"Om" im Zürcher Hallenstadion

Der Dalai Lama, Symbolfigur des Buddhismus, wird in Zürich während einer Woche Tausenden von Menschen eine Illusion lehren.
Stadion

Eine tibetische Prophetie aus dem 8. Jahrhundert besagt, zur Zeit der „eisernen Vögel“ komme die buddhistische Lehre vom Osten in den Westen. Das geschieht vor unseren Augen. Der Dalai Lama fliegt per Flugzeug die westlichen Länder an. Staatschefs begrüssen den im Exil lebenden, politischen und geistigen Führer der Tibeter, um mit ihm aufs Bild zu kommen.

Das Programm ist stets sehr ähnlich:

a) Wissenschaftler laden „Seine Heiligkeit“ ein zu Gesprächen über das Zusammenspiel von Gehirn und Geist.

b) Tausende Menschen auf der Suche nach Sinn jenseits von Geld und Zinsen unterziehen sich Meditationsübungen, chanten Symbol beladene Silben und hängen an den Lippen des väterlich-freundlichen Gottkönigs aus dem Osten.

c) Führer verschiedener Religionen reichen sich zusammen mit dem Dalai Lama die Hand.

Dieses Programm wiederholt sich auch in Zürich.

Noch bevor der Dalai Lama die Massen ins Hallenstadion mobilisiert, ist er Gast an der Universität Zürich und der Eidgenössisch-Technischen Hochschule (ETH). An der Uni wird der die Ausstellung im Völkerkundemuseum eröffnen und – selbstverständlich – an einem neurowissenschaftlichen Symposium teilnehmen.

Wo sind die Berührungspunkte von Neurobiologie und Spiritualität? Was weiss die neurowissenschaftliche Forschung über den Geist, über seine Krankheiten und über künstliche Intelligenz? Spitzenforscher der Universität Zürich werden ihre Thesen zu diesen Fragen erörtern und mit dem Dalai Lama diskutieren.

Ein zweites Symposium findet an der ETH statt. Unter dem Vorsitz des Dalai Lamas werden Wissenschaftler über das Thema „Fear and Anxiety“ diskutieren. Mit dabei sein wird Prof. Dr. Dr. Richard Ernst, der 1991 den Nobelpreis für Chemie erhielt. Er leitet das Labor für physikalische Chemie der ETH.

Das Interesse der Neurowissenschaft an der buddhistischen Meditationspraxis ist ein wichtiger Grund für die hohe Akzeptanz des Dalai Lama im Westen. An so renommierten Hochschulen wie dem Massachusetts Institute of Technology und der Harvard University oder der University of Wisconsin-Madison treffen sich buddhistische Mönche mit Neurowissenschaftlern, um Gemeinsamkeiten zu entdecken. Beide Gruppen interessieren sich für die Themen Aufmerksamkeit, Vorstellungskraft und Emotionen. Die Forscher wollen herausfinden, welche Auswirkungen, jahrelange Meditation auf die menschliche Wahrnehmung hat.

Die Neurowissenschaftlerin Olivia Carter (University of Queensland, Australia) ist inzwischen überzeugt, dass die Meditation die Art, wie das menschliche Gehirn arbeitet, dauerhaft verändern kann („Current Biology“, Bd. 15, S. 412).

.21.Auch Stephen Kosslyn (Harvard University) führt gegenwärtig eine Studie über die visuelle Vorstellungskraft von Meditierenden durch. Demnächst wird man die Mönche wohl in einen Magnetresonanz-Scanner legen, um abzulichten, was in ihrem Hirn vorgeht. Gut möglich, dass auch die ETH Zürich ein solches Projekt mit dem Segen des Dalai Lama beginnen wird.

Noch nie hat das geistige und politische Oberhaupt der Tibeter ausserhalb seines indischen Exils während acht Tagen in Folge unterrichtet. Die Schweiz scheint dazu prädestiniert zu sein. Nach einem Jahr Umbauzeit wird das auf 13000 Plätze vergrösserte „Hallenstadion 2000plus“ in Zürich am 31. Juli offiziell wieder eröffnet werden. Als erster Fremdnutzer überhaupt wird der tibetische Dalai Lama mit seiner Entourage vom 5. bis 12. August darin auftreten. Er will den Weg „zur Überwindung der Leid schaffenden Emotionen“ aufzeigen und das Morgens und nachmittags während zweier voller Stunden, auf tibetisch mit Simultan-Übersetzung. Ein mehrtausendköpfiges Publikum wird dabei dem „Ozean der Weisheit“, der 1989 den Friedensnobelpreis erhielt, an den Lippen hängen.

Im bunten Patronatskomitee des Zürcher Anlasses sitzt neben dem US-Schauspieler Richard Gere, dem Theologen Hans Küng, dem Wissenschaftler Richard Ernst und dem Unternehmer Andreas Reinhart eine bunte Schar Schweizer Politiker: Die Ständeräte Eugen David und Hans Hofmann, Nationalrat Mario Fehr, dazu Stadträtin Esther Maurer vom Zürcher Polizeidepartement.

Die Einfachheit und Freundlichkeit, sowie das unpolitischen Lehrgebäude machen den Dalai Lama kulturell kompatibel. Über den freundlichen 70-jährigen gelangt der Buddhismus zu geistig ausgehungerten Westlern, die sich davon Hoffnung auf eine bessere Welt versprechen.

In Zürich kostet eine Tageskarte zum Besuch der Vorträge 75 Franken. Günstiger geht’s mit der Wochenkarte. Die kostet 450 Franken und die entsprechenden Ferientage. Wer sich als Gönner bekennt, zahlt von sich aus mindestens 2500 Franken. Schon im Februar waren 4000 Wochenpässe verkauft. Trotz der happigen Preise wird der Anlass als nicht Gewinn orientiert beschrieben. Ein allfälliger Überschuss wird vom Dalai Lama an gemeinnützige Institutionen weitergegeben werden. Die buddhistischen Zentren dürfen sich freuen.

Noch steht nicht fest, ob ein Bundesrat den Dalai Lama offiziell begrüssen wird. Sein Besuch wird nicht offiziell vom Staat unterstützt. Die chinesischen Diplomaten sähen das nicht gerne. Trotzdem ist es kein Zufall, dass das Präsidialdepartement der Stadt Zürich vom Organisationskomitee als Partner aufgeführt wird.

Die in administrativer Hinsicht rechte Hand des Stadtpräsidenten ist Ralph Kühne. Er bereitet alle Empfänge für ausländische Gäste vor. Auch der Besuch des Dalai Lama beansprucht seine Dienste.

Ist der Führer der Tibeter für Zürich ein Staatsmann? Kühne verneint. Es gebe auch keine finanziellen Beiträge seitens von Stadt und Kanton. Man helfe dem OK lediglich so, wie man auch anderen Grossveranstaltern helfe: Kontakte herstellen zu Amtsstellen, organisieren der nötigen Absperrungen, helfen beim Einrichten von Zivilschutzanlagen als Schlafstellen; Preis pro Person und Nacht im Schutzraum Rösliwiese 25 Franken, immer noch genug für mittellose Mönche. Doch wenn diese einen ermässigten 8-Tagespass für 230 Franken kaufen, dürfen sie die Zürcher Verkehrsbetriebe kostenfrei benutzen – immerhin. Zahlen tun dann andere.

Nach Angabe des Veranstalters wird „Seine Heiligkeit“ darüber sprechen, „wie positives Verhalten, welches die Leid schaffenden Emotionen überwindet, entwickelt werden kann und wie dies zu einem glücklichen und friedvollen Leben führt“. Die entsprechenden Texte enthielten nicht nur „spirituelle Übungen und Meditation“, sondern sie widerspiegelten auch den „den Wesenskern des buddhistischen Gedankengutes“.

Der Besuch des Dalai Lama in Zürich ist nicht zuletzt ein Werbefeldzug für die Spiritualität des Buddhismus. Während einer ganzen Woche lehrt der sanfte Krieger unter anderem aus Shantidevas „Bodhicaryavatara“, der „Anleitung für das Leben als Bodhisattva“. Es ist ein Werk aus dem Mahayana-Buddhismus in Indien und Tibet. Sein Autor Shantideva (8. Jh.) zählte zu den bedeutendsten buddhistischen Meistern Indiens.

Wie das österreichsche buddhistische Online-Magazin „ursache.at“ schreibt, gilt Shantideva als im buddhistischen Sinne „vollkommen“: Äusserlich vollkommen durch ethisch richtiges Verhalten, innerlich vollkommen im Streben nach Erleuchtung und „auf der sogenannten geheimen Ebene vollkommen in seiner Praxis der buddhistischen Tantras“.

Die meisten Dalai-Lama-Besucher hoffen, durch die buddhistische Meditation den Hass und Unfrieden im eigenen Herzen überwinden zu können. Doch über die Wurzeln des Buddhismus und dessen magische Hintergründe ist den wenigsten Genaueres bekannt.

Im buddhistischen Weltbild hat nichts eine eigene Existenz. Es gibt keinen übergeordneten Gott. Im Christentum ist der Schöpfergott unendlich und persönlich zugleich. Bei der Botschaft des Evangeliums geht es um Tod und Leben. - Wer sagt in einer Zeit des geistigen Durcheinanders, dass der Kern des Buddhismus unvereinbar ist mit der Lehre des Christentums?

Von seiten der beiden Grosskirchen hatte diesen Mut letztmals der katholische Bischof von Graz, Egon Kapellari. Beim Dalai-Lama-Besuch im Jahr 2002 hielt er seine Kirchenmitglieder an, den buddhistischen Ritualen fernzubleiben.

Der Dalai Lama seinerseits reisst jede Abgrenzung sofort ein. Niemand müsse seine angestammte Religion wechseln, um dem buddhistischen Weg zu folgen. Demonstrativ vor der buddhistischen Lehrveranstaltung findet auch in der Schweiz in der Klosterkirche Einsiedeln ein interreligiöses Treffen statt. In einer postmodernen Zeit kommen solche Signale gut an.

Schon 1973 hat der in China geborene Historiker und christliche Philosoph Os Guiness gesagt: „Die Wendung nach Osten kommt in einer Zeit, in der das Christentum schwach ist in jenen Punkten, in denen es stark sein sollte, um dem Osten zu widerstehen. Ohne diese Stärke, wird die östliche Religion für das Christentum zu einem neuen, gefährlichen Gnostizismus, doch dieses Mal wird der Kampf weitgehend verloren sein, noch bevor einige die Gefahr erkennen.“

Der Deutsche Siegfried Schnabel, der zwölf Jahre in Japan lebte, stellt unmissverständlich fest: „Buddha leugnete die Existenz eines Schöpfers, ja überhaupt irgend eines absoluten Wesens. Selbst das Universum ist eine Leere und Illusion. Der Gedanke an Gott bzw. Götter sei Ablenkung von dem, was der Mensch selbst tun kann. So ist der ursprüngliche Buddhismus letztlich verkappter Atheismus.“

Der ehemalige amerikanische Buddhist James C. Stephens erinnert die Christen: „Unser Kampf ist nicht gegen die Tibeter - für sie gab Jesus Christus sein Leben - sondern er ist für sie, indem wir ringen gegen die Geister der Finsternis, welche sie seit Jahrhunderten in geistigen Fesseln gefangen halten“ (vgl. Eph. 6,12).

Stephens führt seit 1988 das Sonrise Center für Buddhist Studies im kalifornischen Sierra Madre. Ziel des Zentrums ist es, die christliche Gemeinde zu informieren und auszurüsten für den Dienst in einem buddhistischen pluralistischen Umfeld.

Im der FACTUM-Printausgabe findet sich neben ergänzenden Hintergrundangaben zudem ein ausführlicher Artikel über den Inhalt der Lehre des Dalai Lama sowie ein Interview mit dem Ex-Buddhisten Martin Kamphuis.

Livenet-Dossier zum Thema: http://www.livenet.ch/www/index.php/D/article/387/

Thema im Internet:
http://www.musethno.unizh.ch/
http://www.neuroscience.unizh.ch/
http://www.150jahre.ethz.ch/program/others/veranstaltungen/Symposium
http://www.thedalailama2005.ch
http://www.tibet.com/
http://www.gateway-ev.de

Datum: 25.07.2005
Autor: Rolf Höneisen
Quelle: factum Magazin

Werbung
Livenet Service
Werbung