Zürich

„Gemeinsam wollen wir an einer zukünftigen Kirche bauen“

Was 1930 als kirchliches Volkshaus gedacht war, wird 80 Jahre später zu einem kirchlichen Haus der Völker. So fasst Annelis Bächtold, Leiterin der reformierten Koordinationsstelle für Migrationskirchen, den Wandel des grossen Kirchgemeindehauses in Zürich-Wipkingen zusammen. Es dient neu als Zentrum für Migrationskirchen. Am ersten Adventssonntag strömten Menschen aus vier Kontinenten durch seine Türen.
Latino-Power: Sängerinnen der brasilianischen Gemeinde im reformierten Kirchgemeindehaus Zürich-Wipkingen.
Bächtold ANNELIES
Licht in allen Farben: Der grosse Saal des Kirchgemeindehauses nahe der Limmat bei der Einweihungsfeier des Zentrums am Sonntag.
Erwartungsvoll: Christen aus anderen Erdteilen suchen in Zürich Anschluss.

Die reformierten Migranten aus Übersee können sich kaum anfreunden mit den wortlastigen, nüchternen Gottesdiensten der einheimischen Gemeinden, darum gründen sie selbst Gemeinden. Annelis Bächtold erläuterte am 28. November vor den Medien, was der Glaube Migranten bedeutet. „Sie halten Gottesdienste in ihrer Muttersprache, treffen Landsleute, nehmen sich neu Eintreffender an und feiern ihren Glauben, möglichst wie in ihrem Heimatland. Sie bauen sich ein soziales Netz. Regelmässige Treffen, bis zu sechsmal pro Woche, geben ihnen ein Gerüst in ihrem Alltag, das hilft, mit der neuen Lebenssituation zurecht zu kommen.“

Die Eröffnung des Zentrums der Migrationskirchen am ersten Advent

Das Ur-Kirchgemeindehaus am Verkehrsstrom

Warum in Zürich-Wipkingen? Bächtold gab einen Abriss der Geschichte des späten Jugendstil-Baus von 1930, der gemeinnützigen Organisationen und Vereinen dienen sollte und die erste Kinderkrippe der Stadt aufwies. Dazu kamen eine Poststelle und im Untergeschoss Badezimmer, welche Familien mieten konnte, die daheim über keines verfügten.

Allerdings brachte die Westtangente dem gleich neben der Auffahrt zur Hardbrücke gelegenen Gebäude mehr und mehr Verkehrslärm und Abgase. Die Wipkinger bauten schon in den 50er Jahren ein neues Kirchgemeindehaus. Für den markanten Bau ergab sich in den letzten Jahren eine neue Nutzung: Migrationskirchen und eine internationale evangelische Gemeinde versammeln sich hier.

Raum für lebendige Gottesdienste

Die Suche nach Räumen gestaltet sich für Migrationskirchen generell nicht einfach, da die Gottesdienste sehr lang dauern und laut sind. Im Wipkinger Zentrum will die Zürcher Landeskirche nach Bächtold „exemplarisch mit Migrationskirchen zusammen leben und arbeiten“. Für die Stadt solle an diesem Ort sichtbar werden, dass es solche evangelische Gemeinden gibt. „Die Landeskirche möchte Migrationskirchen nicht nur dulden, sondern einen aktiven Schritt auf sie zu machen. Sie sind unsere Geschwister und gemeinsam wollen wir an einer zukünftigen Kirche bauen.“

Von den über 30 fremdsprachigen evangelischen Gemeinden, von denen die Landeskirche Kenntnis hat, versammeln sich im Zentrum derzeit fünf:
- die Igréja Evangélica de Lingua Portuguesa, eine brasilianische Kirche
- die Eglise Evangélique Missionnaire Internationale, eine frankophone afrikanische Kirche
- die Word Base Ministries, eine englischsprachige afrikanische Kirche
- die finnische evangelische Gemeinde Suomalainen Seurakunte
- die OIKOS International Tamil Church

Neben ihnen trifft sich auch die „Internationale Gemeinde Christi“, eine deutschsprachige evangelische Freikirche im Gebäude; sie hatte sich schon vor der Gründung des Zentrums eingemietet.

Full House am Sonntag

Wie Bächtold ausführte, sind am Sonntag alle Räume im ganzen Haus besetzt. „Es ist kein Platz mehr“ – und die Anfragen häufen sich: von einer chinesischen, von einer argentinischen, von einer tamilischen und von drei afrikanischen Kirchen. Voraussetzung für einen Mietvertrag ist eine Vereinsstruktur und die Zustimmung zur Idee des Zentrums.

Einmal im Monat treffen sich alle Leiter der im ZMK eingemieteten Gemeinden. Neben organisatorischen Absprachen lesen sie gemeinsam die Bibel, derzeit die Apostelgeschichte. Jeder Gemeindeleiter legt der Reihe nach den Text nach seinem Verständnis aus. Einleitung zum Treffen sind die Herrnhuter-Losungen. Sie sind für Bächtold „Ausdruck des gemeinsamen Fundamentes. Das gilt es zu stärken.“

Zürcher Stadtgemeinden und Landeskirche als Träger

Das Zentrum für Migrationskirchen wird von der reformierten Landeskirche des Kantons Zürich und dem reformierten Stadtverband Zürich getragen. Der reformierte Stadtverband, Zweckverband der 33 reformierten Kirchgemeinden der Limmatstadt, übernahm die Initiative, die konkrete Trägerschaft und auch die finanzielle Verantwortung. Er mietet die Räume für das Zentrum im Kirchgemeindehaus Wipikingen von der Kirchgemeinde Wipkingen und vermietet sie verbilligt an Migrationskirchen. Wo finanzielle Unterstützung nötig ist, werden die Mietzinse zusätzlich reduziert.

Das Zentrum ist die Frucht fünfjähriger Arbeiten. Nach einem Impuls von Pfr. Peter Dettwiler (Oekumene-Stelle der Landeskirche) rief der reformierte Stadtverband im Herbst 2003 die Arbeitsgruppe Migrationskirchen ins Leben, um sich der Fragen rund um die über 30 Migrationskirchen anzunehmen. Unter der Leitung von Pfr. Theddy Probst entwickelte die Arbeitsgruppe 2005/06 das Konzept für die Koordinationsstelle und für das Zentrum für Migrationskirchen, das sie der reformierten Landeskirche und dem reformierten Stadtverband zur Genehmigung vorlegte.

Am 1. Juli 2006 nahm Annelis Bächtold ihre Arbeit als Koordinatorin auf, 2007 wurde der Mietvertrag mit der Kirchgemeinde Wipkingen unterzeichnet. Nach notwendigen baulichen Massnahmen und einem teilweisen Betrieb konnte ab Sommer 2008 das Zentrum für Migrationskirchen Gestalt gewinnen.

Link zum Thema:
"Wer war ich gestern - und wer werde ich morgen sein?": Tagung über Migration in Basel

Datum: 03.12.2008
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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