Erhellte Geschichte

Buch über Zürcher Täufer

Am Sonntag, 17. Juni, haben Historiker und Vertreter der reformierten Zürcher Landeskirche das Buch "Die Zürcher Täufer 1525-1700" vorgestellt. Die Veranstalter wurden vom Interesse überwältigt: Über 150 Personen wollten zu den Täufergedenkorten in der Innenstadt geführt werden, und während der folgenden Vernissage in der Helferei beim Grossmünster waren die Stühle alle besetzt.
"Einen ganz wichtigen Weg gegangen": Der Zürcher Kirchenratspräsident Pfr. Ruedi Reich über sein Verhältnis zu den Täufern.
Grosses Interesse für die Täufergeschichte: Vor der Vernissage in der Helferei beim Grossmünster.
Die Wiedertäufer Jakob Falk und Heini Reimann werden in der Limmat ertränkt (1528).
Den Bogen vom frühen 16. ins 17. Jahrhundert geschlagen: Urs Leu.
Was der Zürcher Täufer Heini Funk im Emmental (vermutlich) provozierte: Hanspeter Jecker.
Zürcher Täufer
Gemeinsames Erbe

Kirchenratspräsident Pfr. Ruedi Reich deutete in seiner Begrüssung an, dass er persönlich seit 2003, als das Gedenkjahr für den Zwingli-Nachfolger Heinrich Bullinger vorbereitet wurde, einen "ganz wichtigen Weg" gegangen ist. Dieser kulminierte in der Reueerklärung und Vergebungsbitte am Tag der Begegnung mit Täufern, am 26. Juni 2004*. Vor dem Hintergrund dieses Prozesses sprach Reich, ohne zu beschönigen, von den Ausgrenzungen, an welchen beide Seiten, Reformierte und Täufer, über Jahrhunderte festhielten. In ihrer Hartnäckigkeit hätten sie ihre "Zürcher Wurzeln" nie ganz verleugnet.

"Jesus Christus eröffnet Zukunft"

Der gut 400-seitige Band mit acht wissenschaftlichen Beiträgen von sechs Historikern und Theologen ist überhaupt das erste Werk aus einem reformierten Verlag (TVZ), das die gesamte Geschichte der Zürcher Täufer bis zu ihrer Vertreibung aus dem Staatsgebiet Ende des 17. Jahrhunderts beleuchtet. Es ist für Reich "ein zutiefst nachdenklich machendes Buch, besonders wenn man es als Nachnachfolger von Heinrich Bullinger liest". Der Kirchenratspräsident schöpft Zuversicht daraus, dass Jesus Christus "nicht nur Schuld vergibt, sondern auch Zukunft eröffnet".

Taufe wie Beschneidung?

Philippe Dätwyler von der Landeskirche, der den Nachmittag mit Führung, Kurzvorträgen, musikalischen Beiträgen und Diskussion organisiert hatte, kam auf den Ursprung des Konflikts zu sprechen: Die ersten Täufer in Zürich hatten gemeinsam mit Zwingli die Bibel studiert; ihre Freundschaft zerbrach im Streit um die Umsetzung der Reformation im Zürcher Gemeinwesen 1524/1525.

Der Reformator nahm dabei Rücksicht auf den Rat, was ihm die vorwärtsdrängenden Bibelleser übel nahmen. Zudem bezog er alttestamentliche Beschneidung und neutestamentliche Taufe aufeinander: Beide seien Bundeszeichen, am achten Tag des Lebens anzubringen. Damit öffnete sich eine Kluft zwischen Zwinglis Kirche und jenen, welche die Taufe nach neutestamentlichen Bibelworten als bewusstes Bekenntnis des Glaubens verstanden.

Unbarmherzige Härte gegen eine kleine Minderheit

Wie der Historiker Urs B. Leu, Initiant und Herausgeber des Bandes, darlegte, "war ab 1526 jeder ein Nonkonformist, der sein Kind nicht am achten Tag taufen liess". Zwingli bejahte mit Schmerzen die harte staatliche Verfolgung seiner ehemaligen Freunde. Leu hat neben dem ersten Kapitel über die frühen Jahre auch einen Aufsatz über die Verfolgung im 17. Jahrhundert verfasst. Bisher waren die Quellen dieser Zeit noch nicht gesichtet worden. Eine Kostprobe von Seite 231: "Wer konnte, versuchte ins Elsass oder in die Pfalz zu fliehen. Für die kleine Schar, die zurückblieb, änderte sich nichts. Auf der Herbstsynode 1646 (der Kirche; Red.) wurde der Verdacht geäussert, dass die Täufer die Rebellion in den Herrschaften Wädenswil und Knonau unterstützt hätten…"

‚Ungehorsame' Christen im 16. Jahrhundert

Christian Scheidegger, mit Leu Herausgeber des Bandes, stiess bei seinen Forschungsarbeiten auf Zürcher, die im späten 16. Jahrhundert die Autorität der reformierten Amtskirche ablehnten, ohne sich zu den Täufern zu gesellen. Nach dem Vorbild des in Deutschland abgelehnten Kaspar von Schwenckfeld erwarteten sie Erleuchtung durch den Heiligen Geist im persönlichen Studium der Bibel. 1588 stand eine Gruppe dieser Nonkonformisten vor Gericht, nachdem die Kirche beim Rat in Zürich eine Untersuchung erwirkt hatte.

Weitere Beiträge befassen sich mit dem Täuferlehrer Hans Landis (als letzter Zürcher Täufer 1614 hingerichtet), der Verfolgung und Auswanderung der Zürcher Täufer im 17. Jahrhundert und - am Beispiel des aus dem Säuliamt stammenden, im Emmental wirkenden Täuferlehrers Heini Funk - Einflüssen des Zürcher Täufertums im Bernbiet. Abschliessend werden Verbindungen und Parallelen zwischen Täufertum und Pietismus ausgeleuchtet und im Anhang das "Einfache Bekenntnis", das Täufer um 1588 dem Rat unterbreiteten, dokumentiert. Der Zürcher Kirchenhistoriker Prof. Emidio Campi bezeichnete das wissenschaftliche Werk gegenüber Livenet als hochwillkommenen Beitrag zur Erforschung der Reformationsgeschichte.

Rebellion gegen die religiöse Enge

Dass der frühe Zerriss des protestantischen Bandes die Täufer auf einen Sonderweg führte, machte der zweite Teil der Zürcher Vernissage beklemmend deutlich. In einer Performance stellte die Sängerin Rose Marie Doblies das Leiden in einer engen Mennoniten-Gemeinschaft - schaffe, schaffe, bätte, Bibu läse, schaffe, schaffe - mit Einbezug von zwei jungen Hip-Hoppern dar. Auf die Fragen von Philippe Dätwyler brachen aus der Künstlerin Wut und Schmerz wie ein gestauter Bergbach heraus. Doblies hatte, da nicht gefördert, ihrer Gemeinschaft als junge Frau den Rücken gekehrt und in der ‚sündigen' Welt eine Karriere als Sängerin und Tänzerin begonnen.

Im abschliessenden Podium fügte der reformierte Pfarrer Paul Amstutz, ebenfalls Ex-Mennonit, der Problematik eine weitere Facette zu. Er verdanke seiner täuferischen Prägung vieles, für das er bis heute dankbar sei. Er habe aber als Heranwachsender auf manche Fragen in seiner täuferischen Gemeinde keine Antworten bekommen und habe darum evangelische Theologie studiert. Später sei er der reformierten Kirche beigetreten. Anders Hanspeter Jecker, der - als später 68er konfrontiert mit Fragen rund um Krieg, Elend und Ungerechtigkeit - auf der Suche nach tragfähigen Antworten von der täuferischen Friedenskirche überzeugt wurde, einer Mennonitengemeinde beitrat und heute am Theologischen Seminar Bienenberg unterrichtet. Um sechs Uhr war Schluss, ohne dass die Spannung aufgelöst worden wäre.

EVP im Kantonsrat: Verfolgung nicht verdrängen

Der Oberländer EVP-Kantonsrat Gerhard Fischer, der an der Vernissage teilnahm, verlas am folgenden Tag im Kantonsparlament eine Fraktionserklärung, in der er die Mitverantwortung des Staates für die damalige Verfolgung der Täufer in Erinnerung rief. "Die EVP-Fraktion ist der Überzeugung, dass es angebracht ist, am heutigen Tag auch als Kantonsparlament dieses Schuldbekenntnis zu bekräftigen und daran zu erinnern, dass wir geneigt sind, die Geschehnisse der damaligen Zeit zu verdrängen und zu vergessen." Die Brücke zur Gegenwart schlug Fischer mit dem Hinweis, die Versöhnung zwischen unterschiedlichen Kirchen und dem Staat zeige "klar auf, dass gelebter Respekt und Achtung der Glaubensfreiheit gute Früchte tragen".

Urs B. Leu, Christian Scheidegger (Hrsg.):
Die Zürcher Täufer 1525-1700
Theologischer Verlag Zürich, 2007
428 Seiten, 56 Franken/36 Euro
ISBN 978-3-290-17426-2
Mehr: www.tvz-verlag.ch

* Die Dokumente des Begegnungstags, des 26. Juni 2004, sind samt dem Bekenntnis von Pfr. Ruedi Reich nun in einem Büchlein greifbar. Es enthält auch grundsätzliche Beiträge über das gemeinsame Erbe von Reformierten und Täufern und ihre verwickelte Geschichte auf getrennten Wegen, die meisten aus der Feder von Pfr. Peter Dettwiler. Das Büchlein wird in Kürze auch in englischer Übersetzung erscheinen.

Michael Baumann (Hrsg.):
Gemeinsames Erbe
Reformierte und Täufer im Dialog
Theologischer Verlag Zürich, 2007
104 Seiten, Paperback mit s/w-Illustrationen, 18 Franken
ISBN 978-3-290-17430-9
Homepage: www.anabaptist.ch

Datum: 20.06.2007
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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