Wut und Resignation im Iran: Türen in eine bessere Zukunft zugeschlagen

wütende Iraner

Im Iran kommen die freiheitsdurstigen Jugendlichen und die Reformpolitikern, die ihre Wünsche aufnehmen, nicht an gegen die schiitischen Hardliner. Diese blockieren jede Öffnung des Landes. Am Donnerstag lehnte der Wächterrat, der von den konservativen islamischen Geistlichen dominiert wird, drei Gesetze ab, die das Parlament gebilligt hatte. Alle drei hätten die Bürgerrechte im Iran verbessern können.

Zum einen schmetterten die Mullahs zwei Gesetze ab, die den Iran verpflichtet hätten, die UNO-Konventionen zum Schutz vor Folter und gegen die Diskriminierung der Frauen zu unterzeichnen. Das dritte Gesetz des von Reformern dominierten Parlaments war darauf angelegt, die Macht des Wächterrats zu beschränken: Er hätte freiheitlich gesinnte Iraner nicht mehr an Kandidaturen für politische Ämter hindern können. Im Februar 2004 stehen Parlamentswahlen an.

Die drei Gesetze hätten sich gegen die iranische Verfassung und die Scharia, das islamische Gesetz, gerichtet, sagte der Sprecher des Rats zur Begründung. Besonders das Gesetz zur Besserstellung der Frauen hatte im Iran in den letzten Wochen zu hitzigen Diskussionen geführt. In der Stadt Qom, einem Zentrum der schiitischen Geistlichkeit, gingen Anfang August Islam-Gelehrte auf die Strasse, um gegen den Beschluss des Parlaments zu protestieren. Im Parlament sitzen 13 Frauen. Unter den 168 Staaten, die die UNO-Frauen-Konvention unterzeichnet haben, sind auch islamische Staaten.

Im Iran können sich die Frauen zwar etwas freier bewegen als in manchen Staaten auf der Arabischen Halbinsel. Aber sie sind, wie die BBC schreibt, eben doch Bürgerinnen zweiter Klasse: Vor Gericht gilt ihr Wort halb so viel wie das eines Mannes; sie haben bei Scheidungen und der Zuweisung des Sorgerechts das Nachsehen und können nur mit der Erlaubnis ihres Mannes ausser Haus arbeiten oder ins Ausland reisen.

Mit dem dreifachen Nein hat das Bollwerk der konservativen Geistlichen der Reformbewegung von Präsident Khatami einen weiteren Schlag versetzt, welcher im Land die Verzweiflung unter den Jugendlichen noch verstärken wird.

Der Wächterrat richtete in den letzten Wochen landesweit in aller Stille Büros ein, um potentielle Kandidaten fürs Parlament auf ihre islamische Gesinnung zu überprüfen. Vor einer Woche wagte es Innenminister Lari, die Schliessung all dieser Büros anzuordnen. Sie waren ohne Genehmigung der Regierung oder des Parlaments von Hardlinern eingerichtet worden, um reformorientierte Bewerber auszuschalten.

Nun forderte der Parlamentsabgeordnete Jafar Golbaz das Parlament auf, das Wahlgesetz dem Volk vorzulegen, um den Widerstand des Wächterrats gegen den Volkswillen zu brechen. Seit dem Amtsantritt von Präsident Khatami 1997 haben die Mullahs über 90 reformorientierte Zeitungen und Zeitschriften verboten.

Präsident Khatami gab in einer Rede am Dienstag zu, dass seine Reform-Agenda weitgehend unerfüllt geblieben sei. Er warnte vor einer noch tieferen Kluft zwischen den Mullahs und der Jugend des Landes. Er selbst habe heute Mühe aufzutreten, weil seine im Volk begrüssten Reform-Ideen nicht verwirklicht worden seien.

Im Juni wurden zahlreiche protestierende Studenten von Revolutionswächter-Banden verprügelt und verhaftet. Eine Handvoll wurde freigelassen, nachdem der oberste geistliche Führer Ayatollah Ali Khamenei die Justiz zur Milde aufgefordert hatte.

Die Präsenz der USA im Irak hat die soziale Spannung im Iran noch verschärft. Die von Khomeiny und seinen Nachfolgern ‚Satan‘ gescholtene Supermacht hütet sich bisher vor imperialistischer Kraftmeierei; sie würde damit den Goodwill, den sie bei jungen Iranern geniesst, schlagartig verspielen.

Viele Iraner blicken täglich Richtung USA: Nach Exil-Iranern, die in Kalifornien Sendungen erstellen, welche per Satellit in die iranischen Stuben flimmern, produziert seit Anfang Juni auch die staatliche Voice of America (VOA) eine Fernsehsendung in Farsi, der persischen Sprache. Das Programm mit dem Titel „Nachrichten und Ansichten“ bietet die Nachrichten des Tages, einen Mix von Ausland- und iranischen Aktualitäten.

Schon im letzten September hatte VOA eine wöchentliche Fernsehshow gestartet, in der der hippe Lebensstil junger Iraner in den USA gezeigt wird. Drei Monate später starteten VOA und Radio Free Europe/Radio Liberty das Radioprogramm Farda (das Farsi-Wort für ‚morgen‘), welches rund um die Uhr Musik und Nachrichten bringt.

Darauf verstärkte die iranische Führung das Jamming der Radio- und Fernsehwellen. Kenneth Y. Tomlinson, Chef der US-Behörde, die die staatlichen Medienanstalten kontrolliert, sprach von einer „systematischen Kampagne“ der iranischen Führung, die ihrem Volk die Wahrheit vorzuenthalten suche.

Schon 1996 begann der persische Dienst von VOA mit einer wöchentlichen TV-Show. Weitere Programme vor allem für die jüngere Hälfte der Bevölkerung kamen letztes Jahr dazu, nachdem Präsident Bush den Iran in die ‚Achse des Bösen‘ eingeordnet hatte, die Gruppe der Länder, welche Massenvernichtungswaffen mit terroristischem Potential herstellten oder dies zu tun versuchten. Das im Juni angelaufene Nachrichtenprogramm habe bereits in den ersten Wochen enorm viele positive emails aus dem Iran erhalten, sagten die Betreiber.

Verzweifelter Appell iranischer Studentenorganisationen an die UNO: http://www.livenet.ch/www/index.php/D/article/152/9105/

Datum: 18.08.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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