Säkulare Therapie

Vermischung von Psychotherapie und Esoterik

Während christliche Therapeutinnen und Therapeuten sich fragen, wie weit sich klassische Therapien mit christlichen Konzepten kombinieren lassen, kommt es in der säkularen Therapie immer mehr zu einer Vermischung von Psychotherapie und Esoterik.
Sophie Freud erhob öffentlich Einspruch.
Eugen Biser
Bert Hellinger

In Wien fand vor einigen Jahren der zweite Weltkongress für Psychotherapie statt. Der Bereich „Religion und Spiritualität“ nahm dabei einen unübersehbar grossen Raum ein. Neben bekannten Esoterikern kamen prominente Theologen wie Eugen Biser zu Wort. Das Spektrum reichte von qualifizierter Diskussion um die wissenschaftlichen Grundlagen der Psychotherapien bis hin zum dreistündigen Workshop über das Arbeiten mit tierischen Hilfsgeistern.

Fatale Vermischung

Am Kongress waren Psychotherapie und Esoterik auf hohem Niveau vermischt. Eine Wiener Psychoanalytikerin stellte professionell den Fall eines depressiven Menschen nach einem wissenschaftlichen Krankheitsmodell dar. Sie habe ihre Behandlung jedoch ergänzt durch „energetisches Laden“. Erst in der Zusammenarbeit zwischen herkömmlichen psychoanalytischen Methoden und den Einsichten der transpersonalen und astrologischen Psychologie könne Menschen wirklich geholfen werden.

Bert Hellinger verwendete einerseits bewährte Elemente der systemischen Familientherapie, andererseits stellte er eine magische Atmosphäre mit sich selber als „(Er-)Löser“ her. Die hochbetagte Sophie Freud, Psychologie-Professorin und Enkelin von Sigmund Freud, erhob öffentlich Einspruch.

Religionskritik der Gründerväter

Sigmund Freud war der Religion gegenüber extrem kritisch, er bezeichnete sie als mehrheitlich krankmachend. Alfred Adler würdigte die jüdisch-christliche Religion, fand aber, seine Individualpsychologie werde die Religion überflüssig machen. C.G. Jung war grundsätzlich offen für Religion, vermischte sie aber synkretistisch. Die humanistischen Psychologen der 60er- und 70er-Jahre hatten meist ein gebrochenes Verhältnis zur Religion. Maslow fand lange, das höchste Bedürfnis des Menschen sei die Selbstverwirklichung, bis er erfasste, dass es noch ein höheres gibt: das Bedürfnis nach Transzendenz.

Welche Art von Ergänzung?

Darin stimmen ihm christliche Therapeuten zu. Der Mensch braucht mehr als eine Beziehung zu einem menschlichen Du, zur Schöpfung und zu sich selbst. Denn „unser Herz kommt nicht zur Ruhe, bis es ruht in dir, o Gott“ (Augustinus). Dass die wissenschaftliche Therapie sich also ergänzen will, Aspekte einbezieht, die den Menschen übersteigen, ist nicht verwunderlich. Die Frage ist nur, wie die Transzendenz verstanden wird, was dieses Transpersonale ausmacht. Es schmerzt mich, dass hier so wenig vom christlichen Wirklichkeits- und Gottesverständnis gewusst und geglaubt wird.

Wer mit Engeln in Kontakt zu kommen meint, ist noch lange nicht bei Gott dem Schöpfer. Denn auch sie sind Geschöpfe. Auch wenn man die Grenze der sichtbaren Welt übersteigt, bleibt Gott jenseits als der ganz Andere. Gott, der wirklich Transzendente, wird nur erkannt, wo er sich offenbart. Er hat sich in Jesus, dem Christus, unübertroffen gezeigt. Unser VBG-Fachkreis* „Psychologie und christlicher Glaube“ steht in der gegenwärtigen Situation vor einer grossen Herausforderung:

Einerseits bejahen wir, dass die wissenschaftlichen Methoden durch Aspekte ergänzt werden, die den Menschen übersteigen. Wir tun dies zum Beispiel im Gebet. Andererseits haben wir kritische Anfragen an vieles, was da die Wissenschaft ergänzen soll wie Reinkarnation, Astrologie, Channelling. Gewisse Methoden, die Esoteriker wichtig finden, sind sinnvoll, wie zum Beispiel die Entdeckung von Ritualen. Doch mit gewissen Inhalten esoterischer Rituale habe ich als Christ Mühe. Manche esoterischen Methoden wie das Arbeiten mit tierischen Hilfsgeistern sind schon aus fachlichen Gründen klar abzulehnen.

Übertriebene Kritik

Vier deutsch sprechende Psychologieprofessoren haben gegen den Esoterik-Boom in ihrer Branche Alarm geschlagen. Sie verlangen Klärung und Abgrenzung. Sie gehen meiner Meinung nach aber zu weit, wenn sie auch Methoden wie Familienaufstellung und Neurolinguistisches Programmieren (NLP) grundsätzlich in Frage stellen. Diese seien wissenschaftlich zu wenig geklärt. Hier sind aber nicht die Methoden an sich zu kritisieren, sondern ihre Verbindung mit esoterischen Inhalten, was zugegeben häufig geschieht. Wo sie von Christen mit Unterscheidungsvermögen und genügender Ausbildung angewandt werden, habe ich keine Bedenken.

Christliche Psychotherapeuten diskutieren die Frage: Treibe ich als Christ klassische Psychotherapie, oder gibt es eine christliche Psychotherapie? Esoteriker bieten ohne Hemmungen eine esoterische Psychotherapie an. Die Frage nach einer christlichen Psychotherapie bleibt aktuell.

*Verzeichnis christlicher Fachleute für psychologische Beratung, Psychotherapie und Psychiatrie

Datum: 24.04.2007
Autor: Walter Gasser
Quelle: Bausteine/VBG

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