Kiffen bleibt illegal: Klares Signal gegen Laissez-faire in der Drogenpolitik

Kiffer
Heiner Studer
Canabis-Pflanze

Die Freigabe des Cannabis-Konsums hatte am Montag keine Chance im Nationalrat. Die grosse Kammer stimmte mit 102:92 Stimmen (fast alle 200 Abgeordneten waren anwesend) gegen Eintreten auf die Revision des Betäubungsmittelgesetzes (BetmG). Vor den Wahlen im Herbst hatte sie das Geschäft vertagt.

Der Aargauer EVP-Vertreter Heiner Studer, Mitglied der vorberatenden Kommission, unterstreicht gegenüber Livenet, dass der Entscheid einzig der Cannabis-Freigabe galt. Das Nein bedeute nicht, dass sich der Nationalrat um seine Verantwortung als Gesetzgeber drückt.

Nein löst Probleme noch nicht

Studer, der sich seit langem für eine umfassende Gesundheitspolitik einsetzt, ist zufrieden über den Entscheid. Die Revisionsvorlage ist vom Tisch. Doch mit dem Nichteintreten sind die Probleme keineswegs gelöst.

Die Kommissionssprecherin Ruth Humbel Näf (CVP, AG) brachte sie eingangs auf den Punkt: „Die aktuelle Drogenpolitik ist unbefriedigend. Es existiert eine grosse Rechtsunsicherheit. Das geltende Gesetz wird kaum mehr umgesetzt. Einigkeit besteht auch darin, dass der Jugendschutz verstärkt werden muss.“

Wie weiter?

In einer Interpellation wird Heiner Studer den Bundesrat darum anfragen, welche Schlüsse er aus dem Nein zieht, wie das geltende Gesetz angewendet und dem Laissez-faire (vor allem in der Deutschschweiz, in Erwartung und Vorwegnahme einer Freigabe) gewehrt werden soll.

Schweizer Jugendliche sind laut der Weltgesundheitsorganisation WHO Vize-Weltmeister im Kiffen, hinter Kanada und vor England, Grönland und den USA. In der Schweiz haben 35 Prozent der weiblichen und 40 Prozent der männlichen 15-Jährigen bereits gekifft.

Differenzen im Menschenbild

Welche mehrheitsfähigen Lösungen die Politik angesichts grundlegender Differenzen im Menschenbild findet, bleibt offen. Im Hintergrund steht die Frage, welche Leitplanken der Staat in einer vor Individualismus strotzenden Gesellschaft setzen soll und wie stark er die Mündigkeit des Einzelnen gegenüber dem Schutzauftrag namentlich bei Jugendlichen gewichtet.

Im Unterschied zum Nationalrat hat der Ständerat die Freigabe zweimal befürwortet. In der grossen Kammer waren die Freisinnigen etwa hälftig gespalten. Der prominente Befürworter Felix Gutzwiller konnte die freien Mannen nicht hinter sich scharen.

Die liberale NZZ bildet die Gespaltenheit insofern ab, als sie im Inlandteil von einem Signal zum ‚Weiterwursteln’ spricht: „Der Wildwest an der Drogenfront geht vorerst weiter.“

Zürich: Mekka des Hanfhandels

Im Regionalteil der NZZ wird Zürich als „Hanfmekka“ der Schweiz vorgestellt, als Hauptumschlagplatz für Gras mit internationaler Kundschaft. „Marihuana geht in letzter Zeit vor allem in als Trendshops getarnten Geschäften über den Ladentisch.“

Laut der NZZ gehen von der Polizei geschlossene Hanfläden nach kurzer Zeit „an einem anderen Ort und unter einem neuen Deckmantel wieder auf“, immer mehr auch in Aussenquartieren der Limmatstadt. Der Chefermittler der Stadtpolizei meint, dass der Marihuana-Konsum immer noch verharmlost wird.

Immer stärkerer Rausch

Die Tatsache, dass der THC-Gehalt des Grases sich innert weniger Jahre vervielfacht hat, lässt sich allerdings nicht leugnen. Wer kifft, geht heute andere Risiken ein als vor zwanzig Jahren. Psychiater stellen bei prädisponierten Kiffern mehr Psychosen und Schizophrenie-Erkrankungen fest (dazu folgt ein weiterer Artikel).

Die BetmG-Revision hat Jahre beansprucht und nun mit einem Scherbenhaufen geendet. Heiner Studer weist indes darauf hin, dass die grossen Parteien bis zum letzten Herbst die Drogenpolitik (Konzept der vier Säulen) im Schoss ihrer Fachgruppen betrieben; das Plenum habe nicht Stellung nehmen können. Nun stimmten alle neuen CVP-Vertreter im Nationalrat – eine Mehrheit aus ländlichen Gebieten – Nein.

EDU: „Starkes Präventionszeichen“

Die Eidgenössisch-Demokratische Union EDU hat den Entscheid des Nationalrates begrüsst. „Ob der Konsum von Cannabis gefährlicher als der von Alkohol oder Tabak sei, ist nicht die zentrale Frage. Die bekannten Auswirkungen auf Gesellschaft und Gesundheit von Alkohol- und Tabakkonsum beweisen, dass es verantwortungslos ist, ein weiteres Betäubungsmittel zu legalisieren. Nicht legalisieren bleibt weiterhin ein starkes Präventionszeichen.“

Die EDU schreibt in ihrer Pressemitteilung, die kontrollierte Drogenabgabe in Substitutionsprogrammen habe „keinem geholfen, den Ausstieg zu schaffen. Sie hat aber viel mehr abstinenzorientierte Therapien verhindert und in Frage gestellt.“ Die evangelische Partei stellt die Freiheit von Drogen über die Freiheit, Drogen zu nehmen, und wird sich für eine verstärkte Prävention einsetzen.

„Unsere Kinder vom Drogenelend verschonen“

Der Verein ehemaliger Drogenabhängiger VeD hat mit Genugtuung Kenntnis vom Nichteintreten auf das revidierte Gesetz genommen, wie er in einer Pressemitteilung schreibt. „Nachdem während 15 Jahren das bestehende Betäubungsmittelgesetz permanent unterwandert wurde, kann endlich wieder Ordnung in die Drogenpolitik hergestellt werden. Es gilt jetzt, konsequent gegen den Drogenkonsum anzugehen, damit unsere Kinder von diesem Elend verschont bleiben.“

Der VeD fordert die sofortige Schliessung aller Hanfläden und eine konsequente Anwendung der bestehenden Gesetze. Er unterstützt die Idee von FDP-Nationalrat Kurt Wasserfallen, dass bei wiederholten Vergehen die Bussen für illegalen Drogenkonsum jeweils verdoppelt werden.

Für den VeD ist klar: „Eine allfällige neue Revisionsvorlage wird nun die klare Abstinenz aller illegalen Drogen in den Vordergrund stellen müssen. Die bisherige Variante, welche einen kontrollierten Umgang mit Drogen propagierte, hat klar versagt.“

Datum: 16.06.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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