Bibelstudium: Römer 11, 11-24

Bibelstudium

Warnung vor Überheblichkeit

11 War es nun Gottes Absicht, dieses Volk fallenzulassen, weil er sich endgültig von ihm abwenden wollte? Nie und nimmer! Aber durch den Ungehorsam des Volkes Israel wurde der Weg bereitet, um den übrigen Völkern die Heilsbotschaft zu bringen. Ihrem Beispiel soll Israel nun nacheifern. 12 Bedenken wir aber, welchen Segen schon das Versagen Israels allen anderen Völkern brachte, wie gross wird erst der Segen sein, wenn das ganze Israel für Christus gewonnen ist. 13 Euch, die ihr keine Juden seid, möchte ich sagen: Ich freue mich, dass Gott mich gerade zu euch geschickt hat, um euch das Evangelium zu verkündigen. 14 Vielleicht wird dadurch auch bei einigen aus meinem Volk der Glaube geweckt, so dass sie doch noch gerettet werden.7 15 Denn kam es schon zur Versöhnung der Völker mit Gott, als er sich von Israel abwandte, wie herrlich muss es werden, wenn Gott sich seinem Volk wieder zuwendet. Dann werden Tote zum Leben auferstehen. 16 Mit dem ersten Brot, das Gott zum Opfer gebracht wird, ist nämlich die ganze Ernte gesegnet; und sind die Wurzeln eines Baumes gut8, dann sind es auch die Zweige. 17 Einige Zweige dieses Baumes - ich spreche von Gottes auserwähltem Volk - sind herausgebrochen worden. An ihrer Stelle wurdet ihr als Zweige eines wilden Ölbaums aufgepfropft, so dass ihr von den Wurzeln und Säften des edlen Ölbaums lebt. 18 Bildet euch aber deshalb nicht ein, besser als die herausgebrochenen Zweige zu sein! Denn nicht ihr tragt die Wurzel, sondern die Wurzel trägt euch. 19 Freilich könnte jemand einwenden: «Man hat die Zweige doch herausgebrochen, damit ich dort Platz habe.» 20 Das ist richtig, sie wurden herausgebrochen, weil sie nicht glaubten. Und ihr seid an ihrer Stelle, weil ihr glaubt. Seid deshalb nicht hochmütig, sondern passt auf, dass es euch nicht genauso ergeht.9 21 Denn hat Gott die Zweige des edlen Ölbaums nicht verschont, wird er euch erst recht nicht schonen. 22 Zweierlei sollt ihr daran erkennen: Gottes Güte und seine Strenge. Gottes Strenge seht ihr an denen, die von ihm abgefallen sind; seine Güte aber erfahrt ihr, solange ihr glaubt. Sonst werdet auch ihr wie jene Zweige herausgebrochen. 23 Umgekehrt werden alle aus dem Volk Israel wieder eingepfropft, die nicht länger im Unglauben bleiben. Gott hat die Macht dazu. 24 Immerhin hat er euch als Zweige eines wilden Ölbaumes dem guten Ölbaum aufgepfropft, was sonst niemand tun würde. Wieviel mehr wird Gott bereit sein, die herausgebrochenen Zweige wieder auf den Ölbaum zu pfropfen, auf den sie ursprünglich gehörten.

Übersetzung: Hoffnung für Alle

Kommentar

11,11 Paulus stellt nun eine weitere Frage: "Sind sie etwa gestrauchelt, damit sie fallen sollten?" In den zweiten Teil der Frage müssen wir noch die Worte endgültig oder für immer einsetzen. Sind sie gestolpert, damit sie fallen sollten, und nie wieder aufstehen könnten? Der Apostel bestreitet eine solche Vorstellung energisch. Gottes Ziel ist immer die Wiederherstellung des Sünders. Sein Ziel ist es, dass durch ihren Fall das "Heil" zu "den Nationen" kommen soll und so Israel zur "Eifersucht" gereizt wird. Diese "Eifersucht" soll Israel schliesslich wieder zu Gott zurückbringen.

Paulus bestreitet jedoch nicht den Fall Israels, sondern beschreibt ihn in diesem Vers genau - "sondern durch ihren Fall ist den Nationen das Heil geworden" - und im nächsten Vers - "Wenn aber ihr Fall der Reichtum der Welt ist." Doch er tritt der Vorstellung energisch gegenüber, dass Gott mit Israel für immer fertig sei.

11,12 Die Folge der Ablehnung des Evangeliums durch Israel war, dass es als Volk beiseite gesetzt wurde und dass das Evangelium zu den "Nationen" gelangte. In diesem Fall bedeutete der "Fall" Israels den "Reichtum der Welt", und der Verlust Israels ist der Gewinn der Heiden geworden.

Doch wenn das wahr ist, "wieviel mehr" wird dann die Wiederherstellung Israels ein Segen für die Welt sein! Wenn sich Israel gegen Ende der Grossen Trübsal zum Herrn bekehrt, dann wird dieses Volk Segenskanal der Völker werden.

11,13 Der Apostel spricht hier die "Nationen", d. h. die Heiden an (11,13-24). Einige Ausleger sind der Ansicht, dass er zu den Heidenchristen in Rom spricht, doch diese Worte verlangen eine andere Zuhörerschaft - nämlich die heidnischen Nationen als solche. Es wird uns beim Verständnis dieses Abschnittes sehr helfen, wenn wir erkennen, dass Paulus von Israel als Volk und von den Heiden als solchen spricht. Er spricht nicht von der Gemeinde Gottes, sonst sähen wir uns der Möglichkeit gegenüber, dass die Gemeinde "ausgeschnitten" werden könnte (11,22), und das ist nicht schriftgemäss.

Weil Paulus "der Nationen Apostel" war, war es für ihn ganz natürlich, sehr offen zu ihnen zu sprechen. Damit erfüllte er nur seinen "Dienst".

11,14 Er versuchte auch auf alle möglichen Arten, seine Landsleute "zur Eifersucht" zu "reizen", damit er von Gott gebraucht werden könnte, "einige aus ihnen" zu "erretten". Er und wir wissen, dass er selbst niemanden hätte retten können. Doch der Gott des Heils identifiziert sich so sehr mit seinen Dienern, dass er ihnen erlaubt, von sich Dinge zu behaupten, die nur er vollbringen kann.

11,15 Dieser Vers wiederholt das Argument von 11,12 mit anderen Worten. Als Israel als Gottes auserwähltes, irdisches Volk beiseite gesetzt wurde, wurden die Heiden in die Vorrechtsstellung bei Gott eingesetzt und wurden so im übertragenen Sinne versöhnt. Wenn Israel einst während des Tausendjährigen Reiches wiederhergestellt wird, dann wird das wie eine weltweite Wiedergeburt oder Auferstehung wirken.

Das kann man mit der Erfahrung Jonas verdeutlichen, der ein Bild für das Volk Israel war. Als Jona während des Sturmes aus dem Schiff geworfen wurde, führte das zu einer Rettung oder Erlösung eines ganzen Schiffes voller Heiden. Doch als Jona wiederhergestellt war und in Ninive predigte, wurde eine ganze Stadt voller Heiden gerettet. Genauso hat die zeitweilige Ablehnung Israels durch Gott dazu geführt, dass das Evangelium im Vergleich zu später nur einer Handvoll Heiden verkündigt wird. Doch wenn Israel einmal wiederhergestellt sein wird, dann werden grosse Massen von Heiden in das Reich Gottes eingehen.

11,16 Nun gebraucht Paulus zwei Bilder. In dem ersten geht es um "das Erstlingsbrot" und den "Teig", im zweiten um die Wurzel und die Zweige. Im ersten Bild geht es um die "Erstlingsgabe" (LU 1984) und den Teig, nicht jedoch um Frucht. In 4. Mose 15,19-21 lesen wir von einem Stück Teig, das dem Herrn als Hebopfer geheiligt war. Hier wird nun geschlossen, dass, wenn das Teigstück für den Herrn geheiligt wird, aller anderer Teig, der mit diesem Teigstück erzeugt wird, dann ebenfalls heilig ist.

Die Übertragung geschieht folgendermassen: Das "Erstlingsbrot" ist Abraham. Er war in dem Sinne heilig, dass er für Gott ausgesondert wurde. Wenn das für ihn galt, dann galt es auch für seine auserwählte Nachkommenschaft. Sie wurden für eine äusserlich vor Gott privilegierte Stellung ausgesondert.

Das zweite Bild handelt von der "Wurzel" und den "Zweigen". "Wenn die Wurzel" ausgesondert wird, "so auch die Zweige". Abraham ist in dem Sinne "die Wurzel", dass er der erste war, der von Gott auserwählt wurde, um eine neue Gesellschaft zu bilden, die sich von den anderen Völkern unterscheiden sollte. Wenn Abraham ausgesondert war, dann waren es auch diejenigen, die von seiner auserwählten Familie abstammten.

11,17 Der Apostel führt nun seine Metapher von der "Wurzel" und den "Zweigen" weiter aus.

Die Zweige, die "ausgebrochen worden sind", sind ein Bild für den ungläubigen Teil der zwölf Stämme Israels. Weil sie den Messias abgelehnt haben, wurde ihnen ihre bevorrechtigte Stellung als Gottes auserwähltes Volk genommen. Doch nur "einige der Zweige" sind weggenommen worden. Ein Überrest des Volkes, darunter Paulus selbst, hatte den Herrn angenommen.

Der "wilde Ölbaum" steht für die Heiden, die hier als ein Volk gesehen werden. Sie wurden in den Ölbaum "eingepfropft".

Die Heiden haben dadurch Anteil an "der Wurzel und der Fettigkeit des Ölbaumes". Die Heiden haben nun dieselbe bevorrechtigte Stellung, die ursprünglich Israel gegeben war, und die der gläubige Überrest Israels noch immer einnimmt.

Bei diesem Bild ist es wichtig zu erkennen, dass der Hauptstamm des Ölbaumes nicht Israel, sondern Gottes Segenslinie durch die Jahrhunderte ist. Wenn der Stamm Israel wäre, dann würden wir das seltsame Bild haben, dass Israel aus Israel ausgeschnitten und dann wieder eingepfropft würde.

Es ist auch wichtig, sich daran zu erinnern, dass der "wilde Ölbaum" nicht die Gemeinde ist, sondern die Heiden allgemein. Andernfalls würde sich die Möglichkeit ergeben, dass echten Gläubigen die Vorrechtsstellung vor Gott wieder genommen werden könnte. Paulus hat jedoch schon gezeigt, dass das unmöglich ist (Kap. 8,38.39).

Wenn wir sagen, dass der Stamm des Ölbaumes Gottes Segenslinie durch die Jahrhunderte ist, was meinen wir dann mit dem Wort "Segenslinie"? Gott entschied sich, bestimmte Menschen auszuwählen, die eine besonders vertrauliche Stellung vor ihm einnehmen sollten. Sie sollten vom Rest der Welt getrennt werden, und mit besonderen Vorrechten gesegnet werden und sich einer bevorzugten Stellung erfreuen. In den verschiedenen geschichtlichen Zeitaltern hätte Gott so immer eine besondere "vertraute Gruppe".

Das Volk Israel war das erste in dieser Segenslinie. Es war Gottes von alters her erwähltes irdisches Volk. Weil sie den Messias jedoch ablehnten, wurden "einige der Zweige ausgebrochen" und verloren so ihre Stellung als "lieber Sohn". Die Heiden wurden in den Ölbaum "eingepfropft" und wurden mit den gläubigen Juden Teilhaber an "der Wurzel und der Fettigkeit" dieses Ölbaumes. Die "Wurzel" deutet auf Abraham hin, mit dem die Segenslinie begann. Die "Fettigkeit" des Ölbaums bezieht sich auf seine Fruchtbarkeit - d. h. auf seine reiche Olivenernte und das Öl, das daraus gepresst wurde. Hier steht die "Fettigkeit" für die Vorrechte, die man durch die Vereinigung mit dem Ölbaum erhalten hat.

11,18 Doch die Heiden sollten "nicht" eine Haltung gegenüber den Juden einnehmen, als ob sie heiliger als diese wären, und sich auch nicht irgendwie ihrer eingebildeten Überlegenheit "rühmen". Jedes derartige Rühmen übersieht die Tatsache, dass sie ursprünglich nicht zur Segenslinie gehörten. Die Segenslinie war es, die ihnen ihre Vorrechtsstellung gab.

11,19 Paulus sieht voraus, dass der ersonnene Heide, mit dem er hier diskutiert hat, "sagen" würde: "Die jüdischen ›Zweige sind ausgebrochen worden, damit ich‹ und die anderen heidnischen Zweige ›eingepfropft‹ würden."

11,20 Der Apostel gibt zu, dass diese Aussage teilweise stimmt. Die jüdischen Zweige "sind ausgebrochen worden", und die Heiden wurden eingepfropft. Doch das ist "durch den Unglauben" Israels geschehen, und nicht, weil die Heiden irgendeinen besonderen Anspruch auf Gottes Gnade gehabt hätten. Die Heiden wurden eingepfropft, weil sie als Volk "durch den Glauben" standen. Der Ausdruck: "Du aber stehst durch den Glauben" scheint anzudeuten, dass Paulus von echten Gläubigen spricht. Doch das ist hier nicht notwendigerweise gemeint. Die einzige Art, durch die die Heiden "durch den Glauben" stehen konnten, war, dass sie vergleichsweise mehr Glauben hatten als die Juden. Deshalb sagte Jesus zu einem heidnischen Hauptmann: "Selbst nicht in Israel habe ich so grossen Glauben gefunden" (Lk 7,9). Und Paulus sagte später den Juden in Rom: "So sei euch nun kund, dass dieses Heil Gottes den Nationen gesandt ist; sie werden auch hören" (Apg 28,28). Man beachte: "sie werden auch hören." Als Volk nehmen sie das Evangelium heute eher an als Israel. "Stehen" steht hier im Gegensatz zu Fallen. Israel war aus seiner Vorrechtsstellung gefallen. Die Heiden waren nun an seinen Platz gepfropft worden.

Doch wer da steht, mag sehen, dass er nicht falle. Die Heiden sollten sich nun nicht vor Stolz aufblähen, sondern sich "fürchten".

11,21 "Denn wenn Gott" nicht zögerte, "die natürlichen Zweige" aus der Segenslinie herauszunehmen, dann haben wir keinerlei Grund anzunehmen, dass er die wilden Ölzweige unter ähnlichen Umständen "schonen" werde.

11,22 Deshalb sehen wir im Gleichnis vom Ölbaum zwei grosse, einander entgegengesetzte Facetten des Charakters Gottes - seine "Güte" und seine "Strenge". Seine "Strenge" zeigt sich darin, dass er Israel aus seiner Vorrechtsstellung genommen hat. Seine "Güte" zeigt sich darin, dass er sich mit dem Evangelium den Heiden zugewandt hat (s. Apg 13,46; 18,6). Doch diese "Güte" dürfen wir nicht als selbstverständlich hinnehmen. Auch die Heiden könnten "ausgeschnitten" werden, wenn sie sich nicht ihre relative Offenheit erhalten, die der Heiland während seines irdischen Dienstes bei ihnen fand (Matth 8,10; Lk 7,9).

Man muss sich ständig vor Augen halten, dass Paulus nicht von der Gemeinde oder einzelnen Gläubigen spricht. Er spricht von den Heiden als Gesamtheit. Nichts kann je den Leib Christi von seinem Haupt trennen, und nichts kann einen Gläubigen von der Liebe Gottes trennen, doch die Heidenvölker können aus ihrer gegenwärtigen bevorzugten Stellung wieder entfernt werden.

11,23 Und Israels Trennung muss nicht endgültig sein. "Wenn sie" ihren nationalen "Unglauben" ablegen, dann gibt es keinerlei Grund, warum Gott sie nicht in ihre ursprüngliche Vorrechtsstellung wieder einsetzen sollte. Das wäre für Gott durchaus möglich.

11,24 Es wäre sogar weitaus weniger ein Gewaltakt, als vorher die Heiden in diese Stellung einzupfropfen. Das Volk Israel stellte die ursprünglichen Äste des Baumes göttlichen Wohlwollens dar, und deshalb werden sie die "natürlichen Zweige" genannt. Die heidnischen Zweige stammten von einem "wilden Ölbaum". Einen "wilden" Ölzweig in einen "edlen Ölbaum" einzupfropfen ist "gegen die Natur" oder unnatürlich. Doch "natürliche Zweige" in ihren ursprünglichen "edlen Ölbaum" einzupfropfen, ist ein sehr natürlicher Vorgang.

Datum: 10.06.2007
Quelle: Kommentar zum Neuen Testament - William McDonald

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