Wille Gottes (dritte Bitte)

Endzeitliche und Gegenwartsbedeutung der dritten Bitte

Die dritte Bitte zielt wie alle Bitten des Vaterunsers auf das Kommen des neuen Weltlaufs.* Der Sinn ist der: Es möchten hier auf der Erde Zustände eintreten, in denen das Tun des Willens Gottes ebenso selbstverständlich und allgemein ist, wie es jetzt bei den Engeln im Himmel ist.

Wie alle Bitten des Herrengebets hat aber diese auch Gegenwartsbedeutung für die Gemeinde, die in diesen Weltzuständen lebt. »Dein Wille geschehe«, das ist nicht bloss die Bitte um Gehorsam und Kraft zum Leiden. Es geht vor allem darum, dass wir fähig werden, den Willen Gottes tätig zu erfüllen.

Wir bitten darum, dass der gött­liche Wille bei uns ebenso geschehe wie bei den Engeln in den Himmeln. Wie geht es bei ihnen zu? Die Engel »sehen allezeit das Angesicht ihres Vaters in den Himmeln« (Matth. 18,10; Angesicht bedeutet Person).** Damit ist gesagt: Die Engel stehen unmittelbar vor dem Allmächtigen; sie empfangen von ihm persönlich die Weisungen für ihr Tun; diese erfüllen sie dann unweigerlich und pünktlich.

In der dritten Bitte geht es um klare Weisungen von oben und um die Kraft, sie zu erfüllen

Die dritte Bitte hat also den Sinn: Wir möchten dessen gewürdigt werden, unmittelbar vor Gott zu stehen und von ihm klare Verfügungen zu erhalten, damit wir ganz genau wissen, woran wir sind. Wir bitten gleichzeitig um den soldatisch klaren und gerafften Willen, der die Befehle ohne Seitenblick und Zaudern ausführt.

Es ist nicht möglich, mit Hilfe vorhandener Grund­sätze oder mit der aufgeschlagenen Bibel zu erkennen, was Gottes Wille ist. Soldaten können es im Krieg nicht aus Lehr­büchern der Taktik oder ihrer Felddienstordnung ablesen, was ihnen jetzt obliegt - sie brauchen dazu die ausdrücklichen Be­fehle der Heeresleitung.

Es liegt auf der Hand, dass auch die Gemeinde nicht imstande ist, den Willen Gottes zu treffen, wenn sie zur Orientierung nur auf Bibel und Katechismus an­gewiesen ist. Beim Handeln nach Bibelworten bleibt so viel Raum für willkürliche Auslegung oder Auswahl des Wortes, nach dem man sich richtet; oder wenn man es am besten meint, kann man doch solchen Schwankungen und Irrungen ausgesetzt sein, dass man völlig danebengreift.

Eine Grundvoraussetzung der christlichen Lebenshaltung ist die deutliche Führung von oben

Freudiger Gehorsam und Klarheit kommen erst in unser Leben, wenn es uns von Mal zu Mal unmissverständlich gewiesen wird, was jetzt gilt. Lässt die Weisung einmal auf sich warten, so soll der Christ fest und aufrecht stehen auch vor seinem Gott und nicht wanken und weichen, bis er sie erhalten hat.

Wir haben viele Worte in den Evangelien, die uns zeigen, wie es darauf ankommt, sich von Gott nicht abweisen zu lassen und schnur­stracks auf das Grösste loszusteuern (Luk. 11,5-8; 18,1-8; Matth. 8,8-10; 15,21-28).

Wer den Willen Gottes tun will, muss den Weg der Moral verlassen

Paulus dringt in seinen Briefen wiederholt darauf, die Leser möchten nicht herabsinken in die laue, unschlüssige Willens­haltung der blossen Moral; sie möchten unbedingt in jeder Lage durchdringen zur Erkenntnis, was hier Gottes Wille ist.

So im Römerbrief (12,2): »Handelt nicht, wie es in diesen Welt­zuständen üblich ist, nach ›Schemen‹ und Grundsätzen; nehmt vielmehr ein anderes Wesen an, indem sich euer Sinn erneuert. Dann könnt ihr auch recht beurteilen, was Gottes Wille ist.«

Den Willen Gottes kann man also nicht tun, wenn man eifrig die Moral befolgt, sondern erst wenn man radikal dem Weg der Moral absagt und den Weg der göttlichen Führung betritt.***

* Siehe den Artikel zu «Welt».
** Siehe auch den Artikel zu «Name».
*** Siehe die Artikel zu «Weg» und «Wege».

Datum: 09.12.2009
Autor: Ralf Luther
Quelle: Neutestamentliches Wörterbuch

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