Der Islam - Spiegel des Versagens christlicher Kirchen

Islam
Andreas Baumann, der Autor von „Der Islam – Gottes Ruf zur Umkehr?“

Mit dem 11. September 2001 ist die Kluft zwischen der islamischen Welt und dem Westen schockartig, brutal ins Bewusstsein gerückt. Viele Muslime empfanden Genugtuung darüber, dass der unangreifbar scheinenden Supermacht ein solcher Schlag versetzt werden konnte. Zwei Jahre später sind die tieferen Gründe der Kluft nicht genügend ausgelotet. Der Krieg gegen den Terror – geführt im Namen der menschlichen Zivilisation – könnte mehr zu ihrer Vernebelung als zur Klärung beitragen.

Viele Bücher sind zum Thema erschienen. Angesichts des Gewaltpotentials und der ‚blutigen Ränder des Islam‘ (Huntington) wird frühere Blauäugigkeit korrigiert. Es ist in Mode, von den Gefahren zu sprechen.

Einige Christen, die das Evangelium mit dem Anspruch von Jesus Christus an die Menschen ernst nehmen, schwimmen gegen den Strom. Sie stellen unbequeme, meist verdrängte Fragen zur 1400-jährigen Geschichte von Islam und Christentum. Heikel sind diese Fragen, weil sie Klischees unterlaufen und weil sie das Selbstbewusstsein des Westens und seiner Führungsmacht als hohl entlarven könnten.

Die Fragen betreffen den Kern der islamischen Religion, wie sie von Mohammed gestiftet wurde – und sie verstehen die grüne Religion als Reaktion aufs Versagen der Kirchen im Orient. Auf dem Hintergrund eines christlichen Verständnisses der Geschichte lautet die Hauptfrage: Ist der Islam im Grunde ein Ruf Gottes an die Christen, ein Ruf zur geistlichen Erneuerung? Der evangelische Missionstheologe Andreas Baumann meint Ja. Er führt christliche Selbstkritik nach 2001 durch in einem neuen Buch, das im Brunnen-Verlag erschienen ist.

Nach dem 11. September 2001 gab es unter Christen auch Überheblichkeit gegenüber Muslimen. Andreas Baumann plädiert dagegen für eine „selbstkritische Haltung in der Beschäftigung mit dem Islam“. Der Fastenmonat Ramadan etwa sollte Christen erinnern an die Fastenzeit, welche ihre Vorfahren einhielten, um sich ernsthaft auf Karfreitag und Ostern vorzubereiten. „Wo wir uns als Christen ehrlichen Herzen mit dem Islam auseinander setzen, da beginnt für uns auch die Auseinandersetzung mit unserem eigenen Glaubensleben.“

Früher sahen Christen den Islam auch „als einen Ruf Gottes an die Christenheit – einen Ruf zur Umkehr“. An diese heute weithin vergessene Sicht knüpft der 34-jährige Missionstheologe, der in Lörrach bei Basel lebt, an, wobei er gleich klarstellt, dass für ihn der Islam „ein religiöser Irrweg“ und nach biblischen Kriterien eine antichristliche Bewegung ist.

Wenn ein Armenier den Glauben seiner Väter aufgibt...

Einleitend beschreibt Baumann den glatten Übertritt eines Armeniers (dessen Volk sich rühmt, das älteste christliche Volk der Erde zu sein) zum Islam – um eine Türkin heiraten zu können. Ihn bewegt die Frage, wie sich das Christentum sein Ursprungsgebiet im Nahen Osten vom Islam abnehmen liess. „Wie konnte der Glaube an den auferstandenen Christus, der für sich beansprucht, dass ihm ‚alle Macht im Himmel und auf Erden‘ gegeben ist, hier so völlig besiegt werden?“

Wegen des Kinderreichtums wächst heute der Islam von allen Weltreligionen am schnellsten. Baumann weist auch auf die Europäer hin, die das Christentum hinter sich liessen und (wie der Popmusiker Cat Stevens) Muslime wurden. „Der Islam ist uns allen näher, als wir manchmal wahrhaben wollen.“

Staatliche Ebene – geistliche Ebene

Bei der aktuellen Auseinandersetzung mit dem Islam ist zwischen der staatlichen Ebene (muslimische Gemeinschaften bei uns haben sich an die Gesetze zu halten) und der geistlichen zu unterscheiden. Christen haben nach Baumann die Kraft des Heiligen Geistes, um Muslimen zu begegnen und gegenüberzutreten. Sie sollten es tun „mit dem lebendigen Wort Gottes, in Glaube, Liebe, Hoffnung und Geduld“. Muslimen sei das Evangelium von der Rettung in Christus zu verkündigen und die Liebe Gottes vorzuleben. Weiter mache der Dialog zum Kennenlernen und zur Regelung von Fragen des Zusammenlebens Sinn.

Baumann vermisst indes weitherum Selbstkritik und innere Umkehr bei Christen angesichts der religiösen Herausforderung des Islam. Selbstkritik, wie sie der Orientreisende Paul Schütz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vollzog. Schütz, vor 1930 in Kurdistan unterwegs, erkannte, dass die Kirche – in Europa wie im Nahen Osten – das Vertrauen verloren hatte, „das Vertrauen, das ihr Wort ernst zu nehmen willig macht“.

Der Autor hält fest, dass der Gott der Bibel nicht nur im Alten Testament, sondern auch im Neuen strafend und richtend eingreift – „im Sinne einer Erziehungsmassnahme“. Zitiert werden Bibelstellen wie Offenbarung 3,19. Allerdings will er zwei Ebenen unterschieden haben: Das historische Ereignis (der Siegeszug des Islam im Mittelalter) mag als Gottes Eingreifen verstanden werden – zum Wahrheitsgehalt des Islam als Religion ist damit noch nichts gesagt.

Islam als Gericht gesehen – schon im 7. Jahrhundert

Auch bei einzelnen Vertretern der orientalischen Kirchen findet sich das Verständnis des Islam als eines Gerichts Gottes. Im 7. Jahrhundert sah der nordägyptische koptische Bischof Johannes von Nikiu im Islam „vor allem eine Strafe Gottes für die byzantinische Kirche“, welche als Reichskirche andere Kirchen im Orient an die Wand drückte. Baumann bringt weitere, vor allem armenische Zeugen für die Auffassung bei, die er im Satz zusammenfasst: „Das (christliche) Volk hat Gott verlassen, und darum lässt Gott es zu, dass es von fremden Mächten besiegt wird.“

In der Reformationszeit bedrohten die Türken Europa; 1529 belagerten sie Wien. Schon eineinhalb Jahrhunderte vorher hatte der englische Kirchenkritiker John Wycliff prophezeit, der Islam werde so lange wachsen, „bis der Klerus zur Armut Jesu Christi ... zurückkehrt“. Solange die Kirche nicht von Grund auf reformiere, sei es sinnlos, gegen den Islam ins Feld zu ziehen. Martin Luther sprach angesichts des osmanischen Vorstosses vom Islam als „Gottes zorniger Rute“; ähnlich äusserte sich Johannes Calvin.

Gründe der Niederlage der orientalischen Kirchen

Dass der Islam sich überhaupt derart rasch ausbreiten konnte, hatte kirchengeschichtliche Gründe. Der deutsche Afrikanist Karl Meinhof schrieb 1906: „Wenn die Christenheit im Orient nicht versunken gewesen wäre in Bilderdienst, Aberglauben und öde Lehrstreitigkeiten, in Möncherei und äusserliche Werkheiligkeit – der Islam hätte nichts ausrichten können.“ (Baumann dokumentiert das Versagen der Kirchen in Arabien vor Mohammed; die Beduinen der Halbinsel wurden keiner eigenen Bibelübersetzung gewürdigt.) Aus der aktuellen evangelischen Missionsbewegung wird Eberhard Troeger zitiert, der fragt, ob „die Existenz des Islam als eine weltliche und religiöse Macht ... nicht bis heute ein Gericht Gottes über eine Kirche ist, die vielfach den Boden der Heiligen Schrift verlassen hat“.

Wegen der Vielschichtigkeit des Islam in der Geschichte mahnt Baumann davor, alle seine Facetten unter dem Gesichtspunkt des Gerichts Gottes zu sehen. Indessen meint er, dass diese Sichtweise sehr wohl aus der Bibel und anhand der Kirchengeschichte zu begründen ist. Darauf folgte die Frage: „Was könnten die Hintergründe und Ursachen für dieses Gericht Gottes sein? Wo haben wir als Christen versagt? Und wo müssen wir umkehren?“

Zerstrittene Christenheit, kriegslüsterne Ritter – und Sittenlosigkeit

An diesem Punkt lässt Baumann – auch das ungewöhnlich – Muslime sprechen. Aus ihrer Sicht präsentiert sich das Christentum heute ähnlich zerstritten wie zur Zeit, als Mohammed sich von ihm abwandte. Die unheilige Kampfeslust der Kreuzritter (die sich auch gegen die Ostkirchen und Juden richtete) hat sich dem islamischen Bewusstsein eingebrannt.

Das Versagen der christlichen Theologie setzte sich in der Neuzeit fort. Heute benutzen Verfechter des Islam im Westen die Argumente bibelkritischer (christlicher!) Theologen, um die Aussagen der Bibel als unglaubwürdig abzutun. Die Freizügigkeit im Westen, der manche Kirchenleute nichts entgegensetzen, schreckt Muslime als widergöttlich ab: „Aus islamischer Sicht ist die Lebensweise in unseren westlichen Gesellschaften ein eindeutiges Argument gegen den christlichen Glauben und für den Islam.“

Der Islam: Spiegel christlicher Schwächen und Fehlentwicklungen

Der Islamspezialist Emmanuel Kellerhals stellte 1943 in seiner Schrift „Der Islam, die Versuchung der Kirche“ Entsprechungen von Fehlern der Christenheit und dem Wesen des Islam dar. Erstens hätten die Christen im Einsatz von Machtmitteln für den Glauben ein schlechtes Vorbild abgegeben. Christus wählte einen anderen Weg: den Weg des Leidens. Er sandte seine Anhänger „wie Schafe mitten unter die Wölfe“ gesandt. Zugleich beanspruchte er die Herrschaft Gottes über alle Bereiche des Lebens – was viele Christen ablehnen.

Zweitens wies Kellerhals darauf hin, dass christliche Theologen die Logik des Denkens überbetonten. Der Islam nahm diese Einseitigkeit auf – er gilt vielen als ‚Religion ohne Rätsel‘, die beansprucht, rational und für alle Menschen begreiflich zu sein. (Daher begrüssten Aufklärer wie Lessing den Islam als ‚natürliche‘ Religion.)

Drittens stellt der Islam das Befolgen fester religiöser Regeln in den Vordergrund (wenn auch mehr, nämlich Ergebenheit in den göttlichen Willen gefordert wird). Schon Martin Luther sah, wie Baumann schreibt, in diesem Wesenszug des Islam eine Widerspiegelung der Werkgerechtigkeit, die er an der römischen Kirche verabscheute. Jesus forderte in der Bergpredigt gute Werke – entscheidend waren ihm aber die Beweggründe des Menschen.

Die natürliche Versuchung – im Gewand der Religion Mohammeds

Kellerhals folgerte: „Die Versuchung, der Mohammed erlegen ist und die sein Beispiel der Kirche unaufhörlich vor Augen hält, ist keine andere als die des natürlichen Menschen, der auch in uns wahrhaftig stark und ungebrochen genug lebt. Der Islam ist die Religion des natürlichen Menschen, der Gott für seine Zwecke brauchen möchte, statt sich von Gott für Gottes Zwecke gebrauchen zu lassen. Dieser Versuchung ... von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüte und aus allen unseren Kräften zu widerstehen ... dazu will das warnende Beispiel des Islam die Kirche immer wieder aufrufen.“

‚Sind wir tatsächlich Christen?‘

In der Folge plädiert Andreas Baumann für eine „umfassende Umkehr in die Gemeinschaft mit Gott, bei der wir Gott die Herrschaft und Verfügungsgewalt über unser ganzes Leben anvertrauen“. Er listet diverse Bereiche des religiösen Lebens hierzulande auf und fragt: „Sind wir in diesem Sinne tatsächlich Christen?“ Nur mit einer solchen Umkehr werde es gelingen, dem Islam geistlich kraftvoll zu begegnen.

Durchbruch zum wahren Leben – durch Umkehr

Anzeichen dafür, dass dies möglich ist, gibt es: In den vergangenen Jahren hätten mehr Muslime „zum lebendigen Glauben an Jesus Christus gefunden als je zuvor“, schreibt Baumann. Und die religiöse Szene des Nahen Ostens werde sich weiter wandeln.

Alles aber wird in der Sicht des Autors mit künftigen Entwicklungen im Schoss der Christenheit zusammenhängen. So schliesst das Buch mit den Worten des Sendschreibens an die urchristliche Gemeinde in Laodicea (Offenbarung 3), der wegen ihrer Lauheit das Ende der Gemeinschaft mit Gott angekündigt wird. Auch in diesem warnenden Schreiben lädt Gott noch ein, ihm die Tür zu öffnen – ihn einzulassen: „Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl halten und er mit mir.“

Andreas Baumann
Der Islam – Gottes Ruf zur Umkehr?
Eine vernachlässigte Deutung aus christlicher Sicht
Brunnen Verlag, Basel und Giessen, 2003

Datum: 11.09.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

Werbung
Livenet Service
Werbung