Schweizerischer Rat der Religionen

Der „Männerrat der Religionen“ und der eine Gott

Er wurde als „Meilenstein“ und europäische Pioniertat gefeiert, der im Mai gegründete Schweizerische Rat der Religionen. Allerdings geriet er wegen seiner Zusammensetzung als „Männerrat“ bald in die Kritik. Über 40 Frauen haben letzte Woche eine Neubesetzung gefordert. Die Kontroverse drängt andere Fragen in den Hintergrund, namentlich jene, für wen die sechs Religionsvertreter sprechen können.
Vertreter aus dem Christentum, Islam und Judentum bilden den "Rat der Religionen"
Interreligiöser Gottesdienst: Arthur Donath, israelitischer Gemeindebund (2.v.l.), Thomas Wipf (SEK, 3.v.l), Dr. M. Tufail (Islamistische Organisationen Schweiz, 2.v.r) und der christkatholische Bischof Fritz-René Müller (ganz rechts)
Für mehr Frauenbeteiligung im Rat der Religionen: Regula Strobel, Wort-zum-Sonntag Sprecherin
Muslime in der Schweiz
Alfred Donath, Präsident des Israelitischen Gemeindebundes

In einer Protestnote haben Frauen der drei Landeskirchen, fünf Jüdinnen und vier Musliminnen Ende Juni eine Neubesetzung des Rats gefordert. Frauen und Männer müssten „ihre Sicht der Dinge gleichberechtigt einbringen“ können, heisst es, umso mehr als die „religiöse und interreligiöse Basisarbeit mehrheitlich von Frauen geleistet“ werde.

Unter den Unterzeichnerinnen sind Béatrice Acklin Zimmermann (Universität Fribourg), die Präsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes Verena Bürgi-Burri, Monika Jakobs, Professorin für Religionspädagogik an der Uni Luzern, Madeleine Strub-Jaccoud (mission 21), die Wort-zum-Sonntag-Sprecherin Regula Strobel, Prof. Silvia Schroer und weitere feministische Theologinnen.

Konflikte betreffen vor allem Musliminnen

Der Ratsvorsitzende Thomas Wipf (Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund SEK) reagierte mit der Bemerkung, die Gleichstellung der Geschlechter sei für ihn selbstverständlich; doch die Frauen erachten dies als ungenügend. Sie fordern, das aus Wipf, dem Basler Bischof Kurt Koch, dem christkatholischen Bischof Fritz-René Müller, Alfred Donath vom Israelitischen Gemeindebund und den beiden Muslimen Farhad Afshar und Hisham Maizar bestehende Gremium müsse anders zusammengesetzt werden.

Denn „es geht nicht an, dass wichtige religionspolitische Fragen und Massnahmen zur Förderung des religiösen Friedens in der Schweiz ohne die Frauen verhandelt werden.“ Wolle man die Integration vorantreiben, müssten gerade die Konflikte besprochen werden, die vor allem Musliminnen betreffen, äusserte Saïda Keller-Messahli vom „Forum für einen fortschrittlichen Islam“ gegenüber der NZZ am Sonntag.

Weder Freikirchen noch Orthodoxe vertreten

Wie der Tages-Anzeiger schon bei der Gründung des Rats Mitte Mai bemerkte, sind nicht allein die Frauen nicht vertreten. Man könnte ins Feld führen, dass mit den sechs teils ergrauten Herren die junge Hälfte der Schweizer Bevölkerung abwesend ist. Gewichtiger noch: Es fehlen auch Repräsentanten der mehreren 100'000 hier lebenden Orthodoxen und der laut Tagi 200'000 Freikirchler; ebenso Buddhisten und Hindus. Thomas Wipf verwies vor den Medien auf den Abend vor dem zweiten Irakkrieg im März 2003, als Landeskirchenvertreter mit Juden und Muslimen im Berner Münster eine interreligiöse Feier veranstalteten. Damals sei die Idee entstanden, einen Ort der regelmässigen Begegnung zu schaffen.

Auf seiner Homepage preist der Kirchenbund den Rat der Religionen (SCR: für internationale Ausstrahlung gleich englisch abgekürzt: Swiss Council of Religions) als „Meilenstein auf dem Weg zu Dialog und religiösem Frieden“. Dem Bundesrat und den Bundesbehörden bietet sich der SCR an als „repräsentativer Gesprächspartner, der jede religiöse Frage allgemeiner Ordnung kompetent behandeln kann“, wie Donath meinte. Aktuelles zu bereden hat der Rat genug (Minarettbau!), doch ob er gefragt und konsultiert wird und Einfluss nehmen kann, steht auf einem anderen Blatt.

Afshar will öffentlich-rechtliche Anerkennung für den Islam

Deutlich wurde, dass der Schiiten-Vertreter Farhad Afshar den Rat als Vehikel sieht, die öffentlich-rechtliche Anerkennung islamischer Gemeinschaften zu befördern – ein Vorhaben, dem 2003 das multikulturell offene Zürich in der Volksabstimmung eine klare Absage erteilte. Der in Bern lehrende Soziologe Afshar, ein gebürtiger Iraner, steht der Koordination Islamischer Organisationen in der Schweiz (KIOS) vor.

Die KIOS umfasst laut der NZZ am Sonntag neben ein paar kleineren Vereinen die drei Kantonalverbände in Zürich, Bern und Basel. Die Zeitung schrieb: „Für wie viele Muslime Afshar steht, ist nicht klar: Seiner Meinung nach sind nur fünf Prozent der Muslime in der Schweiz organisiert.“ So gerechnet könnte Afshar, der vor Jahren an einer Tagung die Bedeutung der Landessprachen für die Integration der Muslime herunterspielte, höchstens 12-15'000 Einwohner der Schweiz vertreten – etwa so viele wie der Bischof der Christkatholiken.

Neue muslimische Dachorganisation

Erst ein paar Monate alt ist die „Föderation Islamischer Dachorganisationen“ des im Thurgau praktizierenden Arztes Hisham Maizar. Der gebürtige Palästinenser betrat im Mai die nationale Bühne und gab sich vor der Presse bereit zum Dialog auch mit säkularisierten Muslimen. In seiner Föderation sollen 10 von 14 Dachorganisationen aus allen vier Landesteilen verbunden sein, 130 der 300 muslimischen Vereine.

Thomas Wipf hatte bei den Vorbereitungsarbeiten auf Afshar gesetzt, doch muslimische Regionalvertreter wollten, wie die NZZ am Sonntag schrieb, offensichtlich nicht von ihm vertreten werden. Werden sich die vom Balkan und aus der Türkei stammenden Muslime – in der Deutschschweiz die grosse Mehrheit – von einem Iraner und einem Palästinenser, beide nicht Geistliche, sondern Akademiker, repräsentiert fühlen? Die hier lebenden Muslime sind aus über 100 Ländern eingewandert.

Auch in Nichtchristen am Werk: der Gott des SEK-Rats

Der Rat des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds SEK hat ein „Aktivitätsprogramm zum Thema Islam“ erarbeitet. Das Programm wurde im SEK-Bulletin 1/2006 vorgestellt. Darin heisst es nivellierend-knapp: „Gott wirkt in Christen wie auch in Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen.“ Von Mission ist nicht die Rede; „der christliche Glaube macht Mut zum Dialog, zum respektvollen Zusammenleben mit Menschen anderer Glaubensüberzeugungen“.

Im Blick auf die Menschenrechtsarbeit erwähnt der SEK-Rat zwar Christenverfolgungen in der islamischen Welt, doch „in gleicher Weise fordern einige islamische Gemeinschaften die Respektierung ihrer Rechte in der Schweiz ein“. Dies lässt den Leser denken, es gebe hierzulande eine Entsprechung zur prinzipiellen, rechtlichen wie sozialen Diskriminierung von Christen im Orient (sogar die Kopten in Ägypten, welche mehr Glieder haben als die Schweiz Einwohner, kämpfen um bürgerliche Gleichstellung).

Drei Religionen – „ein barmherziger Gott“?

Weiterhin zu Fragen Anlass geben Sätze in der Erklärung der Feier im Berner Münster im März 2003, die das hehre Ziel verfolgte, Spannungen zwischen den Religionsgemeinschaften abzubauen. Damals unterschrieben Wipf, Bischof Grab, Bischof Müller, Donath und Afshar den Satz „Wir bezeugen den gemeinsamen Glauben an den Einen barmherzigen Gott der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens“. Er löste in bibelorientierten evangelischen Kreisen Kopfschütteln aus und trug zur inneren Distanzierung mancher Protestanten vom Rat des Kirchenbundes bei.

Wie einig können die drei Ein-Gott-Religionen, die sich alle (in ganz unterschiedlicher Weise) auf Abraham berufen, gehen? Der Erlanger Theologe Hans Jürgen Luibl hat in der Reformierten Presse kürzlich bemerkt, dass „der Rückbezug auf Abraham keine religiöse Familie schafft, sondern den Streit eröffnet, wem Abraham – und damit etwa das Land im Nahen Osten, die Wahrheit der Religionen oder Gott – denn eigentlich gehört… Der Einheitsgott für alle, ob als Fluchtpunkt der abrahamitischen Religionen oder als zivilreligiöser Jedermann-Gott in einer europäischen Verfassung, hat ausgedient.“

Luibl plädiert dafür, dass die Theologie die Unterschiede zwischen den Religionen nicht „gebetsmühlenartig in eine Theorie der Einheit“ einsperrt. „Gerade Religionen, die der Wahrheit verpflichtet sind, sind es sich und ihren Gesellschaften schuldig, nicht immer nur die Gemeinsamkeiten, sondern gemeinsam die Unterschiede zu benennen.“

Datum: 05.07.2006
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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