Debakel für die Araber

Araber
Araber
Frauen Islam

Krieg im Irak ist eine Tragödie für die betroffenen Menschen. Aber er ist mehr als das. Wenn das Zweistromland erneut von Krieg überzogen wird, treten Risse im islamischen Kerngebiet zu Tage, mit kaum absehbaren Folgen.

Das fruchtbare Land zwischen Euphrat und Tigris lockte immer wieder Eroberer und machtgierige Herrscher an. Saddam Hussein hat sich von einigen der ärgsten Despoten der Geschichte inspirieren lassen: der Selbstüberschätzung Nebukadnezzars, der Grausamkeit Timur Lenks, der Menschenverachtung Stalins. In Babylon erhebt sich einer von Saddams Palästen neben den Ruinen des untergegangenen Weltreichs.

Der Anspruch des Islam

Dass die westliche Supermacht USA 12 Jahre nach dem Golfkrieg wieder zu militärischen Mitteln greift, ist nicht nur eine Tragödie für die Menschen im Irak, es ist vor allem auch ein Debakel für die Araber - und die weltweite islamische Gemeinschaft, deren Führung sie beanspruchen. Denn der Islam behauptet, umfassenden Frieden zu schaffen. Frieden durch die gemeinsame Unterwerfung der Menschen unter den Willen Allahs.

Je mehr sich der Konflikt in den letzten Monaten verschärfte, umso deutlicher trat die Zerstrittenheit der arabischen Herrscher und ihre Hilflosigkeit zu Tage. Die unversöhnlichen Gegensätze zeigten sich an mehreren Konferenzen, wo führende Politiker einander öffentlich wüst beschimpften.

Seltene Selbstkritik

Selbstkritische Araber verzichten auf das anti-amerikanische Geheul mancher Medien, die George W. Bush als schiesswütigen Cowboy-Imperialisten darstellen. Auf der Internetseite der saudi-arabischen Zeitung Arab News erschien am Dienstag ein bemerkenswerter Artikel des Militärexperten Bander bin Abdullah bin Mohammed, der eine mögliche schonende Kriegführung im Irak skizziert.

Darin heisst es: "Wir haben unserer Arroganz und dem Verlangen nach Prestige gestattet, uns in den Irrtum zu führen. Wie könnten wir sonst den Schutz eines Landes, das zu den Ruhmesblättern der islamischen Zivilisation zählt, verwechseln mit dem Schutz eines Kriegsverbrechers und Feindes der Menschheit? Wie konnten wir zulassen, dass jemand wie Saddam Hussein ein Symbol für die gesamt-arabische Bewegung und arabische Würde wurde?"

‚Besessen, Krieg gegen Nachbarn zu führen'

Bander bin Abdullah bin Mohammed nimmt kein Blatt vor den Mund: "Wir haben es mit einem Mann zu tun, der davon besessen ist, Krieg gegen seine Nachbarn zu führen. Diese Besessenheit zeigte sich zuerst im Krieg mit Iran, der acht Jahre dauerte, über eineinhalb Millionen Menschen das Leben kostete und Hunderttausenden die Gefangenschaft brachte. Schliesslich kam es zur brutalen irakischen Invasion in Kuwait, mit einer Welle von Mord, Plünderung und Vergewaltigung."
"Es ist wirklich tragisch, dass wir nicht imstande waren, zwischen dem Land Irak und dem Herrscher Saddam Hussein zu unterscheiden. Wenn wir den Irak als Land bewahren und sein Volk schützen wollen, müssen wir Saddams Verbrechen gegen seine eigene Bevölkerung zugeben; dazu gehört, dass er Giftgas gegen sie einsetzte. Wir müssen fragen, wer sich gegen die Souveränität und Heiligkeit gutnachbarlicher Beziehungen und Verwandtschaft vergangen hat, wenn nicht Saddam. Wer - wenn nicht Saddam - hat die Armeen der Welt in unsere Region gebracht?"

Bricht der Irak auseinander?

Diese Sätze stehen in einem scharfen Kontrast zu den meisten Stellungnahmen. In den arabischen Medien werden die USA unablässig beschuldigt, Irak und seine Ölreserven gänzlich kontrollieren und die politischen Verhältnisse in der Region zu ihren und Israels Gunsten verändern zu wollen.

Die Araber fürchten, dass der Irak nach dem Abzug der Amerikaner auseinanderbrechen könnte. Schon deswegen protestieren ihre Herrscher gegen die drohende Besetzung. Der saudi-arabische König Fahd erklärte am Dienstag in einer Botschaft an seine Landsleute, der Krieg dürfe die Einheit und Unabhängigkeit des Iraks sowie seine Schätze und innere Sicherheit nicht schädigen; der Irak dürfe nicht besetzt werden.

Solche Proteste hätten mehr Gewicht, wenn die arabischen Staaten nicht versagt hätten angesichts der Aggressivität Saddams, wenn sein skrupelloser Missbrauch arabisch-nationalistischer Sehnsüchte und islamischer Slogans angeprangert und unterbunden worden wäre. Aber dies geschah nicht.

Weder die Arabische Liga noch islamische Autoritäten haben Saddam Hussein wirksam in die Schranken gewiesen und für eine Durchsetzung der zahlreichen UNO-Resolutionen seit 1990 gesorgt. Vielmehr beherbergen die Staaten am Golf seit 1990 US-Truppen, um sich zu schützen - ein Skandal nicht nur für Osama bin Laden, sondern für unzählige traditionsbewusste Muslime.

Angst vor Bürgern, die ihre Stimme erheben

Die Herrscher der arabischen Länder, die nicht in freien Wahlen an die Macht gekommen sind, fürchten nicht nur Instabilität im Zweistromland, sondern die Einführung westlicher bürgerlicher Freiheiten und Menschenrechte in die ganze Region. Sollten die Untertanen Saddams nach seinem Sturz wirklich Bürger des Landes werden und Bürgersinn entwickeln, sollten sie im Schatten der amerikanischen Truppen Elemente der Demokratie durchsetzen oder gar (mit Hilfe von zurückkehrenden Exil-Irakern) ein funktionierendes pluralistisches Gemeinwesen mit Machtteilung schaffen können, würde dieses Modell die ohnehin prekäre Stabilität anderer Länder gefährden.

In vielen arabischen Staaten nimmt die soziale Unrast wegen der Bevölkerungsexplosion zu. Die Reform-Debatten, die da und dort zugelassen werden, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass kleine Eliten die Macht autoritär in Händen halten. Eine Ausnahme bilden kleine, reiche Golfstaaten, die Schritte zur Beteiligung des Volks an politischen Prozessen unternehmen. Die Herrscher Saudi-Arabiens aber leugnen weiterhin die grundlegenden Menschen- und Bürgerrechte: Auf dem Territorium des Staats dürfen keine christlichen Kirchen gebaut werden, und politische Parteien stehen nicht zur Diskussion.

Pan-arabischen Schalmeien aufgesessen

Saddam Hussein bediente sich in der Vergangenheit schamlos der Parolen des gesamt-arabischen Nationalismus, was gerade den Bevölkerungsschichten einging, die kaum genug zum Leben und keine Perspektive hatten. So stellten sich 1990 die Palästinenser unter Arafat auf seine Seite.

Könnte es sein, dass auch die Grenzlage des Iraks die arabische Welt vom energischen Vorgehen gegen Saddam abhielt? Das Arabertum trifft im Zweistromland bzw. an seinen Grenzen auf die zwei stolzen Kulturen der Türken und der Perser sowie den aufbegehrenden Nationalismus der von allen niedergehaltenen Kurden.

Der tiefe Riss im Islam

Ein weiteres Hindernis für einen Neubeginn im Irak ist der Graben zwischen Schiiten und Sunniten, den Saddam mit seiner erbarmunglosen Unterdrückung des schiitischen Aufstands 1991 vertieft hat. Dieser tiefste Riss im weltweiten Islam geht zurück auf das siebte Jahrhundert, als 50 Jahre nach dem Tode Mohammeds die Führung der Gemeinschaft der Muslime umstritten war.

Nach schiitischer Auffassung war nicht der erste Kalif, Abu Bakr, sondern Ali, der Schwiegersohn und Cousin Mohammeds, der rechtmässige Nachfolger des Religionsstifters. Zwanzig Jahre nach Alis Ermordung fiel auch sein zweitältester Sohn, Hussein, mit wenigen Getreuen in einer aussichtslosen Schlacht gegen ein Heer des Kalifen. Die Schlacht fand bei Kerbela im Süden des Iraks statt.

So stellt das Irak-Debakel indirekt die Frage nach der einigenden und Frieden schaffenden Kraft der islamischen Religion in der arabischen Welt. Die Sklaverei, in die Saddam und seine Clique die irakische Bevölkerung führten, widerspricht der grundlegenden Gleichheit aller Menschen vor Gott, die der Islam proklamiert.

Hürdenreicher Neubeginn

Die Zeit der Diplomatie ist vorerst abgelaufen. Was kann eine westliche Streitmacht auf Dauer im Mittleren Osten ändern? Die Supermacht USA wird an den Worten ihres Commander-in-Chief George W. Bush gemessen werden, der dem irakischen Volk die Verfügung über die Bodenschätze ihres Landes zugesagt und Freiheit versprochen hat.

Freiheit misst sich an den Entfaltungsräumen, die den Minderheiten gewährt werden, auch den Christen. Die Gestaltung eines neuen Iraks setzt aber auch voraus, dass die Machthaber den imperialistischen Gelüsten türkischer Politiker und Militärs nach nordirakischen Ölfeldern entgegentreten. In alledem fragt man sich, ob sich die Kurden je freiwillig unter das Dach eines irakischen Staats begeben werden.

Datum: 20.03.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

Werbung
Livenet Service
Werbung