Seminar zum Nahostkonflikt

«Was, wenn es Gottes Wille wäre, dass jetzt Frieden wird?»

Ein Jude und eine Palästinenserin machen gemeinsame Sache: Seev Levy und Sumaya Farhat Naser leiten am Samstag in Aarau ein Seminar zum Konflikt im Heiligen Land. Die beiden verbindet der christliche Glaube. Ein Vorgespräch über unehrliche Politik, Ängste und verwegene Hoffnungen.
Jerusalem
Seev Levy
Sumaya Farhat-Naser

Seev Levy, vor zwei Jahren haben Sie alleine ein Seminar zum Israel-Palästina-Konflikt organisiert. Nun haben Sie Sumaya Farhat-Naser mit an Bord geholt. Warum?
Seev Levy: Ich bin sehr froh, dass mit Sumaya Farhat-Naser eine Frau dabei ist, die besser als ich die palästinensische Seite darstellen kann. Ich bin beeindruckt vom gewaltfreien Weg, den sie geht, trotz all der widrigen Umstände, die Palästinenser kennen. Sie ermöglicht Jugendlichen, Studenten und Frauen in Schulen und Gruppen einen gewaltfreien Umgang mit verletzenden und demütigenden Erfahrungen. Darin ist sie eine Pionierin.

Sie und Frau Farhat-Naser sind durch die Religion verbunden, durch die Ethnie aber getrennt…
Sumaya Farhat-Naser und mich verbindet das Urvertrauen auf einen lichtvollen Kern in jedem Menschen. Ob das auf unseren gemeinsamen Glauben an Jesus Christus zurückgeht? Ich weiss es nicht. Ich kenne auch muslimische Friedensinitiativen, die diese Überzeugung teilen. Was die Ethnie angeht: Ich fühle mich Palästinensern verbunden wie Brüder und Schwestern. Schon Martin Buber schrieb 1938 von Palästinensern und Juden als geschwisterliche Völker. Während der Vorbereitung auf dieses Seminar habe ich mich gefragt: Was, wenn es Gottes Wille wäre, dass sich die verfeindeten Geschwister, dass sich Jakob und Ismael jetzt wieder versöhnen?

Das ist ein verwegener Gedanke. Politisch ist derzeit kein Wille zur Versöhnung auszumachen.
Ja, das stimmt. Politisch gibt es eher eine Verschlechterung, man steigert sich in den Konflikt hinein, statt ihn zu lösen. Ich denke da zum Beispiel an das Gesetz, das die Enteignung palästinensischen Landes legalisiert, das die Knesset jüngst verabschiedet hat. Es widerspricht allem, was wir hochhalten. Man nimmt nicht einfach jemandem etwas weg, das ihm gehört. Und es ist unehrlich. Ehrlich wäre zu sagen, dass man einen palästinensischen Staat mit zusammenhängendem Land verunmöglichen will.

Was gibt Ihnen dennoch Hoffnung?
Es gibt unter jüdischen Israelis und Palästinensern immer wieder Menschen, die einen gemeinsamen Weg gehen wollen. Ich denke an die zunehmende Zahl von Eltern, die ihre Kinder bewusst in gemischte Schulen schicken und gemeinsam solche Schulen aufbauen. Es gibt palästinensische und jüdische Städte, die gemeinsam und gleichberechtigt Projekte verwirklichen. Es gibt jüdische und palästinensische Eltern, die im Konflikt ein Kind verloren haben, zusammen Selbsthilfe-Gruppen gründen und öffentlich für persönliche Kontakte und gegenseitige Achtung eintreten.

Es gibt ehemalige Soldaten und ehemalige Freiheitskämpfer – wie die Palästinenser sie nennen – oder Terroristen – wie die Israelis sagen –, die gemeinsam an die Öffentlichkeit treten und Schulen und Gruppen besuchen, um für einen gemeinsamen, gewaltlosen und gleichberechtigten Weg einzutreten. Das alles macht mir Hoffnung.

Wie kann es aber sein, dass nur eine Minderheit den Weg der Verständigung und Versöhnung geht?
Es ist eine Barriere in unserem Kopf. Man gewöhnt sich daran, den anderen als Feind zu betrachten. Vor anderthalb Jahren wollte ich das erste Mal das Café Palestine in Bern besuchen, wo sich Palästina-Engagierte treffen. Plötzlich bekam ich es mit der Angst zu tun. Was, wenn die erfahren, dass ich Jude bin? Die könnten mich lynchen, schoss mir durch den Kopf. Letztlich kam es zu wunderschönen Begegnungen. Am Büchertisch habe ich mich gegenüber einem Palästinenser als Jude zu erkennen gegeben, ich diskutierte länger mit ihm, zum Abschied gab es eine herzliche Umarmung. Es ist so schwierig und so wichtig, die eigene Barriere zu überwinden.

Was wäre ein Erfolg des Seminars vom 13. Mai?
Früher war man – das gilt auch für mich – entweder für die Palästinenser oder für die Juden. Ein Erfolg des Seminars wäre, wenn die Teilnehmer und Teilnehmerinnen das Anliegen beider Völker besser verstehen lernen. Das bedeutet nicht, gutzuheissen, was alles Schwieriges geschieht, die Terroranschläge oder die staatliche Gewalt. Aber es geht darum, ein tieferes Verständnis für die Sorgen und Nöte, für die Bedürfnisse und Hoffnungen von Palästinensern und Israelis zu gewinnen. Ein Erfolg des Seminars wäre für mich schliesslich auch, wenn Sumaya Farhat-Naser noch stärker als Referentin in kirchlichen, speziell auch freikirchlichen Kreisen entdeckt würde.

Zum Autor und den Seminarleitern

Remo Wiegand ist Leiter Inhalte bei ChristNet.

Seev Levy war jahrelang Sozialarbeiter in Bern, Sumaya Farhat Naser ist Biologie-Professorin aus Birzeit (Palästina) und langjährige Referentin zur Lage der Palästinenser in den besetzten Gebieten.

Hinweis: Das Seminar «Im Schatten des Feigenbaums» findet am 13. Mai am Theologisch-Diakonischen Seminar Aarau statt.

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Datum: 13.05.2017
Autor: Remo Wiegand
Quelle: kath.ch

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