Gerecht (von Menschen)

Im Alten Testament gerecht durch das Halten der Gesetze

In der Bibel ist nur einer, der feststellen darf, ob ein Mensch gerecht sei. Das sind nicht die anderen Menschen mit ihrem Richten, das bin auch nicht ich selbst mit meiner Meinung oder meinem, vielleicht guten, Gewissen, sondern das ist allein Gott. Gerecht ist darum der, der im Urteil Gottes bestehen kann.

Solange im Alten Testament der Spruch Gottes lautet: »Der Mensch, der das Gesetz tut, wird dadurch leben« (Gal. 3,12), so lange war gerecht, wer das Gesetz erfüllte. Doch wie im Alten Testament die Gerechtigkeit Gottes eigentlich noch verhüllt war, so konnte es damals wegen der Schwachheit des Fleisches auch keine eigentliche Gerechtigkeit des Menschen geben.

Im Neuen Testament gerecht aus Glauben

Darum hat Gottes Gerechtigkeit eingegriffen und von sich aus die Gerechtigkeit der Menschen hergestellt. Wie der König im Gleichnis seinem Knecht die Riesenschuld der zehntausend Talente ausstrich, so handelt Gott mit uns allen: Er nimmt uns unsere Schuld ab und spricht uns gerecht.

»Hier ist kein Unterschied: Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit verloren, die Gott ihnen zugedacht hatte - und werden nun geschenkweise gerechtgesprochen aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist« (Röm. 3,22-24). Diese Gerechtsprechung hatte ihren Grund nicht in unserer Güte oder Vorzüglichkeit, sondern allein in der königlich-freien Gnade Gottes (wie bei dem Schuldner mit den zehntausend Talenten).

Diese Gerechtsprechung und Begnadigung kann ein Mensch daher nur annehmen - allein aus Gnaden und allein aus Glauben. Das ist die für alle Idealisten und Moralisten so anstössige, aber für alle Sünder und Christen so tröstliche Rechtfertigungslehre.

Aus der Gerechtigkeit folgt ein neues Leben

Doch bleibt die Botschaft des Neuen Testaments dabei nicht stehen. Paulus ruft: Denn wenn wir, als wir noch Feinde waren, durch den Tod seines Sohnes mit Gott versöhnt und geechtgesprochen wurden, so werden wir nun noch viel mehr gerettet werden durch sein Leben (Röm. 5,10).

Nun will Christus die Lebenskräfte seiner Auferstehung an den Seinen wirksam machen. Er will uns retten von der Sündenherrschaft, indem er uns im Geist Anteil gibt an seinem gegenwärtigen Leben - an seiner lebendigen Gegenwart. Und weil das wirklich so ist, sind die aus Glauben Gerechten der Sünde gestorben und leben für Gott in einem neuen Leben.

Die Sünde kann über sie nicht herrschen, denn das Gesetz des Geistes hat sie freigemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes. Und während das Gesetz sonst auch die frömmste eigene Leistung des Menschen verurteilt, kommt nun der Gerechtigkeit verleihende Spruch des Gesetzes zur Erfüllung an denen, die im Geiste wandeln (Röm. 6,11.14; 8,2.4). So kann die Glaubensgerechtigkeit auch vor dem Gesetz bestehen, ja auch vor Menschen ist sie bewährt nach dem Wort: »Die Herrschaft Gottes ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist. Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen geachtet« (Röm. 14,17.18).

Kurz: Die frohe Botschaft von der »Gerechtigkeit, die vor Gott gilt«, umfasst beides: Vergebung der Sünden und Rechtfertigung, aber auch ein neues Leben und einen neuen Wandel durch das Leben, Wirken und Fruchttragen Christi in den Seinen.

Gerecht sein heisst: ein normaler Mensch sein

Gerecht (griechisch díkaios) ist der Mensch, der der göttlichen díke (d.h. Norm) entspricht. Mit anderen Worten: Ein gerechter Mensch ist ein normaler Mensch; einer, der das ist, wozu er bestimmt ist; der so ist, wie er seinem Wesen nach sein sollte. Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde.

Der Mensch kommt von oben her, er ist dem Schöpfer wesensverwandt. Verwandte gehören aber zusammen. In meiner Familie, in meiner Sippe, in meiner Heimat bin ich in meinem Element und kann ich richtig der sein, der ich bin. Komme ich in die Fremde, so bin ich entwurzelt.

Weil der Mensch ein gottentstammtes Wesen ist, ist es seine Bestimmung, in der nächsten Nähe Gottes zu sein, ihm verbunden zu bleiben, mit ihm Berührung zu haben und durch diese Berührung der angestammten göttlichen Art treu zu bleiben. In dem Hauptgebot: »Du sollst Gott lieben ...« ist eben diese Grundbestimmung des Menschenlebens ausgedrückt, denn lieben heisst: Kontakt haben.

Gerecht ist Berührung mit Gott

Es ist für den Menschen normal (es ist die Norm, das Element des Menschenlebens), dass er in Gott wurzelt, dass er aus der himmlischen Welt die Kräfte, die Antriebe, die ganze Art und Richtung seines Lebens erhält.

Gerecht sein (ein echter, rechter Mensch sein) heisst daher: gottverbunden, gottnahe, gottinnig, gotterleuchtet, gottdurchdrungen, gottbelebt und dadurch gottgeartet, gottähnlich sein. Diese Bedeutung von Gerechtigkeit findet sich schon im Alten Testament, was zum Beispiel darin zum Ausdruck kommt, dass in den Psalmen und Sprüchen als Gegenpol des Gerechten immer der Gottlose (von Gott gelöste, gottfremde, gottferne Mensch) dasteht.

Der Grundgedanke des Römerbriefes: dass der Mensch gerecht wird durch den Glauben (und nicht durch die Werke des Gesetzes), ist von hier aus einfach zu verstehen, denn der Glaube ist Anschluss an Gott.

Gerechtigkeit äussert sich völlig anders als Tugendhaftigkeit

Die Gerechtigkeit, die Jesus meint, ist überströmend anders im Vergleich zu der, nach der so oft Gebildete und Fromme streben (Matth. 5,20). Der sittlich-religiös gerichtete, aber gottferne Mensch grenzt sich mit seinen Tugenden und Qualitäten ab gegen die, die sie nicht haben, und entzieht sich ihnen. Seine Vorzüge wirken drückend auf seine Mitmenschen. Seine »Gerechtigkeit« hat etwas Unnahbares, Kaltes; sie teilt sich nicht mit.

Dem gottnahen Menschen dagegen ist ein göttlicher Überfluss gegeben, dass es in Hülle und Fülle von ihm strömt auf andere. Ihm ist die Gerechtigkeit als göttliches Heilsgut in Christi Versöhnungstat geschenkt. Seine Vorzüge wirken ermunternd auf die Schwachen. Seiner Gerechtigkeit entspricht, dass sie sich mitteilt. Sie ist belebend, erwärmend; sie erleichtert es anderen, an Gott zu glauben. Ein Gerechter, wie Jesus ihn meint, ist für seine Mitmenschen die Gegenwart Gottes.

Gerecht sein heisst: für jede konkrete Aufgabe gotterleuchtet sein

Gerecht sein im Sinne des Neuen Testaments heisst niemals bloss: im allgemeinen gottverbunden und gottgeleitet sein, sondern immer auch im einzelnen für die bestimmte, jeweilige Aufgabe von Gott gerüstet und erleuchtet sein, also: jeder Zeit, jedem Volk, jeder besonderen Lage gerecht zu werden (1. Kor. 9,20-23; 2. Kor. 6,1-10; Phil. 4,12).

Der durch den Glauben Gerechte dient nicht nur so im Abstrakten den Brüdern oder der Menschheit. Er nimmt in jedem gegebenen Fall den einen geringsten Bruder, den Mann, der jetzt zerschlagen und wund am Wege liegt, ernst und fasst seine Sache göttlich an.

Datum: 10.12.2009
Autor: Ralf Luther
Quelle: Neutestamentliches Wörterbuch

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