Kirchenratspräsidenten Ruedi Reich

Die Zürcher Bibel als Grund der Zürcher Kirche

Die Zürcher Bibel ist am 24. Juni im Grossmünster übergeben worden. Für den Kirchenratspräsidenten Ruedi Reich ist sie „ein Geschenk, an welchem zu arbeiten der Zürcher Kirche seit Jahrhunderten aufgegeben ist“. Reich, der die Arbeit an der Zürcher Bibel 2007 von Beginn weg gefördert und begleitet hat, legte in einem grossen Vortrag ihre unschätzbare Bedeutung für die Zürcher reformierte Kirche dar. Ruedi Reich hielt den kirchengeschichtlichen Vortrag im vergangenen Winter an allen sechs (!) Kirchenpflegertagungen auf Boldern. – Livenet dokumentiert ihn im Wortlaut, mit zusätzlichen Zwischentiteln.
„Was lange währt, wird endlich gut“: Kirchenratspräsident Ruedi Reich stellt die Zürcher Bibel 2007 vor.
Ein Fest im Grossmünster: die Vernissage der Zürcher Bibel am 24. Juni mit über 1000 Besuchern.
Knaben beim Grossmünster: Was sagt die Zürcher Bibel der nächsten Generation?
Die Chorgemeinschaft Sternenberg-Turbenthal sang Schöpfungspsalmen von Peter Roth.
Wünschte dem Werk eine „möglichst grosse Verbreitung“: Justizdirektor Markus Notter.
Grossmünster und Wasserkirche in Zürich.
Ein Städtchen mit 6000 Einwohnern: Zürich in der Reformationszeit.
Die neue Ausgabe führt die Tradition der genauen Erfassung des Urtexts fort.
Huldrych Zwingli in seiner Bibliothek (Bild aus der Abschrift von Heinrich Bullingers Reformationschronik).
"Fromm" heisst in der Sprache Zwinglis "rechtschaffen, integer, auf das Gemeinwohl ausgerichtet": Ruedi Reich bei seinem Vortrag vor KirchenpflegerInnen im Januar 2007.
Die Zürcher Bibel 2007 erscheint vorerst in vier Ausgaben.
Unermüdlicher Förderer der neuen Übersetzung: Ruedi Reich.
Knaben beim Grossmünster: Was sagt die Zürcher Bibel der nächsten Generation?

Die Zürcher Bibel von 1531 ist die erste vollständige Bibel in deutscher Sprache der Reformationszeit. Der Schluss des Vorwortes, der "Vorred", zeigt, dass sich die Zürcher Reformation vor allem als Übersetzungsbewegung verstand: Gottes Wort wird übersetzt, "über-gesetzt", in die Gegenwart. Diesem Wort traute der Reformator Huldrych Zwingli zu, dass es nicht nur die Menschen, sondern auch die Welt verändern werde.

Die Arbeit an den biblischen Texten wird darum mit derjenigen des Sämanns verglichen: Gottes Wort soll in die Menschenherzen gesät werden, damit dort die Frucht des Gottvertrauens und eines christlichen Lebens aufgehe. Ja noch mehr: Gott selber ist der Sämann, der "recht ackermann", der den Samen der Erneuerung von Kirche und Gesellschaft ausstreut und aufgehen lässt.

"Bessers exemplar habend wir yetzmal nit gehebt"

Die Buchdruckerkunst gibt die Möglichkeit, dass Menschen dem Wort der Bibel ohne Vermittlung von Kirche und Priester begegnen können. Wo es früher nur eine einzige handgeschriebene Bibel gab, gibt es jetzt tausend gedruckte Bibeln. Die Reformationszeit wird darum als besondere Gnadenzeit, als eine Heilszeit aufgefasst, als Zeit, in welcher prophetischer Verheissung gemäss Menschen Gottes Wort lesen, hören und verstehen können. Die Menschen werden darum aufgefordert, Bibeln zu kaufen: "Kauffe yederman dieweyl der marckt wärt, der kost ist nit gross, gross aber der nutz."

Die Übersetzer weisen zum Schluss darauf hin, dass sie ihre Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen getan haben. Aber ihr Tun ist, wie alle menschliche Arbeit, unvollkommen: "Bessers exemplar habend wir yetzmal nit gehebt." Eine "eigentlichere und klarere Interpretation“, eine angemessenere Übersetzung könne aber in Zukunft erarbeitet werden. Die Zürcher Übersetzer wissen, dass Bibelübersetzung nicht ein für alle Mal abgeschlossen ist. Bereits neun Jahre später, 1540, erschien darum die erste revidierte Zürcher Bibel. Der Übersetzungsprozess geht durch alle Jahrhunderte bis 2007: dem Erscheinen der Neuen Zürcher Bibel.

Die Welt bessern

Vom Hören, Lesen und Verstehen der biblischen Botschaft erwarten die Zürcher Reformatoren - und das ist für sie typisch -, nicht einfach Erbauung frommer Seelen, sondern dass "das reych Christi allenthalb ufgange und zuonemme und die welt gebesseret und fromm werde". "Fromm" heisst in der Sprache Zwinglis "rechtschaffen, integer, auf das Gemeinwohl ausgerichtet." Auseinandersetzung mit der Bibel, so ist die Zürcher Reformation überzeugt, führt zu einer besseren, gerechteren Welt, in welcher sich die menschliche Gerechtigkeit mehr und mehr Gottes Gerechtigkeit annähert. Ja, wenn wir die Erwartungen an die Neue Zürcher Bibel 2007 so hoch setzen würden!

Es sind jedenfalls eine Fülle von grundsätzlichen Überlegungen, welche in den letzten beiden Abschnitten des Vorwortes zur Zürcher Bibel von 1531, der sogenannten Froschauer-Bibel, anklingen. Sie sind zentral reformatorisch und zeigen, wie stark sich die Zürcher Reformation als Bibelbewegung verstanden hat. Darum war den Zürcher Reformatoren die Übersetzung der Bibel aus dem Hebräischen und Griechischen in die Volkssprache ein zentrales Anliegen. Ja, sie verstanden ihre Übersetzungsarbeit als die eigentliche Reformation.

Luthers September-Testament 1522…

Aber als der grosse Bibelübersetzer und Sprachschöpfer wird doch bis heute Martin Luther gesehen. Das ist richtig. Und es gibt auch einen Zusammenhang zwischen Luthers genialer Übersetzertätigkeit und der Arbeit in Zürich.

Im Herbst 1522, rechtzeitig zur Leipziger Buchmesse (29.9.-6.10.1522), erschien anonym Martin Luthers Übersetzung des Neuen Testamentes, das sogenannte „September-Testament“. Innerhalb von zwei Monaten waren die fünftausend Exemplare verkauft, obwohl der Preis von einem halben Gulden hoch war. Dieser entsprach etwa dem Wochenlohn eines Zimmermanns. Sogenannte „Raubdrucke“ wurden im 16. Jahrhundert noch nicht als Unrecht empfunden. So wurde Luthers Neues Testament noch im Spätherbst 1522 in Basel gedruckt.

…als Signal für Zürich

Huldrych Zwingli erwarb sich dieses Neue Testament offensichtlich noch vor Weihnachten und erklärte am 29. Januar 1523 im Zürcher Rathaus bei der Eröffnung der Ersten Zürcher Disputation: „Yetzund ist durch die gnaden Gottes das heilig euangelium und göttlich gschrifft durch den druck, bsunder zu Basel, in die welt unnd an das liecht kummen, das man das in latin und tütsch findt; darusz sich ein yetlicher frummer Christenmensch (...) lichtlich berichten mag und den willen Gottes erlernen. (...) Kouff ein yeder ein nüw testament in latin oder in tütsch.“

Martin Luther war der Meinung, dass alle Deutschen ihn verstehen könnten: „Ich habe keine gewisse, sonderliche, eigene Sprache im Deutschen, sondern brauche der gemeinen deutschen Sprache, dass mich beide, Ober- und Niederländer, verstehen können.“ Dennoch bereitete die Sprache Martin Luthers den Süddeutschen, besonders den Deutschschweizern, einige Mühe. Es erschienen darum Nachdrucke, in welchen für die Schweizer unverständliche Worte verändert oder erklärt wurden. Als Martin Luther sich dessen bewusst wurde, erklärte er die süddeutsche Mundart schlicht als nicht Deutsch: „Die oberlendische Sprache ist nicht die rechte Teutzsche Sprache; sie hat nämlich eine Menge von Doppellauten und Krachlauten.“ Selbstbewusst hielt Huldrych Zwingli dem entgegen: „Ein Schweizer bin ich und den Schweizern bezeuge ich Christum.“

Verständlich, aber nicht banal

Die Spannung des Bibelübersetzens zeigt sich schon hier am Anfang und hat auch die Übersetzung 2007 geprägt: Da ist das Ringen um den biblischen Text, die Auseinandersetzung mit dem hebräischen und griechischen Urtext. Bis heute steht die philologische und historische Auseinandersetzung mit dem Urtext im Zentrum. Zugleich ist aber immer auch nach der Sprache zu fragen, welche die Menschen verstehen. Verständlich, aber nicht banal, sondern dem Inhalt und dem Sprachniveau des Urtextes entsprechend, müssen die biblischen Texte übersetzt werden. Sprache dient aber nicht nur dem Verstehen, sondern Sprache trägt auch immer das Risiko des Nichtverstehens in sich.

Martin Luther und Huldrych Zwingli haben teilweise theologisch anders gedacht. Dies ergab Differenzen nicht nur in ihrer Auslegung, sondern auch in der Übersetzung des biblischen Wortes. Zugleich sprachen sie aber auch verschiedene Varianten der gleichen Sprache. Sie missverstanden sich, gerade weil sie meinten, einander verstehen zu können. Die Protokolle des Marburger Religionsgespräches von 1529, in welchem sich Luther und Zwingli gegenüber standen, zeigen dies deutlich.

So rangen die Zürcher Reformatoren um eine theologisch angemessene und sprachlich verständliche Übersetzung. Und diesen Übersetzungsprozess verstanden sie als ihre eigentliche reformatorische Aufgabe, aus welcher sich die Reformation der Kirche und die Reform von Gesellschaft und Staat ergaben.

Die "Prophezei" im Grossmünster…

Am 19. Juni 1525 wurde darum im Chor des Zürcher Grossmünsters die "Prophezei" eingerichtet. Das Grossmünsterstift, das Chorherrenkloster, wurde von Zwingli in eine Theologische Hochschule umgewandelt. Hier hat man 1525 mit der Auslegungs- und Übersetzungsarbeit begonnen. Jeden Morgen, ausser Freitag und Sonntag, wurde öffentlich theologisch gearbeitet. Zuerst wurde der biblische Text, vor allem des Alten Testamentes, aus der Vulgata, aus der offiziellen lateinischen Bibelübersetzung, vorgelesen. Dann wurde dieser Text aufgrund des hebräischen Urtextes kritisch begutachtet. Alles in lateinischer Sprache.

Anschliessend erfolgte eine Auslegung des Textes durch Huldrych Zwingli in lateinischer Sprache, aufgrund des hebräischen Urtextes und seiner griechischen Übersetzung, der Septuaginta. Dann erfolgte die Übersetzung und Auslegung des Textes auf Deutsch. Die allmorgendlichen Zusammenkünfte wurden mit einem Gebet angefangen und geschlossen. In ähnlicher Weise wurde am Nachmittag im Fraumünster an neutestamentlichen Texten gearbeitet. Oft hielt Zwingli dann die Predigt im Vespergottesdienst, also im spätnachmittäglichen Gottesdienst im Fraumünster.

…als Grundstein für die Universität

Diese Arbeit an der Zürcher Bibel legte den geistigen Grundstein für die Theologische Hochschule am Grossmünster und später für die Zürcher Universität. Heinrich Bullinger hat sich als „Schulherr am Grossmünster“, also als Rektor der Theologischen Schule, dafür eingesetzt, dass die Zürcher Obrigkeit das mit Gütern reich dotierte Grossmünsterstift nicht verstaatlichte, sondern als Hochschule weiterführte.

Die Theologische Hochschule wurde schon in der Reformationszeit durch naturwissenschaftliche Studien ergänzt, juristische und medizinische Lehrstühle wurden später eingerichtet. 1833 ging aus dem alten Grossmünsterstift die Zürcher Universität hervor. Geistiger Ausgangspunkt der grössten schweizerischen Universität ist also die Übersetzungsarbeit an der Zürcher Bibel.

Die Reformation als Bildungsbewegung

Seit der Reformation ist darum die Zürcher Kirche der Bildung verpflichtet. Am Grossmünsterstift ging es um die theologische Ausbildung der Pfarrschaft. Zugleich setzte sich die reformierte Kirche durch alle Jahrhunderte für die Volksschule ein. Die in die Volkssprache übersetzte Bibel sollte auch gelesen und verstanden werden können. Nicht erst im vom Liberalismus geprägten 19. Jahrhundert setzte sich der Kanton Zürich für die Volksschule ein. Seit der Reformation verstand sich die Zürcher Kirche als Hüterin der Volksschule. Zu ihrem Kirchengebiet und darum auch zu ihrem Schulgebiet gehörten nicht nur der heutige Kanton Zürich, sondern viele reformierte Gebiete der Ostschweiz, heute im Kanton Thurgau oder teilweise im Kanton St. Gallen.

Eine detaillierte Schulumfrage von 1771, welche vom damaligen Zürcher Antistes Johann Rudolf Ulrich durchgeführt wurde, zeigt, wie sehr sich die Zürcher Kirche für die Volksschule einsetzte. Schon damals war es der Kirche wichtig, gute Lehrer, "Schulmeister", zu gewinnen und sie anständig zu entlöhnen. Der Zürcher Antistes fragte nachdrücklich danach, ob auch die Mädchen die Schule besuchen könnten. Reformation war Übersetzungsbewegung, Bildungsbewegung und darum auch Schulbewegung: Männer und Frauen sollten die Bibel lesen und verstehen können.

Die Eigenart der Zürcher Bibel

1531 wurde die erste vollständige Zürcher Bibel herausgegeben. Sowohl bei neutestamentlichen wie bei alttestamentlichen Schriften stand die Lutherübersetzung vielerorts noch Pate. Allerdings hatten die Zürcher Reformatoren vor allem die Übersetzung der Psalmen und der prophetischen Bücher selbständig erarbeitet. So kam die erste vollständige deutsche Bibelübersetzung der Reformationszeit in Zürich 1531 heraus. Erst drei Jahre später folgte die vollständige Lutherbibel in Wittenberg.

Wir reden von der Zürcher Bibel nicht von einer "Zwingli-Bibel". Bis heute ist die Zürcher Übersetzung ein Teamwerk. Auch Luther hatte zwar bei seiner Übersetzungsarbeit seine wissenschaftlichen Helfer. Er selbst prägte aber den Text mit seiner grossen Sprachkraft. Die Sprache Luthers wurde so zur deutschen Sprache schlechthin.

Ein Gemeinschaftswerk

Die Zürcher Bibel ist einen anderen Weg gegangen. Von Anfang an wurde die Zürcher Bibel von einer Gruppe von Gelehrten erarbeitet. Wie bei der Neuen Zürcher Übersetzung 2007 wurde dabei diskutiert, abgewogen, revidiert. Das braucht Zeit, wird aber dem Urtext eher gerecht. Verschiedene Fachleute, bei der Neuen Zürcher Bibel Männer und Frauen, haben nach angemessener Übersetzung gesucht. Dies entsprechend der Tradition, welche schon die Zürcher Bibel von 1531 geprägt hat. Eindrücklich ist der Zeitpunkt des Erscheinens der ersten Zürcher Bibel: 1531. Im Sommer erschien die Zürcher Bibel. Im Herbst erlebten vor nun 475 Jahren die Zürcher Kirche und der zürcherische Staat die Katastrophe von Kappel. Der Reformator kam erst 47-jährig ums Leben. Mit ihm starben viele prägende Persönlichkeiten der Reformationszeit, sowohl Theologen wir Politiker.

Ein halber Pfarrerlohn

Zürich war gedemütigt. Es hatte eine grosse Kriegsschuld zu bezahlen. Es musste im sogenannten Zweiten Kappeler Landfrieden bekennen, dass die Sieger, die katholische Seite, den "wahren christlichen Glauben" bekennen würden, während man Zürich nur bei „synem glouben“ lassen wollte. In dieser Zeit der Krise, in welcher es um Sein oder Nichtsein der reformatorischen Bewegung ging, bildete die Zürcher Bibel sowohl das Vermächtnis Zwinglis wie auch den geistigen Kristallisationspunkt für die Weiterführung der Reformation. Im Jahr, als der Reformator starb, liess er das zurück, was er mit seinen Mit-Reformatoren erarbeitet hatte, was wichtiger war als er selbst: die Zürcher Bibel.

Das Vorwort zu dieser Bibel, welches vom Reformator selber stammt oder massgeblich durch ihn geprägt wurde, ermutigt zum Kauf der Bibel. Keine Kleinigkeit, immerhin ging es beim Preis um den halben Monatslohn eines Zürcher Pfarrers. Dennoch wurden Zürcher Bibeln zu Tausenden verkauft, gehörten in jede pfarrherrliche Studierstube, wenn es auch noch Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte dauerte, bis man davon ausgehen konnte, dass es in jedem Haushalt eine Bibel gebe. Das Ziel war dies aber von Anfang an. Und viele alte, zerlesene, beschädigte Bibeln geben ein beredtes Zeugnis davon, dass die Bibeln auch gelesen wurden.

Es ging dabei nicht wie bei jenem Ehepaar: Der Pfarrer machte einen Besuch zur Silbernen Hochzeit. Stolz nahm der Ehemann die Traubibel mit der Widmung des Vorgängerpfarrers hervor und sagte: „Sehen Sie, fünfundzwanzig Jahre sind’s her, und noch ist diese Bibel wie neu.“

Auf dem Weg zur Neuen Zürcher Bibel 2007

Neuauflagen der Zürcher Bibel, revidierte Ausgaben, erschienen von 1540 an regelmässig bis heute. Herausgeber waren im 16. Jahrhundert ausdrücklich die „Diener der kilchen zuo Zürich“. Im 17. Jahrhundert wurde dann aus der Übersetzungsarbeit auch eine staatliche Aufgabe. 29 Ratsbeschlüsse beziehen sich im späten 17. und 18. Jahrhundert auf die Übersetzungsarbeit und Herausgabe der Zürcher Bibel. Seit 1860 zeichnet wieder die Zürcher Landeskirche verantwortlich für die Übersetzungsarbeit. 1907-1931 erfolgte die vorletzte grosse Revision. Hauptverantwortlich waren für das Alte Testament Jakob Hausheer, für das Neue Testament Paul Wilhelm Schmiedel. In fast 1100 Sitzungen wurde der Text von Fachleuten besprochen und bereinigt.

1979 beauftragte der Kirchenrat eine Expertenkommission mit der Abklärung, ob eine Revision der Zürcher Bibel in Aussicht zu nehmen sei. Die Kommission bejahte dies und empfahl für das Alte Testament eine Revision, für das Neue Testament eine eigentliche Neuübersetzung. Am 31. Januar 1984, 500 Jahre nach der Geburt des Reformators Huldrych Zwingli, beschloss die Kirchensynode, die Zürcher Bibel aufs Neue übersetzen zu lassen. Im Antrag wird festgehalten: „Der Kirchenrat bittet die Kirchensynode um Zustimmung zu seinen Anträgen, damit das Werk der Bibelübersetzung, das Zwingli mit seiner Prophezei begonnen hat, im Jahre der 500. Wiederkehr seines Geburtstages weitergeführt werden kann.“

In seinem Antrag hält der Kirchenrat zudem fest: „Anzustreben ist eine ‚optimale Synthese von wissenschaftlicher Exaktheit, sprachlichem Ausdruck und liturgischer Eignung.’ (Absage an den gegenwärtigen Trend, für verschiedenen Benützergruppen verschiedene Übersetzungen anzufertigen, wie: exakte Übersetzung für Theologen, umgangssprachliche für Laien, sprachlich gehobene für den liturgischen Gebrauch); Übersetzung als spezifischer Beitrag der deutschsprachigen Schweiz, d.h. ohne Belastung durch eine Tradition (wie diejenige einer sakral gewordenen Luther-Bibel); also kein Konservieren des ‚alten’ Textes, ‚sondern Neuübersetzung auf Grund der heutigen exegetischen Erkenntnisse in die heutige Sprache und in den heutigen Raum der Kirche hinein’.“

Weder konservierend noch anbiedernd

Hier zeigt sich der hohe Anspruch der Zürcher Bibel. Die Zürcher Bibel will Übersetzung sein, welche textgetreu ist, einem guten deutschen Sprachniveau entspricht, verständlich aber nicht anbiedernd ist. Im Zweifelsfall gibt sie die Fremdheit des Textes wieder, interpretiert ihn möglichst wenig, im Wissen darum, dass jede Übersetzung auch Interpretation ist. Vom Kirchenrat wird darum festgehalten: „Die Sprache der Übersetzung soll eine dem Urtext angemessene Sprachebene einhalten und weder antiquiert noch modernistisch sowie weder maniriert noch vulgär wirken. Die sachliche und historische Distanz des Bibeltextes zur heutigen Zeit soll auch in der Übersetzung erkennbar bleiben. Dementsprechend ist von unmittelbaren Aktualisierungen des Bibeltextes Abstand zu nehmen.

Spezifische Begriffe der biblischen Sprache, die unserer Umgangssprache (angeblich) nicht mehr bekannt sind – und dementsprechend in ‚modernen’ Übertragungen gemieden werden – sind in theologischer Verantwortung beizubehalten; es ist zu berücksichtigen, dass einer guten Bibelübersetzung immer auch eine sprachprägende Funktion zugekommen ist."

Frauen einbezogen

Die Kirchensynode hat 1998 erneut über die Bibelübersetzung beraten; anhand von zwei Postulaten ist sie vertieft in die Diskussion eingetreten. Es ging ihr darum sicherzustellen, dass in beiden Übersetzungsgruppen auch Frauen wissenschaftlich mitarbeiten, was im Neuen Testament schon von Anfang an der Fall war. Auch sollte darauf geachtet werden, dass nirgends durch die Übersetzung antijüdische oder frauenfeindliche Akzente gesetzt wurden. Es versteht sich von selbst, dass es nicht darum gehen kann, Auseinandersetzungen des jungen Christentums mit dem Judentum, welche sich in neutestamentlichen Texten spiegeln, zu beseitigen. Und die Stellung der Frau war in biblischer Zeit eine andere. Dies darf eine Bibelübersetzung nicht verschleiern.

Im Antrag des Kirchenrates wurde nochmals festgehalten:

a) „Die Neuübersetzung der Zürcher Bibel soll heutigen Leserinnen und Lesern die Interpretation biblischer Texte ermöglichen. Sie soll sie aber nicht auf eine bestimmte Interpretation festlegen.

b) Die Neuübersetzung der Zürcher Bibel soll heutigen Leserinnen und Lesern die biblischen Texte verständlich machen als Texte, die aus einer vergangenen Zeit in unsere Zeit hinein sprechen.

c) Die Neuübersetzung der Zürcher Bibel soll Leserinnen und Lesern die biblischen Texte nahe bringen als literarische Texte, die über den Alltag und das Alltägliche hinaus weisen.

d) Die Neuübersetzung der Zürcher Bibel ist nicht nur für die Angehörigen der Zürcher Kirche bestimmt, sondern für die gesamte deutschsprachige Welt."

Ausdrücklich wurde nochmals betont:

„Die Zürcher Kirche trägt dafür Sorge, nicht nur für sich selbst, sondern für den gesamten deutschsprachigen Kulturraum eine zeitgenössische, verständliche und zuverlässige Übersetzung der Bibel bereit zu halten. Die Zürcher Bibel wird nach wie vor ihrer hohen wissenschaftlichen und sprachlichen Qualität wegen geschätzt. Das soll auch bei der Neuübersetzung so bleiben.“

HERR für den Gottesnamen

In ihrer Sitzung vom 27. März 2001 hat sich die Kirchensynode nochmals vertieft mit der Zürcher Bibelübersetzung auseinandergesetzt. Nun ging es unter anderem auch darum, dass der Frauenlesungsgruppe die Möglichkeit einer eigenen Publikation eingeräumt werden sollte. Dort sollte die Frauenlesungsgruppe eigene Anliegen aufzeigen und so die breite Diskussion über die Zürcher Bibel ermöglichen.

Ebenso wurde auch die besondere Wiedergabe des alttestamentlichen Gottesnamens festgelegt. Der Jahrtausende alten Tradition entsprechend wird diese mit "Herr" weitergegeben, aber mit besonderer Schreibung in Kapitälchen überall dort, wo der Gottesnamen im Hintergrund steht, welcher nach jüdischer Tradition nicht angesprochen werden darf.

Schliesslich hat die Kirchensynode 2004 das Projekt bibel(plus) beschlossen, welches zusammen mit der Deutschschweizerischen Kirchenkonferenz verwirklicht wird. Dabei geht es um ein Einführungs- und Kommentarwerk, wie es Ihnen an dieser Tagung vorgelegt wird. Über das hinaus, was in der Bibel selber als kommentierender Text vorliegt, "Begleittext", soll hier die persönliche und gemeindliche Bibelarbeit ermöglicht und vertieft werden.

Die "offizielle" Bibel

Verschiedentlich war nun von der Kirchensynode die Rede. Unsere Kirchenordnung hält in Artikel 161 an erster Stelle ausdrücklich fest, dass es zu den Aufgaben der Kirchensynode gehöre: „Beschlussfassung über Bibelübersetzung, Liturgie, Gesangbuch und Lehrbücher.“ Der Kirchenrat ist Herausgeber der Zürcher Bibel, die Kirchensynode Auftraggeberin. So ist die Zürcher Bibel die „offizielle“ Bibel der Zürcher Kirche. Artikel 171 der Kirchenordnung hält darum fest: „In Fortführung des Erbes der Reformationszeit weiss sich die Landeskirche der Aufgabe von Bibelübersetzung und Bibelverbreitung verpflichtet. Die von der Kirchensynode beschlossene und vom Kirchenrat herausgegebene Übersetzung gilt als die in Zürich kirchlich eingeführte Bibelausgabe. Die Kirchgemeinden sind aufgefordert, durch regelmässige Kollekten zur Verbreitung und zur Verbilligung der Bibel beizutragen.“

Es handelt sich hier nicht um ein Gesetz, welches polizeilich durchzusetzen wäre. Die Kirchenordnung geht aber davon aus, dass es sinnvoll ist, in der Liturgie und in der Lesung, auch in der Schule, die Zürcher Übersetzung zu benützen. Es ist wichtig, dass man mit biblischen Texten vertraut wird. In der deutschen Sprache sagen wir "auswendig lernen", wenn wir einen Text memorieren. Französisch heisst das "apprendre par coeur, mit dem Herzen lernen". Es ist nicht sinnvoll, dass man in den Gottesdiensten immer wieder anderen Übersetzungen begegnet. Erst auf dem Hintergrund einer vertrauten Übersetzung, aus welcher regelmässig gelesen wird, wird der Akzent einer anderen Übersetzung, zum Beispiel der "Übersetzung in gerechter Sprache" oder einer eigenen Übersetzung verständlich.

Vertraut werden mit der Zürcher Bibel

Der geprägte und oft gehörte Text ist noch aus einem anderen Grund wichtig. Das Auswendiglernen von Texten hat nach wie vor eine grosse Bedeutung. Ich gehöre noch zur Generation, die im Religionsunterricht Lieder auswendig lernen musste. Was ist das für ein Schatz in uns, dass wir da Lieder zum Beispiel von Paul Gerhardt nicht nur auswendig gelernt, sondern mit dem Herzen gelernt haben, apprendre par coeur.

Ich denke vor allem aber auch an biblische Texte. „Der Herr ist mein Hirte“ (Psalm 23), „Lobe den Herrn, meine Seele, und alles, was in mir ist, seinen heiligen Namen“ (Psalm 103), die Seligpreisungen Jesu oder Texte aus Römer 8: „Ich bin dessen gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgend ein anderes Geschöpf uns zu scheiden vermag von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist, unserem Herrn.“ Solche Texte gilt es auswendig zu lernen, damit wir inwendig mit ihnen leben können. Dies gilt selbstverständlich auch vom Unservater. In diesem Sinne soll die Neue Zürcher Bibel auch wieder eine Standardbibel sein, anhand derer man sich die Bibeltexte einprägen kann, mit welchen man leben und wohl auch sterben kann.

Die Bibel als Buch der Kirche…

Biblische Texte kommen über die Jahrtausende zu uns. Sie kommen aber nicht einfach papieren zu uns. Über alle Jahrhunderte haben Menschen mit den biblischen Texten gelebt, haben ihnen vertraut in Freud und Leid, haben in ihnen Trost, Halt und Weisung gefunden. Wer es also mit der Bibel zu tun hat, der hat es nicht nur mit ehrwürdigen Texten zu tun. Er begegnet auch Menschen, er begegnet dem Volk Israel und der Kirche Jesu Christi aller Orte und Zeiten, die aus diesen Texten gelebt haben und noch leben. All das nötigt uns einen sorgsamen Umgang mit dem biblischen Wort auf.

1907–1931, 24 Jahre liegen zwischen dem Synodeentscheid und dem Erscheinen der revidierten Zürcher Bibel im vergangenen Jahrhundert. 1984-2007, 23 Jahre sind es zwischen dem Synodeentscheid und dem Erscheinen der Zürcher Bibel für das nächste Jahrhundert. Immer ist es fast ein Vierteljahrhundert, in welchem wissenschaftlich intensiv gearbeitet wurde. Wie immer wurde umfangreiches Material, ein sogenanntes "Übersetzungsjournal" erarbeitet, um auch später zeigen zu können, warum so und nicht anders übersetzt wurde. So ist die Arbeit an der Zürcher Bibel ein wichtiger Teil der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem biblischen Text und seiner Auslegung für die heutige Zeit.

…weist über sich hinaus

Am 24. Juni 2007 wird die Neue Zürcher Bibel im Grossmünster der Öffentlichkeit übergeben werden. 24. Juni, das ist der Tag Johannes des Täufers. Dieser Tag steht in der Jahreshälfte dem Weihnachtstag gegenüber, dem Tag Jesu Christi. In der dunkelsten Zeit wird der Tag Christi gefeiert. Christus ist das Licht der Welt. Vom Weihnachtstag an werden die Tage länger bis zum Johannestag am 24. Juni. Am Johannestag wird Johannes des Täufers gedacht. Er hat auf Christus hingewiesen mit den Worten: „Jener muss grösser werden, ich aber geringer“ (Johannes 3,30). Vom Johannestag an, dem längsten Tag des Jahres, werden die Tage wieder kürzer.

Wenn die Bibel am Johannestag vorgestellt und übergeben wird, so kann das nur heissen: Die Bibel ist in ihrem ganzen Reichtum Hinweis, Hinweis auf Gott, der uns trägt, Hinweis auf Christus, in welchem Gott uns nahe gekommen ist. So ist auch alle unsere Arbeit und unsere Auseinandersetzung mit der Bibel Hinweis, Hinweis auf Gott selber. In dieser Weise ist die Bibel und nun auch die Zürcher Bibel Gottes Wort. Nicht so, dass Gott in seiner Unendlichkeit nun zwischen zwei Buchdeckeln eingesperrt wäre. Aber so, dass wir Gott begegnen da, wo das biblische Wort bedacht und aufgenommen wird.

In diesem Sinne ist die Herausgabe der Zürcher Bibel, die Arbeit an der Übersetzung der Bibel, die Arbeit an den Begleittexten und am Begleitmaterial die vornehmste Aufgabe der Zürcher Kirche. Sie weist dadurch von sich weg hin auf den Grund ihres Glaubens, auf Christus, auf Gott, der sich durch den Heiligen Geist im Menschenwort als eine Kraft des Trostes und der Weisung zeigt.

Der Auftrag der Reformation

In diesem Sinne gilt nach wie vor der Auftrag, welcher durch die Reformation gegeben ist und mit einem Wort Huldrych Zwinglis über dem Portal des Grossmünsters festgehalten ist:

„Verschaffend dass das göttlich Wort by üch gepredigt werde
damit werdend ir üwer Vatterland erhalten
und obs glych dem Tüffel leid wär
denn wo Gotzforcht ist
da ist die Hilf Gottes.“

Die Welt werde "gebesseret und fromm", haben sich die Übersetzer von 1531 erhofft. Und das wäre doch auch heute nötig. Man kann daraus die Beschäftigung mit der Bibel auch als Protest gegen die Herren dieser Welt verstehen und es mit Zwingli etwas augenzwinkernd festhalten:

„Huetend üch, ir tyrannen! Das euengelium wirt fromm lüt ziehen. Werdend ouch fromm, so wirt man üch uff henden tragen. Thuond ir das nit, sunder ryssend und bochend, so werdend ir mit füssen getretten.“

Weiterführende Links:
Webseite der Zürcher Bibel
Kurzinfos zur Zürcher Bibel: Ausgewählte Textstellen
Hörproben aus dem Alten und Neuen Testament
Reden an der Vernissage der Zürcher Bibel, 24. Juni 2007

Autor: Pfr. Dr. theol. h.c. Ruedi Reich ist seit 1993 Präsident des Zürcher Kirchenrats.
Quelle: Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich

Datum: 19.07.2007

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