Das Asylgesetz und die Bibel

Umgang mit den Fremdlingen
Bernhard und seine Frau Susanne Rothen.

Was sagt die Bibel über den Umgang mit den „Fremdlingen“? Welche Konsequenzen sollen die Kirchen und der demokratische Staat daraus ziehen? Hat sich dieser mit seinem Versprechen, allen Armen und Verfolgten dieser Welt Schutz und Aufnahme zu gewähren, übernommen? Der Basler Münsterpfarrer Bernhard Rothen regt mit seiner provokativen Sichtweise eine Diskussion an.*

Die biblischen Leitlinien sind klar: Israel hat sich selber an seinem Ursprung und in den Umbrüchen seiner Geschichte immer wieder als fremd, machtlos und schutzbedürftig erfahren. Die Israeliten wussten daher: „Wir haben hier keine bleibende Stadt“. In dieser Grunderfahrung wurzelt die Bereitschaft, fremden Menschen respektvoll zu begegnen und ihnen kein Unrecht zu tun. Das Gesetz Israels fordert mehrfach mit scharfen Worten, fremdstämmige Menschen nicht zu unterdrücken und ihr Recht nicht zu beugen. In Strafverfahren muss für Fremde und Einheimische dasselbe Recht gelten. Das mosaische Gesetz geht aber davon aus, dass der Fremde sich selber versorgt und fordert keine Unterstützungsmassnahmen.

Die Forderung, die Überbleibsel der Ernte den Armen und Fremden zu überlassen, beschreibt anschaulich, was jeweils von den Besitzern des Landes und von den Fremden erwartet wird: Wo die Einheimischen den geschöpflichen Lebensraum nicht mit realen Bedürfnissen beanspruchen, dürfen sie nicht formalistisch andere daran hindern, ihre Bedürfnisse in diesem Raum zu befriedigen. Für die Fremden bleibt dabei die Pflicht, sich das eigene Leben „im Schweisse des Angesichts“ zu verdienen.

Von den „Fremden“ wird erwartet, dass sie die Sitten und religiösen Gebräuche der Landbewohner respektieren. Sie haben dazu zwei Alternativen: Sie können mit äusserem Respekt das Kultische „stehen lassen“ und sich nicht daran beteiligen, oder sie können sich innerlich integrieren und erhalten dann Anteil an den vollen Rechten und Pflichten. Es war ihnen aber verboten, ihren eigenen Kult aufzurichten und den eigenen religiösen Vorstellungen nachzuleben; und es war undenkbar, dass Israeliten den Vollzug religiöser Pflichten und Gewohnheiten aus Respekt vor fremden Menschen zurücksetzten. Dabei war die grundlegende Vorstellung die, dass das religiöse Verhalten nicht nur zwischenmenschliche Folgen hat, sondern das ganze Land und seine Stellung vor Gott verändert.

Jesus und seine neue politische Ordnung

Rothen verweist auch auf das Neue Testament: Jesus habe diese Leitlinien noch radikalisiert und präzisiert. Seinen Jüngern habe er weder staatliche Macht noch Polizeigewalt zugesprochen. Ein Staat, der sich an diesen Vorgaben ausrichte, verzichte deshalb auf die Unterdrückung religiöser Praktiken und gewähre Religions- und Gewissensfreiheit, so Rothen. Eine säkulare und pluralistische Gesellschaft auf diesem Fundament erliege aber leicht dem Trugschluss, dass die unterschiedlichen Überzeugungen und Praktiken gleichwertig seien. Ein solcher Staat fördere praktisch die Konfessionslosigkeit als Konfession.

Nach biblischer Auffassung sind religiöse Praktiken aber nicht wirkungslos, sondern bringen Heil oder Unheil über die Nationen. Deshalb ist es laut Rothen legitim, von den Fremden zumindest den äussern Respekt vor unseren „kultischen Vorschriften“ einzufordern. Jede Gemeinschaft lebe von religiösen Bindungen. Und diese müssten auch von den Fremden respektiert werden. Ebenso dürfe sich der Staat kein pluralistisches Strafrecht leisten und müsse zum Beispiel an der monogamen Ehe festhalten.

„Was Jesus verspricht und was er fordert“, überschreitet laut Rothen aber „jeden vernünftigen Umgang mit irdischen Gütern. Das Reich Gottes, dessen nahe Gegenwart er versprochen hat, kennt keinen Zwang und keine formale Autorität und Ehrenstellung; es umschliesst nicht mehr die Ehe und Familie und kennt keine leid- und mühevoll begrenzende Bindung an die Erde.“

Jesu Vorschriften an seine Nachfolgern könnten deshalb nicht direkt zu Maximen für das gesellschaftliche Verhalten werden: „Die Feindesliebe, die Jesus gebietet, kann nicht eine Anweisung für das politische, insbesondere das polizeiliche und militärische Handeln sein.“ Die Vergebung, die jedem Bittenden zusteht, könne nicht das Vorbild der Liebe sein, mit der die Menschen aller Länder und Völker sich begegnen. Es könne kein universales Menschenrecht geben, alles einzufordern, was zur Gesundheit und zum Wohlergehen nötig ist.

Das zweitletzte Hemd

Laut Rothen hilft die reformatorische Unterscheidung zwischen einem göttlichen und einem weltlichen Reich weiter: „Gottes Gaben sind unerschöpflich. Der Glaube, das Gebet, die Vergebung haben keine Grenzen und kein Ziel. Die humanen Ressourcen dagegen sind begrenzt: Im Umgang mit den Gütern dieser Welt ist es nötig und legitim, das Unrecht zu verfolgen und zu strafen, nicht ‚das letzte Hemd’, sondern ‚nur’ das zweitletzte wegzugeben und nüchtern damit zu rechnen, dass viele berechtigte Bedürfnisse nicht gestillt werden können.“

Die Konsequenz daraus muss für Rothen lauten: „Das moderne Asylrecht ist eine der Folgen der hybriden Vermischung von Göttlichem und Menschlichem: eine Folge des vermessenen Versuches, die Verheissungen Christi in einer neuzeitlich-säkularen Gesellschaft zu verwirklichen.“ Das Gesetz, das jedem Menschen dieser Welt, der sich verfolgt und bedroht sieht, das einklagbare Recht zuspricht, in unserem Land gastfreundliche Aufnahme, Hilfe und ein neues Bürgerrecht zu erhalten, spiegle unübersehbar die „Vergottung des Sozialstaates, der sich anmasst, all den unzählig vielen Unglücklichen dieser Welt Zuflucht und Schutz anzubieten.“ Der Staat verspreche damit dasselbe, „was der Gott Israels als das einzigartige Angebot seiner göttlichen Allmacht und Güte für sich in Anspruch nimmt: Der Ehrentitel, dass er der Schutz und die Zuflucht für die vielen Bedrängten sein will.“

Unbeabsichtigte Folgen

Dieser Versuch, Reich Gottes im staatlichen Gemeinwesen zu realisieren, zeitige heute unerwünschte Folgen wie Asylmissbrauch, Fremdenfeindichkeit und ein Schlepperunwesen, das für den Tod vieler Menschen verantwortlich sei. Verschärft werde die Situation auch durch ein theologisches Erbe, nämlich die „dialektische Vermischung von Recht und Gnade, von Anspruch und Geschenk, wie sie im Gefolge der Barth’schen Theologie das westliche Denken verwirrt.“

Dies ermögliche, dass dort, wo nach dem gesunden Menschenverstand Schutz nur erbeten und geschenkt werden könne, heute ein Recht postuliert werde. Dies bewirke gleichzeitig übersteigerte Erwartungen vonseiten der Fremden und auf der andern Seite das Gefühl, ausgenutzt zu werden. Unser Gemeinwesen drohe letztlich „an den stolzen Forderungen, die es auf sich selber genommen hat“, zu zerbrechen, „am ehesten in der Form, dass der gute Wille und das Leiden am eigenen Unvermögen in gehässige Schuldzuweisungen und selbstgerechte Anklagen gegen alle Fremden umschlagen.“

Ein Land jedoch, dass Versprechungen macht, die es dann nicht einhalten kann und die hoffnungsvollen Menschen in unwürdigen Bedingungen leben lasse, setze sich selbst dem Gericht Gottes aus. Denn der Gott der Bibel habe den Fremden seinen Schutz zugesagt.

Abschied von der Scheinwelt

Rothen fordert deshalb die christlichen Gemeinden auf, „nicht in der Scheinwelt der Postulate und der schönrednerischen Gesetze zu leben“, sondern sich der Wirklichkeit zu stellen und einzusehen, „in wie engen Grenzen sich das Gute, das wir zu leisten vermögen, bewegt, wie viel Unheil die falschen Versprechungen unserer Gesetzgebung in das Leben der Menschen bringt, und dass sie diese Schuld erkennen und bereuen.“ Daraus sollte je nach Kraft und Möglichkeit ein selbstkritischer, bescheidener und geduldiger Umgang mit den Fremden erwachsen gemäss Galater 6: „Lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubensgenossen.“

„Politisch ist zu fordern“, so Rothen, „dass die Verantwortlichen offen zugeben, wie sehr die staatlichen Organe mit einem wortgetreuen Vollzug des Asylgesetzes überfordert sind. Sie sollen deshalb nicht noch mehr Aufgaben an sich reissen, sondern vielmehr die Initiative von Gemeinden, Verbänden und Gruppen fördern, in denen Menschen mit persönlichem Einsatz sich dafür einsetzen, fremden, schutzsuchenden Menschen diesen Schutz zu gewähren.“

Dazu wäre aber die Bereitschaft der staatlichen Organe nötig, private Initiativen zu fördern und Rahmenbedingungen zu schaffen, die privates Handeln erleichtern oder überhaupt erst möglich machen. Ähnliches gelte überhaupt für alle Bereiche der sozialen Solidarität (Gesundheitswesen, Sozialfürsorge etc.). Laut Rothen steht ein grundsätzliches Überdenken der geltenden Sozialgesetzgebung an.

* z.B. an einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft für biblisch erneuerte Theologie am 8. November 2003 auf dem Bienenberg bei Liestal.
Das vollständige Thesenpapier kann man hier anklicken: Stellungnahmen

Datum: 26.04.2007
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Bausteine/VBG

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