«Der Markt ist ethisch blind»: Zehn Jahre Sozialwort

RAV Schweiz
Nikolaus Schneider

Der rheinische Präses Nikolaus Schneider hält das vor zehn Jahren von der evangelischen und katholischen Kirche gemeinsam veröffentlichte Sozialwort für nach wie vor aktuell. «Was wir damals gesagt haben, gilt heute dringender als damals.»

Das betreffe die Frage des Ausgleichs zwischen Arm und Reich genauso wie die Balance zwischen wirtschaftlichen und sozialen Notwendigkeiten. Die Kluft zwischen Arm und Reich werde immer grösser, stellte Schneider im Gespräch mit dem epd fest: «Diese Entwicklung kann man nicht einfach hinnehmen.»

„Alte Standars des Sozialstaats zerbrochen“

Das am 28. Februar 1997 veröffentlichte Papier «Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit» habe so etwas wie den Endpunkt des klassischen Sozialstaats und der klassischen sozialen Marktwirtschaft markiert, sagte Schneider. Seitdem hätten sich die gesellschaftlichen und weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen verändert, «woran eben auch alte Massstäbe und alte Standards des Sozialstaats zerbrochen sind».

«Ich glaube, dieses Papier war der Versuch, gegen die ersten Vorboten der Globalisierung Standards zu setzen und Standards zu verteidigen», sagte Schneider. «Das Setzen von Standards ist gelungen, das Verteidigen von Standards nicht», resümierte der evangelische Theologe.

«Ausbeutung darf sich nicht lohnen»

Zum Abbau der Arbeitslosigkeit forderte der Repräsentant der zweitgrössten evangelischen Landeskirche die Schaffung eines zweiten oder dritten Arbeitsmarktes. Ausserdem plädierte er dafür, Kombilohn-Modelle auszuprobieren, und trat für Mindestlöhne ein: «Ausbeutung darf sich nicht lohnen.» Das sei eine politische Aufgabe, die der Markt aus sich selbst heraus nicht leiste, betonte Schneider. «Der Markt ist ethisch blind.» Um einen geordneten Markt zu schaffen, «muss Politik endlich wieder ihre Handlungsfähigkeit und ihre Handlungskompetenz zurückgewinnen».

Privatisierung ideologisch betrieben

Auch der im Sozialwort geforderte Vorrang von Gemeinwohl vor Eigennutz werde angesichts der Armuts- und Reichtumsentwicklung immer aktueller, sagte der rheinische Präses. Er kritisierte das «hochideologische» Schlagwort «Privat vor Staat», das unterstelle, dass privat im Ansatz alles besser zu lösen sei. Die Beispiele Bahn oder Post zeigten, dass das nicht stimme. Leistungen würden schlechter und teurer, Arbeitskräfte schlechter bezahlt.

„Nicht aus allem ein Geschäft machen“

Sehr kritisch sehe er auch Tendenzen zur Privatisierung in Bereichen der Für- und Vorsorge wie etwa der Bildung und Erziehung, sagte der Theologe. Die EU diskutiere etwa, ob Kindergärten nicht Gewerbebetriebe seien. Solche Bereiche der Lebensvorsorge dürften nicht dem privaten Wettbewerb anheim gegeben werden, warnte Schneider. «Man kann nicht aus allem und mit allem einen Markt und ein Geschäft machen.»

Das Sozialwort der deutschen Landeskirchen 1997
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Bearbeitung Livenet

Datum: 27.02.2007
Quelle: Epd

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