Vorbehaltlos geliebt - kein Raum für Angst

Eines der Hauptprobleme des modernen Menschen ist Angst - Lebensangst, Prüfungsangst, Zukunftsangst, die Angst, nicht zu genügen, die Angst zu versagen. Viele Ängste entstehen, weil sich Menschen die Liebe Gottes oder die Liebe anderer Menschen verdienen möchten. Die Leistungsgesellschaft drängt sie dazu, immer grössere Leistungen zu vollbringen, um anerkannt, geschätzt und geliebt zu werden. Doch Gott scheint ein Lösungsmittel für diesen Druck zu haben:

"Wirkliche Liebe ist frei von Angst. Ja, die Liebe vertreibt sogar die Angst. Wer sich also fürchtet und vor der Strafe zittert, der beweist damit nur, dass er wirkliche Liebe noch nicht kennt" (1. Johannes 4,13-18).

Von Jesus heisst es, dass er die Strafe der Gottferne des Menschen auf sich genommen hat. Er hat sämtliche Ängste unseres Lebens für uns besiegt. Ängste sind ein Zeichen von Misstrauen und Ungewissheit. Sie können äusserst schmerzhaft sein. Sie quälen unsere Seele und verunsichern uns zutiefst. Ängste machen heimatlos und liefern den Menschen den Umständen aus. Diesen Ängsten begegnet Gott mit seiner Liebe. Er sagt: "Mein Kind, fürchte dich nicht, ich bin auf deiner Seite." Diese Liebe spricht von Gottes unumschränktem "Ja" zu dir und zu mir.

Die Aussage, dass Menschen, die sich fürchten, noch nicht vollkommen in der Liebe seien, bezieht sich nicht auf die Liebesfähigkeit des Menschen, sondern auf seine Bereitschaft, Gottes Liebe wirklich in ihr Innerstes aufzunehmen und so zur Ruhe zu kommen. Nur, wer sich vorbehaltlos geliebt weiss, wird fähig, auch andere vorbehaltlos zu lieben.

Diese Tatsache illustriert die Geschichte von Claudia sehr gut. Bereits als kleines Mädchen glaubte sie an Gott, von dem sie in der Sonntagsschule gehört hatte. Sie wusste, dass Gott mächtig war. Sie erahnte auch etwas von seinem Vollkommenheitsanspruch, denn in ihrem Alltag erlebte sie oft, dass sie nicht gut genug war. Das Zimmer war nicht so aufgeräumt, wie es ihre Mutter haben wollte. In der Schule bemühte sie sich sehr, von der Lehrerin ein Lob zu ernten, doch auch da ging vieles schief. An einem Tag, als sie zum Beispiel ihre Bastelarbeit bereits beendet hatte, durfte sie einer Klassenkameradin dabei helfen, ein kleines Buch aus losen, bemalten Blättern zusammenzukleben. Als sie dieses Büchlein fertig gestellt hatte, wurde sie von ihrer Lehrerin gerügt. Sie hatte das Büchlein falsch zusammengeklebt. Wieder hatte sie versagt.

Sie gab jedoch nicht auf. Irgendwie musste sie doch mit etwas mehr Anstrengung den Ansprüchen der Eltern oder der Lehrer genügen. Sie schrieb die Zehn Gebote auf eine grosses Blatt Papier und hängte dieses an die Tür des Kleiderschranks, damit sie die Regeln immer vor Augen hatte. Aber es dauerte nicht lange und sie enttäuschte ihre Mutter wieder. Da erinnerte sie sich an das Gebot: "Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren". Hilflos lag sie im Bett und flehte zu diesem mächtigen Gott, er solle ihr doch vergeben.

Als sie älter wurde, versuchte sie, durch eine gute Ausbildung den Weg zu Gott zu finden und den Ansprüchen der Umwelt zu genügen. Sie studierte Latein und Griechisch und tat alles, um keine schlechten Noten zu bekommen. Doch auch auf diesem Weg fand ihre Seele keine Ruhe.

Als sie dann selbst in der Sonntagsschule vor den Kindern sass, fürchtete sie sich davor, etwas Falsches von diesem Gott zu erzählen. Wie würde er reagieren, wenn sie ein falsches Bild von ihm vermittelte?

Verschiedentlich hatte sie von gleichaltrigen Freunden gehört, dass man eine persönliche Beziehung zu Gott haben könne. Das einzige, das dazu nötig sei, sei eine Umkehr zu Gott. Doch in ihrem Fall galt das ja sicherlich nicht. Sie hatte keine sündiges Leben geführt, sondern immer versucht, den Ansprüchen dieses Gottes zu genügen. Sie war doch gottesfürchtig. Darüber hinaus konnte sie die Geschichte von Jesus nicht verstehen. Er hatte doch ein tadelloses Leben geführt. Warum musste er dann am Kreuz sterben? Das passte doch nicht zu diesem mächtigen, gerechten Gott. Doch der Gedanke, mit Gott eine persönliche Beziehung zu haben, liess sie nicht los. Nach langem Denken und Beten erkannte sie, dass es auch bei diesem mächtigen Gott noch mehr geben musste als den Anspruch an Vollkommenheit.

Eines Abends versuchte sie, mit diesem Gott ganz persönlich zu sprechen. Sie fragte ihn, wie er sie denn annehmen könne, wenn sie doch täglich Dinge falsch mache, Menschen enttäusche und ihr Fehler unterliefen. In diesem Gespräch fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Jesus, der selbst ein vollkommenes Leben geführt, der alle Zehn Gebote gehalten hatte, war verurteilt und hingerichtet worden. Sie selbst, obwohl sie alles daran gesetzt hatte, die Zehn Gebote zu erfüllen, erhielt ein unverdientes Geschenk: den persönlichen Zugang zu Gott und das ewige Leben; sie wurde Teil seiner Familie, und das trotz all ihrer Fehler und Mängel. In Gottes Augen hatte sie die Zehn Gebote erfüllt. Er behandelte sie so, als habe sie alle Gebote der Nächstenliebe erfüllt. In seinen Augen war sie heilig und ein geliebtes Kind.

"Ist dieses Geschenk denn nicht zu gross?", fragte sie.

"Nein", entgegnete Gott, "denn ich habe die Welt so sehr geliebt, dass ich meinen eigenen Sohn, Jesus Christus, gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern ewiges Leben haben." (1)

Zum ersten Mal verstand Claudia, was Liebe war, und endlich konnte sie befreit beten: "Herr, vergib mir, dass ich mich nicht um dein Geschenk bemüht, sondern mich auf meine eigene Leistung gestützt habe. Herr Jesus, ich brauche deine Vergebung, ich bin darauf angewiesen, dass du auch meine Schuld auf dich nimmst, damit ich das ewige Leben habe und in der Liebesgemeinschaft mit dir leben kann."

Menschen, die Anerkennung mit Liebe verwechseln, werden wahre Liebe nie kennen lernen können. Das hat die Geschichte von Claudia illustriert.

Echte Liebe bedeutet aber nicht, dass man falsche Entscheidungen billigt. Als die Ex-Prostituierte Marie-Louise eines Tages bei uns erzählte, sie habe in einem Kleidergeschäft für rund 2 000 Franken auf Kredit Kleider gekauft, und sich kindlich über ihre Käufe freute, mussten wir sie mit der Wahrheit konfrontieren: Wie konnte sie 2 000 Franken für Kleider ausgeben, wenn sie doch hoch verschuldet war und von der Sozialhilfe lebte? Sie konnte diese Kleider ja nie bezahlen.

Wer nach Menschen sucht, die falsche Entscheidungen billigen, wird immer fündig. Wer falsche Entscheidungen unterstützt, zeigt damit keine echte Liebe.

Anmerkungen:
(1) Johannes 3,16

Datum: 31.05.2006
Autor: Martin Bühlmann
Quelle: Gemeinde leben - Gemeinde lieben

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