Wie Kirchen den Sozialstaat entlasten können

Sollen die Kirchen den Staat an seine soziale Verantwortung erinnern? Oder sollen sie sich zusätzliche Aufgaben vom Staat delegieren lassen? Was könnte der Staat besser machen? Fragen, die kürzlich ein evangelisches Sozialforum in Aarau beschäftigten.
Bild: Pixelio.de
SP-Nationalrat Urs Hofmann.
Winterthurer FDP-Gemeinderätin Barbara Günthard.

Der moderne Sozialstaat schafft die Voraussetzung für die Freiheit seiner Bürgerinnen und Bürger. Er gibt ihnen die Möglichkeit, ihren eigenen Weg zu ihrem persönlichen Glück zu finden. So definierte der Aargauer SP-Nationalrat Urs Hofmann sein soziales Staatsverständnis. Dass die Schweiz vom Almosenstaat zum Sozialstaat geworden ist, müsse eine unaufgebbare Errungenschaft bleiben. Der heutige Sozialstaat sei wohl herausgefordert. Veränderungen im zentralstaatlichen Sozialwesen seien dennoch nicht gerechtfertigt, denn das Schweizer Sozialsystem basiere auf einer soliden Wirtschaft.

Landeskirchen in der Pflicht

Dennoch stehen laut Hofmann auch die Landeskirchen in der Pflicht. Viele ihrer Mitglieder bezahlten nur noch deshalb die Kirchensteuer, weil die Kirche auch öffentliche Aufgaben ausführe. Und diese Kirchensteuerzahler würden bald aussteigen, wenn sich die Kirchen aus ihren sozialen Aufgaben zurückzögen. Zum Beispiel aus der persönlichen Sozialhilfe, wo der Staat zunehmend abbaue. Besonders in diesem Bereich könnten die Kirchen mit ihrem Einsatz die Zahl der Sozialhilfefälle reduzieren, so Hofmann. Ein wesentlicher Aspekt in einer Zeit, in der die Armut zunehme.

Die Stimme erheben

Die kirchlichen Projekte hätten sich zwar an die Auflagen zur religiösen Neutralität zu halten, wenn sie im Auftrag des Staates arbeiteten. Sie wahrten aber ihre Handlungsfreiheit besser, wenn sie nicht auf staatliche Unterstützung bauten. Kirchliche Mitarbeiter hätten ihrerseits das Recht, „dort ihre Stimme zu erheben, wo der Staat sich um seine sozialen Verpflichtungen drückt", betonte der SP-Politiker.

Bessere Partnerschaft

Die Winterthurer FDP-Gemeinderätin und Leiterin des „Büros für politische Umsetzung", Barbara Günthard-Maier, betonte die hohe Belastung des Sozialstaates und plädierte für eine bessere Partnerschaft von Unternehmern und Staat. Aus Befragungen kennt sie die Probleme, wenn es um die Beschäftigung von Menschen gehe, die nicht voll leistungsfähig sind. Unternehmer fühlten sich oft überfordert, wenn sie Menschen mit Beeinträchtigungen integrieren sollten. KMU-Unternehmen erwarteten vom Staat mehr Transparenz, Aufklärung über die Risiken sowie Beratung und unkomplizierte organisatorische Abläufe.

Laut Günthard könnte der Staat vom Kausal- zum Finalprinzip wechseln. Seine Hilfe würde dann nur denjenigen zufliessen, die sie wirklich brauchten, zum Beispiel in der Form einer negativen Einkommenssteuer. Eigeninitiative und Eigenleistung benachteiligter Menschen müssten vom Staat besser honoriert werden. In Winterthur seien die „neuen Fälle für Sozialhilfe" um die Hälfte zurückgegangen, seit alle im ersten Bezugsmonat einen Arbeitseinsatz leisten müssten.

Die Rolle der Kirchen und ihres sozialen Engagement liegen laut Günthard in kreativen Projekten, in denen sozial Schwache ihre Würde zurückerhielten. Sie würden damit ein wichtiges Defizit des Sozialstaates abdecken, das sie mit der Formel umschrieb: „Liebe kann der Staat nicht geben". Veranstaltet wurde die Tagung von der Arbeitsgemeinschaft für Soziales Engagement (AGSE) der Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA).

Datum: 15.10.2007
Autor: Fritz Imhof
Quelle: SEA

Werbung
Livenet Service
Werbung