Therapiefachleute gegen Cannabis-Legalisierung

„Lebensqualität mit Perspektive statt Rausch“

Wie stellt sich eine Gesellschaft, die ihren Mitgliedern ein Höchstmass an Freiheit bieten will, zu deren Suchtverhalten? Und wo beginnt Sucht? Bei der Erarbeitung eines neuen Schweizer Betäubungsmittelgesetzes gab und gibt die Legalisierung des Cannabis-Konsums am meisten zu reden.
Peter Dänzer
Nieschberg
Bruno Burri

In der Westschweiz sieht man die Kifferproblematik anders als in der Deutschschweiz, wo die Befürworter der Legalisierung (wenigstens in den Medien) dominieren. Die Schweiz würde sich mit dem Schritt international isolieren, da die meisten Länder die Repression betonen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat ihre Bestrebungen zur Bekämpfung des Rauchens verstärkt.

Livenet hat sich mit zwei christlichen Drogentherapiefachleuten unterhalten. Peter Dänzer leitet das christliche Therapiewerk Best Hope in der Ostschweiz, Bruno Burri sein bekanntes Zentrum, den Nieschberg bei Herisau. Beide sprechen sich gegen die Legalisierung des Cannabis-Konsums aus.

Die meisten Kiffer kiffen, „um stoned zu sein, um eine Scheibe zu haben“, sagt Burri. „Cannabis ist ganz klar ein Suchtmittel“. Er sieht einen Unterschied etwa zum Wein, von dem auch ein Glas bewusst genossen werden könne, und entkräftet damit das oft vorgebrachte Argument, wenn der Alkohol legal sei, müsse der Staat auch den Cannabis-Konsum von Strafandrohung befreien.

„Wollen wir eine Droge mehr?“ spitzt Peter Dänzer die Debatte zu. Er weist darauf hin, dass Cannabis im Blut die Reaktionsfähigkeit herabsetzt, was im Verkehr Gefahren mit sich bringt. Im Best Hope ist Rauchen nicht erlaubt, und im Zentrum werden auch Nikotin-Entzüge durchgeführt. Denn: „Hanf wird fast ausschliesslich über den Rauch aufgenommen. Die Substanzen – im Tabak allein gegen 30 krebsfördernde Stoffe, dazu die Stoffe im Marihuana – werden inhaliert.“

Eine Legalisierung von Cannabis würde die Prävention unter Jugendlichen stark erschweren, denn sie würde verstanden als Signal des Staates, dass der Konsum unbedenklich sei. Cannabis spielt eine grosse Rolle als Einstiegsdroge – auch wenn nur eine Minderheit der Kiffer später auf Heroin verfällt. Die meisten Drogensüchtigen, die im Best Hope ankommen, haben früher einmal gehascht.

Flucht vor der ungeliebten Realität

Bruno Burri selbst konsumierte die Droge über zehn Jahre. „Hanf ist sehr entspannend. Nur steht hinter dieser Entspannung auch ein Rausch.“ Dieser entspreche dem Wunsch, die (ungeliebte) Realität anders wahrzunehmen: „Ich will in dieser Realität nicht leben, will mit ihr nichts zu tun haben, ziehe darum eine andere Schublade und lebe eine Zeitlang in dieser Schublade.“

Allerdings ertrug Burri die Rauschzustände psychisch je länger je schlechter. „Die Sensibilität der Wahrnehmung im Rausch machte zunehmend Ängsten Platz. Ich wollte mich verkriechen, nicht mehr äussern. In Beziehungen suchte ich Distanz. Ich empfand mich als minderwertig, spürte, dass ich nicht mehr wirklich teilnehmen konnte an Dingen, die um mich abliefen.“

Der heutige Therapieleiter verweist auf die Aussage eines regelmässigen Kiffers in einer Diskussionsrunde, der den Hasch-Konsum als etwas ganz Normales hinstellte. Die Faszination des Rausches sei schon lange vorbei. An diesem Punkt fragt Burri, was noch zum Kiffen motiviert, wenn doch der Kick nicht mehr da ist. „Hat nicht doch der Stoff als Suchtsubstanz eine so grosse Wirkung, dass man es macht, obwohl der Kick schon weit weg ist?“

Allerdings gibt es eine Schicht von Hanf-Konsumenten, die bewusst unregelmässig kiffen, um sich den Kick zu erhalten (der Cannabinol-Gehalt in den Hanfpflanzen ist über die Jahre stark gesteigert worden).

Der Staat, der Grenzen nicht mehr setzen mag

Die beiden Fachleute diagnostizieren hinter der politischen Cannabis-Diskussion ein gesellschaftliches Problem – den Umgang mit Autorität. „Ich kenne viele, die mit Autoritäten grösste Mühe haben – sie wollen sich von gar niemand führen lassen. Der Staat gebärdet sich an diesem Punkt so liberal, dass er seine eigentliche Aufgabe, Grenzen zu setzen, nicht mehr wahrnimmt.“

Eltern nehmen Verantwortung fürs Wohl ihrer Kinder wahr, indem sie ihnen Grenzen setzen. Laut Bruno Burri ginge es auch im Staat darum, im Dialog Grenzen zu setzen. „Aber wir haben den Dialog schon nicht mehr. Es gibt Parteien, die sagen: Wir haben diese Freiheit, wir sind so liberal – von daher macht der Einzelne, was er will.“

Rückzug der Christen

Peter Dänzer gibt die Schwäche der aktiven Christen, die Wertediskussion im Land zu beeinflussen, zu denken. „Die Liberalisierung hat auch die christliche Szene durchdrungen. Man getraut sich gar nicht mehr, entschieden gegen aussen aufzutreten. Die Kirchen haben sich zu einem rechten Teil vom dem Engagement zurückgezogen, das nötig wäre. Heute beeinflussen Christen weniger, sondern werden beeinflusst; säkulare Verhaltensmuster breiten sich aus – auch bei ihnen.“

Die Stiftung Best Hope ist vor 30 Jahren in Zürich entstanden, als Reaktion von fünf Methodistengemeinden auf die wachsende Bereitschaft zum Drogenkonsum. In den letzten Jahren hat sie mehr und mehr Therapie-Teilnehmer mit einer so genannten Haschisch-Psychose oder Suchtpsychose. „Manche Cannabis-Konsumenten sind psychisch so instabil, vielleicht auch vorher instabil gewesen, dass sie mit dem Konsum von Haschisch psychotisch werden.“

Ursachen in der Kindheit

Bruno Burri warnt vor Verallgemeinerungen in der Frage nach der Anfälligkeit. „Oft stellt man im Rückblick fest, dass in der Kindheit tatsächlich eine Aufmerksamkeits- oder Hyperaktivitätsstörung vorlag, die man damals nicht diagnostizierte. Auch depressive Neigungen können sich zeigen, wenn man weiter in die Kindheit zurückgeht.“

Bei vielen Klienten, die auf dem Nieschberg gesunden wollen, stellen Burri und Dänzer eine gähnende innere Leere, ein Fehlen von Lebenssinn fest. „Der Mangel einer Perspektive führt zum Verlangen, mit einer Droge zu kompensieren. Das Vermeiden von Leiden tritt in den Vordergrund. Wenn dann Drogen verfügbar sind, greift man zu.“

Bruno Burri braucht ein Bild: „Ein Baum braucht zu Beginn einen Pfahl zum Wachsen. Er muss angebunden werden, braucht auch Freiraum, damit er nicht erstickt. Vor allem aber muss er gestützt werden, damit er Wurzeln schlagen kann. Irgendwann wird aber der Pfahl überflüssig. Heute nimmt man nach meinem Eindruck den Pfahl viel zu früh weg und sagt: ‚Mach doch selbst!’ Dabei hat der Baum noch nicht die Wurzeln, um den Stürmen des Lebens zu trotzen.

Klare Regeln – und Vertrauen auf die Kraft von Jesus Christus

Auf dem Nieschberg gelten klare Regeln (keine Suchtmittel, auch kein Nikotin), vor allem aber leben die Therapeuten den Teilnehmern in der Wohngemeinschaft eine Antwort auf die Sinnfragen vor: „Wir finden das Vakuum in der Beziehung zu Gott ausgefüllt. Letztlich weist Sucht auf ein tiefes Vakuum, auf eine Sinnleere. Das christliche Angebot zielt darauf, dieses Vakuum in der Beziehung zu Gott zu füllen.“

Bruno Burris Frau ist Heilpädagogin, er Sozialtherapeut. „Unsere Vision ist Lebensqualität mit Perspektive – für Menschen, die bisher ohne Perspektive waren. Sie sollen hier etwas Familienähnliches erleben, in gemeinschaftlichem Leben mit Gottes Hilfe entdecken können, dass mehr an ihrem Leben ist, als sie bisher sahen.“ Der Glaube an Christus, der die Persönlichkeit erneuert, kommt in Gesprächen, bei Tisch und in Gruppen, zum Ausdruck; er soll den Alltag durchdringen.

Datum: 24.09.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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