Etappensieg für «Marchstei» - 10 Jahre und kein bisschen high

Marchstei

Um die Drogenproblematik ist es stiller geworden. Suchtspezifische Einrichtungen mussten geschlossen werden, andere bestehen weiter, haben aber unsichere Zukunfstperspektiven. Dazu gehört die christliche Entzugsstation "Marchstei" in Ittigen, die am 7. September ihr zehnjähriges Bestehen feiert.

Methadon und Heroinabgabeprogramme bewirkten, dass die öffentliche politische Diskussion um die Heilung und Reintegration von Drogensüchtigen abgeflaut ist. Auch in christlichen Gemeinden wird heute weniger über das Drogenproblem gesprochen. Als Folge davon hat auch die Drogenentzugsstation Marchstei in Ittigen bei Bern nicht mehr so viele Nachfragen, wie dies in den frühen 90-er Jahren der Fall war und die Belegung der drei Entzugsplätze der einzigen christlichen Entzugsklinik im Kanton Bern ist Schwankungen ausgesetzt.

Betreuung in der Isolation

In der kleinen Klinik "Marchstei" wird ein 2 - 4 (maximal sechs) Wochen dauernder Entzug, entweder als "kalter Entzug" (ohne Medikamente) oder der mit Medikamenten unterstützte "warme Entzug" durchgeführt. Dabei leben die Patienten in einer Art Kleinfamilie rigoros von der Umwelt abgeschnitten. Die Türen sind geschlossen, Besuche dürfen keine empfangen werden. Telefonieren ist nicht erlaubt. Vor allem sollen dadurch alle Kontakte zur Drogenszene verhindert werden. Dieser Schutz sei nötig, weil in der Phase des Entzugs die Gefühlswelt völlig durcheinander gerate, erklärt Anita Sieber, die die Klinik seit April dieses Jahres leitet und bereits seit acht Jahren hier als Sozialarbeiterin arbeitete. Die Patientinnen und Patienten verbringen den Tag mit Hausarbeiten, begleiteten Spaziergängen und täglichen Einzelgesprächen. In solchen Gesprächen gehe es oft um existenzielle Fragen und immer wieder komme da ein Scherbenhaufen zum Vorschein, sagt Sieber. Es geschehe aber noch keine gezielte therapeutische Arbeit. Diese sei erst in einer späteren Behandlung auf einer Therapiestation vorgesehen.

Gebet auf dem Weg

Im Alltag im Marchstei werden bewusst christliche Akzente gesetzt: Ein erster Input am Morgen, eine Gebetszeit zum Tagesabschluss oder der regelmässige Besuch eines Gottesdienstes in einer Landes- oder Freikirche in der Umgebung. Das Betreuungs-Team bete regelmässig für die Patienten und bewusst einen Monat lang für alle Ausgetretenen, sagt Sieber.

1992 rief die Evangelische Allianz Bern den "Marchstei" als christlich geführte Entzugsstation ins Leben. Die Arbeit wird vom Kanton Bern unterstützt. Etwa ein Viertel des jährlichen Budgets, das sind 125000 Franken, werden durch Spenden finanziert. Seit der Gründung ist der Drogenentzug in der Klinik mit rund 500 Patienten durchgeführt worden. In der ersten Jahreshälfte, kurz vor seinem zehnjährigen Jubiläum, geriet die private Entzugsklinik wegen reduzierten Kantonalbeiträgen in finanzielle Schwierigkeiten. Durch eine in der vergangenen Woche beschlossene Überbrückungszahlung des Kantons Bern für das Jahr 2002 ist nun der Betrieb vorläufig gesichert.

Interview

Anita Sieber, obwohl Sie sich als christliche Entzugstation deklarieren, wird bei Ihnen eigentlich wenig evangelisiert.
Anita Sieber: Mit dem Aufruf zu Glaubensentscheidungen sind wir zurückhaltend und drängen sicher nicht auf Bekehrungen. Wir wollen die Situation der geschwächten Menschen nicht missbrauchen. Ein Entzug bringt die Gefühlswelt völlig durcheinander. Das müssen wir berücksichtigen.

Und doch gibt es immer wieder Glaubensentscheidungen.
Sieber: Das ist das motivierende an unserer Arbeit. Wir möchten den Leuten vor allem Informationen über den Glauben weitergeben. Eine Glaubensentscheidung soll nicht einfach aus den Emotionen heraus kommen. Die Leute sollen wissen, dass die Entscheidung einen Preis hat. Viele Patienten spüren aber auch durch kleine Wunder und Gebetserhörungen etwas von der Existenz und der Liebe Gottes.

Sie sind nun schon seit über acht Jahren im "Marchstei". Was würden Sie heute anders machen?
Sieber: Am Anfang hatten wir als christliche Organisation den Eindruck: Wir haben es im Griff. Das war christliche Überheblichkeit. Als wir im Jahr 1997 einen Erfolg von 97 Prozent hatten, waren wir besonders Stolz. Dann aber kam der Einbruch. Heute liegen wir mit 50 bis 60 Prozent abgeschlossenen Entzügen im schweizerischen Durchschnitt.

Warum dieser Einbruch?
Sieber: Früher hatten wir nur "kalte Entzüge" und damit sehr hochmotivierte Patienten. Als wir begannen, auch Entzüge mit Medikamentunterstützung durchzuführen, kamen auch viel schwierigere Leute. Das hat mit der "christlichen Ausrichtung" wahrscheinlich wenig zu tun.

Datum: 07.09.2002
Quelle: idea Schweiz

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