Flüchtlings-Experte: Sinnvolle Einzelbestimmungen – zu scharfes Asylgesetz

Zahlreiche Bestimmungen des revidierten Asylgesetzes machen Sinn, weil sie den korrekten Vollzug erleichtern. Doch zusammengenommen ergeben sie laut dem Asylrechts-Experten Urs Winkler ein gegen Ausländer gerichtetes Regelwerk.
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Integration Ausländer
Profunder Kenner der Asylproblematik: Urs Winkler in Bäretswil

Winkler stellte in einem Vortrag in Bäretswil im Zürcher Oberland die beiden Gesetze vor, die am 24. September zur Abstimmung kommen. Der Jurist, 2002-05 Vizedirektor des Bundesamts für Flüchtlinge, verwies dabei auf die Triebkräfte für die weltweite Migration. Obwohl Not und Naturkatastrophen nach internationalen Standards nicht als Gründe für Asyl gelten, lassen fehlende Perspektiven Hunderttausende jenseits des Mittelmeers von Europa träumen. Die Schweiz sei aus vielen Gründen attraktiv, sagte Winkler – eine Eheschliessung mit rotem Pass fast schon ein „Schlüssel zum Paradies“. Schon 1915 habe die Schweiz 15 Prozent Ausländer gezählt.

Wer keine Papiere hat…

Anerkannte Flüchtlinge und vorläufig hier Aufgenommene sind laut Urs Winkler „weit überdurchschnittlich fürsorgeabhängig“. Die bürgerliche Mehrheit von National- und Ständerat hat mit Bundesrat Blocher eine Gesetzesrevision geschmiedet, das den Aufwand von Bund und Kantonen senken und namentlich zwei Probleme mindern soll: Asylbewerber, die ihre Identität verheimlichen, und abgewiesene Ausländer, die nicht heimkehren wollen.

…kann sich als Verfolgter erweisen

Auf Wunsch der Verwaltung präzisiert das neue Gesetz, dass „Reise- oder Identitätspapiere“ abgegeben werden müssen. Allerdings können Asylsuchende auch künftig in der Befragung – unter Anwesenheit eines Hilfswerkvertreters – gute Gründe für das Fehlen der Papiere vorbringen. Und wer sich in der Befragung unzweifelhaft als Flüchtling erweist, darf auch ohne Papiere ein Gesuch stellen.

Problemländer im Süden

Für die kantonalen Polizeikorps sehr belastend sind jene Ausländer, die offensichtlich kein Bleiberecht haben, aber nicht ausreisen wollen. Laut Winkler erweisen sich etwa 30 Länder, wenn sie ihre Leute zurücknehmen sollten, als nicht kooperativ – begreiflich wenn man bedenkt, wie viel Geld jene, die hier arbeiten, ihren Angehörigen schicken (nach Schätzungen global ein Vielfaches der staatlichen Entwicklungshilfe). Der von Bern mehrfach beschrittene Weg zu Rückführungsabkommen ist – der Referent führte im Auftrag von Bundesrätin Metzler Verhandlungen – gepflastert mit Forderungen afrikanischer Staaten an die reiche Schweiz…

Fürsorgestopp – Härtefälle

Die Revision des Asylgesetzes bringt viele kleine und zwei grosse Änderungen, die zur rascheren Ausreise abgewiesener Asylbewerber führen und Nicht-Verfolgte abschrecken sollen. Die erste: Bisher verloren nur jene 25 Prozent das Recht auf Fürsorgeleistungen, auf deren Gesuch gar nicht eingetreten wurde. Neu soll der Fürsorgestopp alle treffen, die schliesslich kein Asyl erhalten – schätzungsweise 70 Prozent.

Die zur Nothilfe verpflichteten Kantone haben es laut Winkler in der Hand, Härten zu mildern. (So sichert der Zürcher Polizeidirektor Jeker in der NZZ zu, dass „Familien oder Minderjährige nicht aus ihren bisherigen Strukturen genommen werden“, sondern bis zu ihrer Rückführung dort bleiben können).

Abschreckung beabsichtigt – und nötig?

Die zweite grosse Änderung – welche im Zentrum der Nein-Kampagne steht – ist die Durchsetzungshaft. Ausreiseunwillige Erwachsene müssen mit maximal 24 Monaten Haft rechnen. Allerdings kann, so Winkler, dieser Häftling jederzeit den Schlüssel in die Freiheit selbst drehen – wenn er nachgibt und ausreist. Im europäischen Vergleich stehe die Eidgenossenschaft heute in der strengeren Hälfte, sagte der Experte in Bäretswil; mit einem Ja am 24. September würde sie zum asylrechtlich restriktivsten Fünftel der europäischen Saaten zählen. Der Referent, der heute das Hilfswerk World Vision Schweiz leitet, unterstrich die Sorgfalt der international vernetzten Bundesbeamten im Einschätzen von Problemländern und Krisenlagen.

Die meisten Ausländer fügen sich gut ein

Von den 1,5 Millionen Ausländern in der Schweiz (über 20 Prozent der Wohnbevölkerung) erregen bloss wenige tausend Unmut in der Bevölkerung und machen Negativ-Schlagzeilen – dies ist laut Urs Winkler im Auge zu behalten. Die Schweiz kommt ohne ausländische Arbeitskräfte nicht aus, doch gesteht das neue Ausländergesetz, das ebenfalls zur Abstimmung kommt, die freie Zuwanderung weiterhin nur EU-Bürgern zu. Bürger anderer Staaten müssen sich über besondere Fähigkeiten ausweisen.

„Weil der legale Migrationsweg versperrt ist, versuchen es viele auf dem Asyl-Weg“, sagte Winkler. Deutlich gesunkene Asylbewerberzahlen dürften nicht darüber hinwegtäuschen, dass der hohe Migrationsdruck auf Europa – die Kanaren und Lampedusa lassen grüssen – nicht abgenommen hat. Der Einsatz von Hilfswerken und staatlichen Entwicklungshelfern im Süden sei mehr als der sprichwörtliche Tropfen auf den heissen Stein – sie verbessern, schloss Winkler, den Alltag Hunderttausender von Menschen und eröffnen ihnen bessere Perspektiven in der Heimat.

Änderungen im Asylgesetz
Amtliche Erläuterungen zur Teilrevision des Asylgesetzes
Neues Ausländergesetz
Amtliche Erläuterungen zum Ausländergesetz
swissinfo-Dossier: Die beiden Vorlagen im Abstimmungskampf
Ja zur Menschenwürde: Nein der Landeskirchen zum Asylgesetz
Koalition für eine humanitäre Schweiz
Doppeltes Nein der EVP
Doppeltes Ja der EDU
CVP: Gesetze gehen in die richtige Richtung
Bürgerliche Parteien für das revidierte Asylgesetz
Bürgerliches Nein-Komitee
Webseite des Hilfswerks World Vision

Datum: 08.09.2006
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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