Im Ramadan wird die Nacht zum Tag

Ramadan

Noch bis zum 25. November dauert der Fastenmonat Ramadan: Für Muslime stellt diese Zeit, in der von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf Essen und Trinken verzichtet wird, den Höhepunkt des islamischen Kalenderjahres dar. Seinen Abschluss findet der Fastenmonat am 25. November mit dem Fest des Fastenbrechens (Id al-fitr), das in seiner Ausgestaltung mit dem Weihnachtsfest vergleichbar ist. - Ein Augenschein in Emmenbrücke, Kanton Luzern.

Es ist Freitagmittag in Emmenbrücke. Während das Alltagsleben auf der Strasse wie gewohnt von Hektik und Verkehrslärm geprägt ist, entdeckt man beim Eintreten in die Räumlichkeiten des ehemaligen Kinos "Merkur" an der Emmenweidstrasse plötzlich einen Ort der Stille.

Von aussen ist kaum zu erahnen, dass sich im Innern des Gebäudes eine reich ausgeschmückte Moschee befindet, wo sich praktizierende Muslime mehrmals täglich zum Gebet treffen. Die nach und nach eintreffenden Männer ziehen im Eingangsbereich ihre Schuhe aus, dann begeben sie sich zum Waschraum, um vor dem traditionellen Freitagsgebet das notwendige Reinigungsritual vorzunehmen.

Der heilige Monat des Islam

Im eigentlichen Gebetsraum der Moschee ertönt bereits die Stimme des Imam (Vorbeter), der in arabischer Sprache singend Koranverse rezitiert. Vehbija Efendic, Präsident der bosnischen Gemeinschaft, begrüsst die Gläubigen. Die Betenden in der Moschee sind an diesem Freitag besonders zahlreich. Und das hat seinen Grund: Es ist Ramadan, der "Heilige Monat" im islamischen Festkalender. In dieser Zeit kehren selbst jene Muslime, die sich von der täglichen Glaubenspraxis entfernt haben, zur Quelle ihrer Identität zurück, zum Koran und zur Gemeinschaft derer, die sich und andere daran erinnern, dass es den einen Gott gibt, der das Leben schenkt.

Das besondere des Monats Ramadan ist im Koran ausdrücklich festgehalten. In Sure 2 ist zu lesen: "Der Monat Ramadan ist es, in dem der Koran herabgesandt wurde als Rechtleitung für die Menschen und als deutliches Zeichen der Rechtleitung und der Unterscheidungsnorm. Wer nun von euch in dem Monat anwesend ist, der soll in ihm fasten." Das Fasten im Islam bedeutet, dass Muslime von Beginn der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang nichts essen und nichts trinken, aber auch auf Rauchen und Beischlaf verzichten.

„Fasten ist keine Qual“

Dass das Fasten im Monat Ramadan für Muslime weit mehr ist als eine fromme Pflichtübung, wird nach dem Freitagsgebet im Gespräch mit einigen muslimischen Gläubigen deutlich: "Wenn man den tieferen Sinn des Ramadan mit seinem eigenen Herz erfasst, dann ist das Fasten keine Qual. Nein, dann erwartet man diesen Monat gar mit Sehnsucht", so betonen die beiden Bosnier Arif Bilic und Mohammed Alicic übereinstimmend. Das Fasten sei für sie Ausdruck der Achtung gegenüber Allah und zugleich ein Zeichen der Solidarität mit Menschen, die unfreiwillig Hunger leiden müssen.

Und Demir Yusuf aus der Türkei ist überzeugt, dass der Ramadan letztlich auch zu einem friedlichen Umgang unter den Menschen beitragen kann: "In der Türkei konnte man sogar feststellen, dass während des Ramadan rund 70 Prozent weniger Vorfälle von Kriminalität und Gewalt zu verzeichnen sind."

Während einzelne Männer immer noch in der Moschee verweilen, weil sie um 14.50 Uhr an einem weiteren Gebet teilnehmen möchten, sind etliche muslimische Frauen zu Hause bereits damit beschäftigt, die Vorbereitungen für das gemeinsame Abendessen zu treffen. Das gilt auch für Hana Mehmedovic, die Frau des Imam der bosnischen Moschee in Emmenbrücke, die an diesem Tag ein reichhaltiges Menü für das gemeinsame Mahl nach dem Fastenbrechen (der so genannten "Iftar") zubereitet.

Der Einbruch der Nacht ist für sie und ihre Familie ein frohes Ereignis, mit dem ein festliches Abendritual im Kreise der Familie verbunden ist: Um exakt 17.13 Uhr beginnt das so genannte "Fastenbrechen". Der Imam Cazim Mehmedovic, seine Frau Hana und ihre drei Kinder Medina, Muamer und Semina setzen sich gemeinsam an den Tisch. Der Vater reicht eine Schale mit Datteln herum, während die Mutter Wasser in die Gläser giesst. Alle kauen langsam und spülen die Früchte, die auch der Prophet Mohammed einst gegessen hat, mit Wasser hinunter.

Gemeinschaft steht im Zentrum

Alles geschieht bedächtig, denn der Magen bekommt erstmals seit Stunden wieder etwas zu tun. Auch das Wasser – das erste Getränk des Tages – ist eine Wohltat. Dann folgt ein Teller Suppe, und schliesslich kommen verschiedene duftende Spezialitäten aus der bosnischen Heimat auf den Tisch.

"Das Erleben von Gemeinschaft und auch die Gastfreundschaft gegenüber anderen Menschen ist für uns ein wichtiger Bestandteil des Ramadan", erklären Hana und Cazim Mehmedovic. Sie verweisen dabei auch auf das abendliche Zusammentreffen der muslimischen Gläubigen in der Moschee in Emmenbrücke, wo nach dem gemeinsamen Abendgebet – diesmal in Anwesenheit von Männern, Frauen und Kindern – stets dem gemütlichen Zusammensein eine wichtige Rolle zukommt.

Wetteifern unter den Kindern

Eigentlich wären die Kinder gar nicht dazu verpflichtet, am Fasten während des Monats Ramadan teilzunehmen. Doch der 13-jährige Sohn Muamer wetteifert auch dieses Jahr wieder mit seinen gleichaltrigen Kollegen darum, wer wohl freiwillig die gesamte Fastenzeit durchzustehen vermag: "Als ich noch klein war, fastete ich nur an ein paar Tagen des Ramadan. Doch bereits im letzten Jahr schaffte ich es, während des ganzen Monats zu fasten. Und ich freue mich jeweils darauf, am Abend in der Moschee wieder meine Kollegen zu treffen."

Im Ramadan wird die Nacht zum Tag – und darin liegt auch das Bezeichnende des Fastenmonats im Islam: die Verkehrung der gewohnten Routine des alltäglichen Lebens.

"Id al-fitr" – das Fest des Fastenbrechens

Die Tradition des Fastens ist in nahezu jeder Religion zu finden: Das gilt für den Buddhismus ebenso wie für das Judentum, das Christentum und den Islam. Denn Fastenzeiten sind wichtig für die religiöse Disziplin und die Einstellungen zum Leben. Ja selbst in säkularen Zusammenhängen hat sich heute das Fasten etabliert als ein Weg zu Selbstbesinnung und körperlichem wie seelischem Wohlbefinden.

Eine herausragende Bedeutung kommt dem Fasten in der muslimischen Religion zu: Hier gehört das Fasten im Monat Ramadan zu den so genannten fünf Säulen des Islam, also zu den Hauptpflichten, die ein Muslim gewissermassen als "Gottesdienst" durchführt. Allerdings ist zu diesem Gebot nur verpflichtet, wer das Fasten ohne gesundheitlichen Schaden durchführen kann: Kranke, Altersschwache, Schwangere, stillende Mütter, Frauen in der Menstruation und ähnliche Personengruppen sind von dieser Pflicht ausgenommen.

Personen, deren gesundheitliche Situation sich voraussichtlich nicht bessern wird, sollen laut Koran für jeden im Ramadan versäumten Fastentag einen Bedürftigen speisen ("Fidya"). Andere holen die versäumten Fastentage zu einem späteren Zeitpunkt nach.

Am Ende des 29 oder 30 Tage dauernden Fastenmonats Ramadan findet für Muslime eines der grössten Ereignisse des islamischen Festkalenders, statt: "Id al-fitr" – das Fest des Fastenbrechens, das in seiner Ausgestaltung mit dem christlichen Weihnachtsfest vergleichbar ist (es wird am 25. November begangen). Nach einem feierlichen Festgebet beglückwünschen sich die Muslime gegenseitig und drücken ihren Wunsch aus, dass Gott (Allah) ihr Fasten und ihre übrigen Gottesdienste annehmen möge.

Das Fest, bei dem insbesondere die Kinder mit kleinen Geschenken belohnt werden, dauert drei Tage. Traditionsgemäss werden an diesen Tagen auch Verwandte und Bekannte besucht, wie Laila Nabhan in einem Buch über das Fest des Fastenbrechens beschreibt: "Der id al-fitr ist ein Familienfest mit allen profanen Erscheinungen, die üblicherweise dazugehören. Im Kreise von Familie und Freunden artikuliert sich die Festfreude auf weltliche Art im gemeinsamen Essen und Trinken, im Austausch von Glückwünschen, in Familienausflügen und Aktivitäten sonstiger Art. Keiner wird vergessen, selbst weit entfernt lebende Verwandte reisen eigens zum Fest an. Die Kinder erhalten kleine Geschenke, und jeder kleidet sich so festlich er kann."

Link: Gebetsanliegen zur islamischen Welt: http://www.livenet.ch/www/index.php/D/article/411/

Autor: Benno Bühlmann

Datum: 19.11.2003
Quelle: Kipa

Werbung
Livenet Service
Werbung