Am Vorabend des 1. August: In den Kantonen für die Schweiz beten

In diesem Jahr findet der nationale Gebetstag schweizweit in den Kantonshauptstädten statt - und schon am 31. Juli. Die Veranstalter laden die Beterinnen und Beter zu Versammlungen ein, an denen geistliche Tore und Mauern wieder aufgebaut werden sollen.
Gott in der Schweiz die Ehre geben: Am Nationalen Gebetstag 2007 auf der Berner Allmend.
Logo des Gebetstages 2008
„Machet den zun nit zu wit!“ Der Beter Niklaus von Flüe wies 1481 die machthungrigen Eidgenossen in die Schranken.
Prof. Dr. Thomas Maissen

Die Schweiz scheint erschüttert. Die Veranstalter des nationalen Gebetstages sehen bedrohliche „antigöttliche Strömungen" am Werk. Diese liessen „die Fundamente der Schweiz erzittern" und drohten die darauf erstellten Mauern „zum Einsturz zu bringen", schreiben sie in der Einladung zum 31. Juli.

Stück für Stück

Der Aufruf des jüdischen Reformators Nehemia „Lasst uns die Mauern wieder aufbauen!" zielte vor bald 2500 Jahren auf die Reparatur der Stadtmauer von Jerusalem ab. Das Netzwerk um ‚Gebet für die Schweiz‘, das den Gebetstag veranstaltet, will „durch das Gebet die Tore und Mauern in den Kantonshauptstädten wieder aufbauen, genau wie bei Nehemia, als jede Gruppierung für den Wiederaufbau des nächstliegenden Abschnitts zuständig war (siehe Nehemia 3)."

Schutz aufbauen

Der Aufbau der Jerusalemer Mauer, der unter Nehemia gelang, steht laut dem Gebetsnetzwerk als Bild dafür, „dass durch das Gebet in allen Kantonen ein Schutz rund um unser Land aufgebaut wird. Indem wir als einzelne Kantone und doch in Einheit zusammen stehen, setzen wir ein Zeichen, dass Gottes Ehre in unserem Land in allen Regionen und Gesellschaftsbereichen wiederhergestellt werden soll."

Kantone entscheiden

Der Gebetstag wurde bereits 1992 und 2000 in den Kantonen durchgeführt. Diese Versammlungsweise macht auch deshalb Sinn, weil religiöse Fragen Kantonssache sind - der Bund hat kein Religionsministerium. Dies wiederum weist auf die bewegte Geschichte der Eidgenossenschaft zurück, in welcher sich katholische und protestantische Orte irgendwie arrangieren mussten. Zwingli wollte die Innerschweizer reformieren, damit die religiöse Einheit der Eidgenossenschaft wiederhergestellt würde. Dies führte 1531 zur Schlacht von Kappel, in der der Zürcher Reformator umkam.

Gespaltenes ‚Volk Gottes'

Wie der Historiker Thomas Maissen in der NZZ (5. Juli 2008) schreibt, „respektierte der anschliessende Landfriede die religiöse Autonomie der mächtigen reformierten Stadtkantone. Wegen der konfessionellen Spaltung waren die Eidgenossen nun aber kein ‚Volk Gottes' mehr, und so konnte die Staatsbildung - wofür das obrigkeitliche Kirchenregiment unabdingbar war - in der Schweiz bis 1798 nur in den einzelnen Kantonen erfolgen, nicht auf gesamteidgenössischer Ebene."

Konflikte und Kriege

Die Bundeseide konnten nicht mehr gemeinsam beschworen werden, weil die Reformierten den Appell an die Heiligen verweigerten. Einen prekären gemeinsamen Nenner hatten die Orte in der Ausbeutung ihrer abwechselnd gevogteten Untertanengebiete. Für konfessionell gemischte Gebiete (Thurgau, Glarus) mussten spezielle Regelungen getroffen werden; im Bündnerland suchten sich die souveränen Gerichtsgemeinden ihren Glauben aus. Appenzell spaltete sich 1597 entlang der konfessionellen Bruchlinie. Es ging auch später nicht ohne Waffengänge ab. Nach dem zweiten Villmergerkrieg 1712 entschied nicht mehr die (katholische) Mehrheit der Orte, sondern die Stimmen der beiden Konfessionsparteien wogen gleich schwer.

„Gerechter Krieg" gegen Gewissensfreiheit

Im Zeitalter der Aufklärung nahmen Eidgenossen wieder mehr das Verbindende in den Blick: Laut Maissen entwickelte der Zürcher Johann Jacob Scheuchzer den Alpenmythos und bewunderte mit anderen Reformierten die Innerschweizer Hirtendemokratie. Die Helvetische Gesellschaft, 1762 gegründet, war überkonfessionell. Doch erinnert der Historiker daran, dass traditionsverhaftete Katholiken, als 1798 die Helvetische Republik die Gewissens- und Kultusfreiheit proklamierte, zum „gerechten Krieg" gegen die Glaubensfeinde aufriefen. Die Anhänger der Helvetik galten ihnen als „Zürcher", als Ketzer.

CH erst 1848

So kennt die Schweiz, 1848 vom Staatenbund zum Bundesstaat, zur Confoederatio Helvetica CH umgebaut, heute 26 verschiedene staatskirchenrechtliche Modelle. Erstmals 1891 (rundum in Europa plusterten sich die Nationalismen auf) wurde das Dokument von 1291 als „Bundesbrief" und Anfang der Eidgenossenschaft gefeiert. Nach Maissen waren es liberal-reformierte Autoren, die die nationale Geschichte neu damit beginnen liessen. Im selben Jahr wurden die Katholisch-Konservativen in den Bundesrat, die eidgenössische Regierung, aufgenommen.

Die Landeshymne als Spiegel

Die aktuelle Landeshymne, der Schweizerpsalm, ist das Gemeinschaftswerk des Zürcher Radikalen Leonhard Widmer und des mit ihm befreundeten katholischen Mönchs Pater Alberik Zwyssig aus der Zeit, als die konfessionellen Konflikte ihrem letzten Höhepunkt zutrieben. Bezeichnenderweise kommt die „fromme Seele" im Träumen über Gott, den überirdischen Weltenlenker und Richter, zur Ruhe. Ausser der Freiheit wird über die Schweizer nichts ausgesagt und die Konflikte, welche damals die Kantone entzweiten, in die Natur verlegt („In Gewitternacht und Grauen lasst uns kindlich ihm vertrauen").

Nicht von einem konfessionellen Gott erwählt

Thomas Maissen bilanziert: „Da es nie eine Staatskirche oder Staatsreligion der Schweiz gegeben hat, ist ihre Nationalgeschichte als säkulare Erfolgsgeschichte geschrieben worden. Die Lehre vom helvetischen Sonderfall war und ist eine rein historische, überkonfessionelle Begründung der eigenen staatlichen Existenz als säkulare Verwirklichung eines - von der Geschichte, nicht von einem konfessionellen Gott - auserwählten Volks ohne missionarischen Anspruch, da Einzigartigkeit bestenfalls gewahrt, nicht aber exportiert werden kann."

Links zum Thema:
„Lasst uns die Mauern wieder aufbauen!" Aufruf zum Nationalen Gebetstag 2008 in den Kantonshauptstädten
Mehr zur konfessionell gespaltenen Eidgenossenschaft
Zur Geschichte des Schweizerpsalms, der Landeshymne
Laudatio auf Jesus, den König, gehalten von Pfr. Geri Keller am Jesusfest in Thun

Datum: 16.07.2008
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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