Leib Christi

Leib Christi heisst die Gemeinde, weil durch sie der erhöhte Christus in diese Welt hereinragt

Die Gemeinde ist das Organ des in die Welt hineinwirkenden Christus. Christus ist zu gross, als dass er sich in vereinzelten Personen ganz verkörpern könnte. Der einzelne christusnahe Mensch kann immer nur einen Teil oder eine Seite seiner Fülle fassen.

Die Gemeinde aber ist »die Fülle des, der alles in allen erfüllt« (Eph. 1,23). Sie ist die Gesamtperson, deren Glieder in dem einen Haupt zusammengefasst werden zu völligem Einssein. So urteilt nicht nur Paulus. Jesus selbst schaut das Leben der Seinen unter dem Bild des lebendigen Organismus (Weinstock, Joh. 15); er bittet darum, sie möchten alle vollkommen eins sein.

Gerade die Verschiedenheit der einzelnen Gemeindeglieder ermöglicht ihre Zusammenfassung zu einem Organismus

Dass die einzelnen Gemeindeglieder sehr verschieden begabt sind und auch sonst sich in vielem sehr voneinander unterscheiden, ist kein Hindernis zum Einssein. Es ist vielmehr so, dass lauter gleichbegabte und gleichgeartete Menschen keine Gemeinde bilden könnten, ebensowenig wie lauter gleiche Glieder einen Leib bilden können (1. Kor. 12).

Die verschiedenen Glieder der Gemeinde ergänzen sich durch die Mannigfaltigkeit ihrer Gaben und Kräfte. »Organisation« ist die Zusammenfassung der Gleichen zu einem besonderen Zweck. »Organismus« ist die Zusammenfassung der Verschiedenen als Selbstzweck.

Der Leib Christi ist sichtbar

Als Leib Christi ist die Gemeinde eine sichtbare Grösse. Dass Jesus selbst sich das Ineinssein der Seinen als sichtbar gedacht hat, geht deutlich hervor aus seinen Worten im siebzehnten Johanneskapitel. Dort bittet er darum, dass sie alle vollkommen eins seien, damit die Welt erkenne, dass er vom Vater gesandt ist (Joh. 17,21-23).

Was die Welt erkennen soll, kann aber nicht unsichtbar sein. Mit welchem Organ sollte die Welt die unsichtbare Kirche wahrnehmen? Unsichtbar ist der Geist, sichtbar der Leib Christi. *

Eine unsichtbare Gemeinde kann in dieser Welt ebensowenig wirken wie eine unsichtbare Armee oder Flotte

Als Leib Christi ist die Gemeinde Trägerin seiner Gegenwart, Werkzeug, Organ seines Handelns in dieser sichtbaren Welt. Wie sollte Christus durch die Gemeinde hineinwirken in diese Welt der harten Wirklichkeiten, wenn die Gemeinde eine blosse ideelle oder doch unsichtbare Grösse wäre? Oder waren die Gemeinden in Ephesus, Rom, Korinth, Philippi unsichtbar?

War die Tatsache, dass Menschen aus den verschiedensten sozialen, kulturellen, nationalen Verhältnissen und Schichten hier zusammengefasst waren zu einer Lebenseinheit, nicht sinnfällig? Oder hätte eine unsichtbare Gemeinde verfolgt werden können? Heisst das nicht, aus der Not eine Tugend machen, wenn man von der »unsichtbaren Kirche« als der wahren Kirche spricht? Ist es nicht eine Verlegenheitsauskunft, wenn man inmitten der sozial zersetzten, kulturell zerklüfteten und national und konfessionell zerrissenen Kirchen von heute (oder irgendwo »hinter ihnen«) dogmatisch eine Kirche setzt, die dennoch eins wäre?

Die Jünger waren zwar schon ein Leib, sie waren schon Reben an dem einen Weinstock, noch ehe ihre Einheit - zu Pfingsten sichtbar geworden war. Die Einheit ist da, noch ehe sie in Erscheinung tritt. So dürfen wir auch heute an der Einheit der Gemeinde Jesu festhalten - allem Unglauben und Unverstand, Eigensinn und aller Engherzigkeit der einzelnen Christen und Gliedkirchen zum Trotz! - auch da, wo von dieser Einheit herzlich wenig zu sehen ist. Gott sei Dank!

Wenn aber der Leib Christi nun nicht in Erscheinung tritt, so ist das Schuld der Christen. Und wenn die Einheit der Christenheit unsichtbar bleibt, so behindert das die Mission des Evangeliums. Denn dann kann die Welt nicht recht an Christus glauben.

Der Leib Christi ist nicht Gründung, sondern Schöpfung

Der Leib Christi ist nicht künstlich zustande gekommen, sondern geschaffen. Auch seine einzelnen Organe sind nicht aus menschlichen Unternehmungen, aus wohlorganisierten Bildungsanstalten hervorgegangen. Sie sind eine (neue) Schöpfung, vom Schöpfer Geist ausgestattet mit besonderen Gaben zum Dienst in der Gemeinde.

Die Verteilung der Dienste ergab sich in der ersten Gemeinde nicht auf Grund bestimmter Satzungen oder durch Vermittlung von Behörden, sondern ganz elementar aus den Gaben und Kräften, die die einzelnen Glieder hatten. Gerade so, wie es beim menschlichen Leib der Fall ist.

Christus wirkt mit seiner Fülle in der Gemeinde. Das ist ebenso einfach zu nehmen wie die Tatsache, dass Beethovens oder Michelangelos Genius bis in die Fingerspitzen hinein jedes seiner Glieder beseelt und in jedem einzelnen wirksam ist, wenn er schafft.

* Siehe auch den Artikel zu «Gemeinde» [und die Fussnote dort].

Datum: 10.12.2009
Autor: Ralf Luther
Quelle: Neutestamentliches Wörterbuch

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