Mitten im Konflikt: Martha Troxler pendelt zwischen Jerusalem und Bethlehem

Caritas Baby Hospital, Foto: Kinderhilfe Bethlehem
Foto: Kinderhilfe Bethlehem
Foto: Kinderhilfe Bethlehem

Jerusalem - An 136 Tagen des Jahres 2002 verhängte die israelische Armee eine totale Ausgangssperre über Bethlehem. Den Bewohnern der Geburtsstadt Jesu war ein Verlassen ihrer Häuser rund um die Uhr verboten. "Katzen und Hunde hatten es besser in dieser toten Stadt, denn sie konnten wenigstens über die Strasse springen", erzählt Martha Troxler. Seit fünf Jahren arbeitet die 52-jährige Schweizerin als hauswirtschaftliche Betriebsleiterin im Caritas-Baby-Hospital in Bethlehem. Den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern erlebt die Luzernerin als Grenzgängerin: Sie arbeitet in Bethlehem und wohnt in Jerusalem.

Ein kleiner Kulturschock

Für zwei Wochen im Urlaub, erzählt sie, wie unerhört schwierig es in Zeiten der Ausgangssperre in Bethlehem für viele Menschen geworden ist, sich auch nur das Lebensnotwendige zu beschaffen. Wenn sie dann etwa hier in der Schweiz sehe, was man in einem Supermarkt alles an Lebensmitteln und Konsumgütern in die Einkaufswagen lade, so verspüre sie schon einen kleinen Kulturschock, sagt sie.

Als Arbeitsort kennen gelernt hat die hauswirtschaftliche Betriebsleiterin - die zuvor auch in der Schweiz in Spitälern tätig gewesen war - den Geburtsort Jesu 1998 noch als blühende Touristen- und Pilgerstadt. Damals sei Bethlehem eine orientalische Stadt voll pulsierenden Lebens gewesen, die sich intensiv auf die Jahrtausendwende vorbereitet habe. Auf dem Krippenplatz hätten regelmässig internationale Konzerte stattgefunden, zu denen auch viele israelische Musikliebhaber aus Jerusalem herbei gereist seien.

Als der Friede nahe schien

Mehr noch: Israelis und Palästinenser seien damals, in jener fernen Zeit, friedlich nebeneinander in den Cafés der Stadt gesessen. Sie selber, erinnert sie sich, habe damals insgeheim gedacht: "Dieser Friede ist schon fast zu nahe, und die Politiker haben gemerkt, dass die Menschen miteinander auskommen können." Aber das war einmal: In Bethlehem ist die Haupteinnahmequelle Fremdenverkehr inzwischen fast ganz zum Erliegen gekommen.

Mit dem 29. September 2000, als der heutige israelische Premierminister Ariel Sharon in einem "Akt purer Provokation" und "mit dem Wissen der damaligen Regierung" den Tempelberg in Jerusalem besucht und damit die zweite Intifada der Palästinenser ausgelöst habe, sei dann die aufkeimende Friedenshoffnung abrupt zerstört worden, meint Martha Troxler rückblickend.

Sie erzählt, wie in Bethlehem zuerst Provokationschüsse zwischen Palästinensern und israelischen Siedlungen hin und her geflogen seien - auch über das Caritas-Baby-Hospital hinweg. Im Oktober 2001 deckte die israelische Armee eines der drei Flüchtlingslager in Bethlehem mit Geschossen ein. Nach einigen ruhigeren Monaten habe dann im April 2002, ausgelöst durch palästinensische Selbstmord-Attentate, die "grosse Invasion" begonnen, bei der unter anderem während vierzig Tagen die Geburtskirche in Bethlehem durch Palästinenser besetzt wurde.

Beängstigende Anpassungsfähigkeit

Martha Troxler hat jene Zeit ab Ostermontag 2002 mit der zehntägigen Ausgangssperre in unauslöschlicher Erinnerung: "Während zehn Tagen konnten alle, die im Spital waren, das Haus überhaupt nicht mehr verlassen – vierzig Menschen, die zur Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweisst wurden." Das Beängstigende dabei ist für sie die Erfahrung gewesen, wie rasch man sich anpassen kann.

Die Einsatzpläne im Spital richteten sich nach der Aufhebung der Ausgangssperre. "Man hat telefoniert und den Leuten gesagt, bei der nächsten Aufhebung der Ausgangssperre müsst ihr zur Arbeit kommen – auch wenn wir nicht genau wussten, wann das wirklich der Fall sein würde." So habe man damals einfach weitergelebt, aber es sei sehr hart gewesen. Und: Wenn dann noch die eigene Ohnmacht der Wut gewichen sei, habe sie sich noch hilfloser gefühlt.

Ohnmacht, Angst und Wut

Ohnmacht: Das Wort taucht im Gespräch mit Martha Troxler immer wieder auf. Wenn der Übertritt an der Grenze von Israel nach Palästina immer schwieriger wird, weil die Militär-Kontrollen an den Checkpoints zeitweise eher Schikanen oder reine Willkür sind. Und wenn dann die eigene Ohnmacht der Wut weicht.

Martha Troxler wohnt aber in Jerusalem, weil sie offizielle Vertreterin des Trägervereins Kinderhilfe Bethlehem im Staat Israel ist. Als solche hat sie jeweils bei den zuständigen Behörden die Visa-Anträge für Hospital-Mitarbeitende aus Europa einzuholen. In letzter Zeit würden jedoch kaum mehr Visas erteilt, sobald sich herausstelle, dass jemand noch, wie sie sich ausdrückt, "Fühler" in den palästinensischen Gebieten habe.

Angesichts der palästinensischen Selbstmord-Attentate ist die Angst zum ständigen Begleiter der Israelis geworden. Die Schweizerin berichtet, wie sie kürzlich in Jerusalem von einem Taxifahrer auf der ganzen Fahrt mit Vorwürfen eingedeckt worden sei: Weshalb sie ausgerechnet mit ihm zum Damaskustor fahren müsse, habe der Mann vor lauter Angst immer wieder ausgerufen. Angst und Wut werden auf beiden Seiten gezielt geschürt, damit sie politisch ausgeschlachtet werden können, sagt Martha Troxler.

Hüben wie drüben gehe jedoch zunehmend die Angst vor existenzieller Not um. Denn die Arbeitslosenquote ist sowohl in Israel wie in den palästinensischen Gebieten so hoch wie noch nie. In Bethlehem beispielsweise erreicht sie mittlerweile 80 Prozent.

Schmale Brücken

Die Lage scheint hoffnungslos. Kleine Zeichen der Hoffnung, schmale Verbindungsbrücken zwischen den beiden Lagern gibt es dennoch, meint Martha Troxler zuversichtlich. Kürzlich habe sie in Jerusalem von der enormen Arbeitslosigkeit in Bethlehem erzählt, und darauf seien einige israelische Frauen spontan in den Supermarkt gegangen, wo sie Lebensmittel gekauft und ihr gesagt hätten: Nimm sie nach Bethlehem und verteile sie dort, wo sie am Nötigsten sind - wir möchten ein Zeichen setzen.

Ein anderes Beispiel liefert ihr Arbeitsort, das Caritas-Baby-Hospital: Müsse ein Kind in ein anderes Spital verlegt werden, so sei die Zusammenarbeit der Ärzte mit israelischen Krankenhäusern nie ein Problem gewesen. Einmal hätten sogar israelische Ärzte im Caritas-Baby-Hospital Weiterbildungslektionen gegeben. So etwas stimme zuversichtlich. Trotz allem.

Datum: 19.02.2003
Quelle: KIPA

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