Reformierte und Täufer

„…wie ein Wiedersehen nach vielen hundert Jahren“

An einer Gebetskonferenz, die US-Mennoniten Anfang April veranstalteten, wurde die Verfolgung der Täufer durch die reformierten Schweizer Kirchen vor 1798 aufgearbeitet, Vergebung gewährt und Versöhnung gefeiert.
Miteinander vorwärts gehen: Edi Pestalozzi
Katharina Bänziger sang im Adhoc-Chor der Mennoniten mit.
An die Tradition gebunden: Amische Kinder im Lancaster County gehen zur Schule.
„Den Stolz verloren“: Ernst Gysel erinnerte an den Weg von Petrus.
Freisetzung: Der Amisch-Leiter Ben Girod wird vom Konferenzkoordinator gesegnet.

Die Leiter der Konferenz, die vom 7.-9. April in New Holland bei Harrisburg (Pennsylvania), stattfand, gaben den Gästen, reformierten Pfarrern aus allen Teilen der Deutschschweiz, reichlich Zeit, Erfahrungen zu schildern und ihre Sicht darzulegen. Aus den Berichten ergab sich ein Mosaik der Hoffnung auf einen gemeinsamen Neuanfang im radikalen Christsein.

Edi Pestalozzi suchte vor Jahren als reformierter Gemeindepfarrer um die Erlaubnis nach, Säuglinge nicht taufen zu müssen. Sie wurde ihm, im Unterschied zu anderen, gegeben. Die eigenen Kinder taufte Pestalozzi nicht, in der Erwartung, dass sie ihre persönliche Entscheidung für Christus treffen und sie dann mit der Taufe bestätigen würden. Der heutige Leiter der Stadtmission in Basel rief die Teilnehmenden auf, im Namen von Jesus mit den Gaben von Gottes Geist (Jesaja 11,1) gemeinsam vorwärtszugehen.

„Nun fühle ich mich frei im Pfarramt“

Thomas und Katharina Bänziger haben eben das Pfarramt in Schlatt im Thurgau angetreten. Er erklärte, die Vergebung vonseiten der Täufer, die er an einer Konferenz in Winterthur vor zwei Jahren erlebt habe, gebe ihm Boden unter den Füssen. „Nun fühle ich mich frei im Pfarramt – als Reformierter. Als wäre meine Identität da aufgeschlossen worden.“

Durch die Trennung von den Täufern hätten die Reformierten die Ganzheit des Erbes verloren, das ihnen zugedacht war, sagte Katharina Bänziger. Sie schilderte die völlige Hingabe der Frau, die Jesus mit kostbarem Parfum salbte. „Wir brauchen alle miteinander die Salbung – dass wir Jesus radikal folgen, ihm alles geben –, den Geruch der Braut von Jesus.“

Verfolgt, dann Verfolger

Pfr. Philipp von Orelli (Herisau) bat Anwesenden um Vergebung für die Taten seiner Vorfahren: Sie gehörten zu den evangelischen Familien, die, aus Locarno vertrieben, 1555 in Zürich Aufnahme fanden. Wenige Generationen später gehörten die von Orelli zu den herrschenden Geschlechtern Zürichs, den Trägern des intoleranten Regimes.

Von Orelli sagte, er persönlich fühle sich hin- und hergerissen zwischen zwei Polen: Christus alles zu geben – und der Kirche, der er angehöre, aufrichtig zu dienen. Er bat die Anwesenden, die Schweizer für „radikale Nachfolge“ freizusetzen.

Versöhnung als Antwort auf Gottes Liebe

Ernst Gysel, Pfarrer in Frauenfeld und Leiter der Schweizer Gruppe, machte in seiner Ansprache deutlich, dass „uns mit Amischen und Mennoniten vor allem die Liebe zum Wort Gottes und zu Jesus Christus verbindet – als Antwort auf seine Liebe; denn er liebte uns zuerst.“

Gysel erinnerte an Petrus, der sich überschätzte und Jesus verleugnete, aber durch das Krähen des Hahns seinen Stolz verlor und zu einem Neuanfang gelangte. Er sprach vom Stolz der reformierten Pfarrer auf die Reformatoren. „Wir waren stolz, eine Kirche ohne Papst zu sein, ohne katholische Zeremonien, stolz, den rechten Glauben, die rechte Lehre zu haben.“

Blinder Stolz

Eben dieser Stolz habe reformierte Pfarrer blind gemacht, rief Gysel aus. „Wir waren blind für den Weg, den die Täufer in der Reformation gegangen sind. Wir haben wie Petrus Anstoss genommen an diesen wehrlosen Christen, die keine Waffen in die Hand nehmen wollten, die nicht auf den Schutz des Staates vertrauten, sondern allein auf den Schutz ihres Vaters im Himmel. Anstoss am radikalen und kompromisslosen Weg dieser Christen.“

Es sei nicht leicht, sich den dunklen Seiten der reformierten Geschichte zu stellen, gestand Gysel, erschüttert von der Grausamkeit der Verfolger. „Unsere Väter haben Täufer zu Hunderten und zu Tausenden ihrer Güter beraubt, sie gefoltert und eingesperrt. Viele wurden getötet und aus dem Land vertrieben. Wir haben, ohne es zu merken, Christus verleugnet – wie Petrus.“ Dabei habe sich Christus im Gleichnis vom letzten Gericht „ausdrücklich identifiziert mit diesen verfolgten Brüdern, den Gefangenen, Hungernden, Nackten“.

Begegnung, Reue und Tränen

Der Frauenfelder Pfarrer kam auf die Begegnungen mit den Amischen von Libby im US-Bundesstaat Montana seit 2002 zu sprechen. „Wir sahen in ihren Gesichtern die Spuren einer langen Geschichte des Leidens. Wir wurden zur Besinnung und Umkehr gerufen und herausgefordert, zu erkennen, was unsere Väter getan haben. Wir haben viel geweint, Tränen der Reue und der Freude – wie ein Wiedersehen nach vielen hundert Jahren.“ An einer von der Stiftung Schleife im Mai 2003 veranstalteten Konferenz baten reformierte Pfarrerinnen und Pfarrer die anwesenden Täufer öffentlich um Verzeihung. „Unsere Herzen wurden weich, offen für Werk der Versöhnung und Heilung, das Gott bis heute weitergeführt hat.“

Leiden an Halbherzigkeit

Den aktuellen Zustand der reformierten Kirchen der Deutschschweiz brachte Gysel mit dem Ausstossen der Täufer in Verbindung. „Wir leiden noch immer an den Folgen der Trennung, die in der Reformation geschehen ist. Wir leiden darunter, dass in unserer Kirche das Wort Gottes kritisiert wird. Wir leiden auch unter Halbherzigkeit unter uns Pfarrern. Und viele von uns leiden auch unter Kontrolle, die in der Kirche ausgeübt wird. Manche Pfarrer haben Schläge bekommen. Aber wir haben gemerkt, dass Gott uns in den Zeiten des Leidens reinigt, heiligt und weiterbringt.“

Die Reformatoren hätten den Schatz des Gottesreichs zusammen mit Conrad Grebel und Felix Manz (den ersten Täuferführern) entdeckt, sagte Gysel. „Die Täufer gingen in der Freude über diesen Schatz hin und verkauften alles, um diesen Schatz zu gewinnen. – Und wir stehen heute hier als Menschen, die Gott durch euch reich beschenkt hat. Wir sind daran, diesen Schatz dieses Gottesreichs neu zu entdecken und zu heben.“

„Wir gehören nicht unserer Kirche, sondern Gott“

In einem Traum sah Ernst Gysel einen Mann ohne Arme. Er äusserte die Hoffnung, dass diese – in der Reformation abgeschnittenen – Arme wieder angefügt werden, damit der Mann seinen Auftrag erfüllen könne. Etwas davon zeichne sich ab, sagte Gysel:

„Mehr und mehr Menschen in unserer Kirche sind bereit, alles zu geben. Wir gehören nicht unserer Kirche, sondern unserem Gott, der alles für uns gegeben hat. Wir wollen ihm mehr gehorchen als den Menschen und Jesus nachfolgen, auch wenn es uns alles kostet. Der Hahn hat gekräht – einen neuen Tag angekündigt. Und auch wir dürfen im Licht eines neuen Tages leben.“

Anschliessend an Gysels Ansprache sang die Schweizer Gruppe auf der Bühne „Grosser Gott, wir loben dich“. Der Konferenzleiter Lloyd Hoover, Bischof der Mennoniten, zitierte den Apostel Paulus: „Wenn irgendein Teil des Körpers leidet, leiden alle anderen mit.“ Er lud die anwesenden täuferischen Christen ein, auf die Beiträge der Schweizer persönlich zu reagieren, und dankte diesen dafür, dass sie sich der Geschichte gestellt, den Schmerz zugelassen und wieder Gemeinschaft gesucht hatten.

„Versöhnung liegt in der Luft“: Weitere Schweizer Beiträge
www.livenet.ch/www/index.php/D/article/189/23127

Zusammenfassender Bericht
www.livenet.ch/www/index.php/D/article/189/23020/

Weitere Berichte folgen.

Bild Ben Girod: Copyright Dale D. Gehman

Datum: 23.04.2005
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

Werbung
Livenet Service
Werbung