NT-Wörterbuch

Beten

Beten ist das Gegenteil aller Künste

Beten ist nicht eine Kunst; man bedarf dazu nicht einer inneren Steigerung oder besonderer Übungen. Beten kann man erst, wenn man alle Künste abgelegt hat und zum Vater im Himmel spricht.

»Wenn ihr betet, sollt ihr sprechen« (Luk. 11,2). Welcher menschliche Vater würde es dulden, dass sein Sohn, wenn er ein Anliegen an ihn hat, sich hinstellte und eine wohlgesetzte, tönende Rede hielte, statt einfach und natürlich mitzuteilen, was ihm nottut? Wie soll der Allmächtige es anhören, wenn Menschen mit verstellten Gebärden, mit gewählten Worten vor ihn treten?

Alles religiöse Pathos, alle wohlgesetzten Wendungen beim Beten sind vom Übel, ein heidnischer Unfug (Matth. 6,7). Um beten zu können, muss man nicht aufsteigen zu irgendeiner religiösen Höhenlage, sondern es gilt, herabzusteigen von den Stelzen und da zu stehen, wo das kleinste Kind steht (Matth. 18,3). Beten heisst: so, wie man ist und wie einem zumute ist, vor Gott stehen und zu ihm sprechen.

Beten ist Menschenrecht

Das Recht zum Beten liegt in der göttlichen Abstammung des Menschen. »Sprecht: Unser Vater.«

Das heisst nicht, wir sollen es so ansehen, dass Gott für uns sorgt, als ob er unser Vater wäre. Jesus lehrt uns kein Als-ob. Er erinnert uns daran, dass wir göttlichen Geschlechts, dass wir im Himmel zu Hause sind: denn unser Geist stammt aus dem Odem Gottes, unser Wesen ist dem seinen ähnlich. Es ist das Natürlichste von der Welt, dass wir uns dahin wenden, wo unsere Heimat ist, dass wir den anrufen, der uns das Leben gab.

Das echte Beten sucht nicht Gaben, sondern den Geber

Es geht im Gebet zuletzt nicht um Gaben, sondern darum, dass wir dem Geber selbst nahekommen. Die Gegenwart Gottes, das Hereinbrechen seines Lebens in unseres, das ist Sinn und Ziel allen Betens. Darum sagt Jesus: Beten sei soviel wie Suchen (Luk. 11,9 f.). Das klingt an das alte Wort an: »Ihr sollt mein Antlitz suchen.« Antlitz steht in der Bibel oft für Person. Wer ernstlich die persönliche Berührung mit dem Vater im Himmel sucht, der soll sie finden. Ein Kind sein und zu seinem Vater keine persönliche Beziehung haben, ist ein unhaltbarer Zustand, mit dem niemand sich abfinden sollte.

Beten ist unbeirrbares Pochen an verschlossene Türen

Sucht man einen Ausweg aus diesem Zustand, so kann man freilich auf verschlossene Türen stossen. Die Jünger sollten sich dadurch nicht abschrecken lassen, dass die Türen, die sie und ihre Zeitgenossen von der oberen Welt absperrten, seit Jahrhunderten verriegelt und eingerostet waren.

Sie sollten dennoch getrost und nachdrücklich an diese Türen pochen und nicht aufhören, bis sie einmal geöffnet würden. Das wird und muss geschehen - sagt Jesus, wenn nur die Ausdauer unbeirrbar bleibt, wenn die Betenden nur immer daran festhalten, dass das Öffnen jener Türen schlechthin notwendig ist (Luk. 11,5-13). Denn mit Jesus ist die Tür aufgetan. Durch ihn haben wir den Zugang. Wir dürfen erhörlich beten in seinem Namen (Joh. 10,9; Eph. 2,18; Joh. 14,13; 16,23).

Datum: 10.12.2009
Autor: Ralf Luther
Quelle: Neutestamentliches Wörterbuch

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