
Ein Dach für die Evangelischen der Schweiz auf der Grundlage des Apostolikums
Werkstatt Glauben und Denken, Basel, August 2004

PDF-Download: www.livenet.ch/download/Aufbruch.pdf

Datum: 04.11.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

Publireportage
Werbung
Livenet Service
Werbung