Wirtschaftssalat an Ethikdressing

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Andrea Keller, Dr. oec. publ., CH-Illnau

Rund um mich erblicke ich Wirtschaftssalat an Ethikdressing. Warum Salat? Das decken die Medien auf. Die Beispiele von Korruption, Betrug, Missmanagement häufen sich dramatisch. Die Financial Times stellt fest, «dass die Wurzel des Problems im Verlust des Glaubens an objektive ethische Standards» zu suchen ist. Ethikdressing: Der Schrei nach Ethik hallt seit 15 Jahren unüberhörbar durch Kongressgebäude, Seminarräume und Hörsäle; gebessert hat sich nichts. Die feilgebotenen Dressings machen den Salat nicht genießbarer. Mit anderen Worten: zu viele Dressings verderben den Salat.

Ich beleuchte zwei mögliche Ursachen für das Desaster in unserer Wirtschaft. Zum einen ist dies der Zusammenhang zwischen Wohlstand und Werten, zum anderen das dominierende Paradigma der Evolutionstheorie und seine Tauglichkeit bzw. Untauglichkeit als ethische Basis.

Die erste Ursache

Die interkulturelle Forschung beweist: Je mehr Wohlstand in einem Wirtschaftsraum besteht, desto mehr schreitet die Individualisierung fort. Wir leben mehr denn je unsere individuellen Wertvorstellungen. Wir genießen die eigenständige Entscheidungsfreiheit. Kleinkinder werden gefragt, was sie essen oder anziehen wollen. Der Teenager wählt seine Schule, seine Hobbys und Sportarten, der Erwachsene seinen Beruf oder Partner nach eigenem Gusto. Die Kehrseite ist: wir sind gezwungen, uns laufend zu entscheiden; eine Fehlentscheidung wird dem betreffenden Menschen angelastet. Wir müssen uns also mehr denn je der Schuldfrage stellen.

Entscheidend ist nicht nur der Wandel der Wertvorstellungen, sondern der Pluralismus der Werte. Die gemeinsamen, kollektiv geteilten Werte treten zurück, sie «pluralisieren » sich. Das verspricht mehr persönliche Freiräume, erschwert aber die Koordination der Gesellschaft und Wirtschaft. Gemeinsame Werte bilden ein Fundament für Vertrauen und die Koordination der Handlungen. Sein Verlust führt auf verschiedenen Ebenen zu Auflösungserscheinungen.

- Auf individueller Ebene führt es zur einsamen, individuellen Sinnsuche. Woran sollen wir uns denn orientieren? Ein weiteres Problem ist, dass wir an allem selbst schuld sind; wir haben ja selbst gewählt. Die falsche Wahl macht uns zum Versager.

- Auf gesellschaftlicher Ebene führt es zum Verlust an Integration des Gesamtsystems. Ohne die koordinierende Wirkung gemeinsamer Werte fallen wir auseinander (Drifting Societies). Immer mehr formelle, wortreiche Gesetze und Regeln sichern das Zusammenleben. Deren Einhaltung muss kontrolliert, Fehlverhalten sanktioniert werden; eine überaus teure Geschichte!

- Auf der wirtschaftlichen Ebene greife ich die Protestantismusthese von Max Weber auf. Ihr zufolge konnte sich der Kapitalismus nur deshalb entwickeln, weil er auf christlichen Grundwerten basierte; er nennt die protestantische Ethik Calvins, Werte wie Arbeitsethos, Sparsamkeit, Nächstenliebe usw. Ohne Arbeitseinsatz keine Produktivität, ohne Sparsamkeit keine Kapitalbildung, ohne christliche Grundwerte keine Kontrolle des Systems.

Was wir heute haben, ist jedoch ein Kapitalismus, dem die grundlegenden Werte entzogen wurden und der deshalb den «Boden verliert». Martin Luther King sagte es so: «Wir neigen heute dazu, Erfolg eher nach der Höhe unserer Gehälter oder nach der Größe unserer Autos zu bestimmen als nach dem Grad unserer Hilfsbereitschaft und dem Maß unserer Menschlichkeit.»

Die zweite Ursache

Die Evolutionstheorie hat Folgen für die ethische Basis. Spätestens in der Midlife-Crisis stellt sich der Mensch die drei Fragen: Woher komme ich, wozu bin ich, wohin gehe ich? Eine vierte Frage ist: «Und was schließe ich daraus für mein Handeln?» Die Schulen antworten heute folgendes:

1. Frage: «Woher komme ich?» Antwort: «Aus einem Einzeller.» Anschlussfrage: «Und woher kommt der?» Antwort: «Keine Ahnung.»
2. Frage: «Wozu bin ich?» Antwort: «Um der Stärkere zu sein und zu überleben.» Anschlussfrage: «Warum? » Antwort: «Keine Ahnung.»
3. Frage: «Wohin gehe ich?» Antwort: «In den Sarg.» Keine Anschlussfrage.
4. Frage: «Und was schließe ich daraus für mein Handeln?» Antwort: «Ich muss den Schwächeren mit allen Mitteln unterdrücken, um zu überleben.» Anschlussfrage: «Wozu soll ich denn überleben?» Antwort: «Keine Ahnung.»

Wie sieht ethisches Handeln auf Basis der Evolutionstheorie also aus? Ein Mann hat die Sache zu Ende gedacht: «Die Natur lehrt uns ... dass das Prinzip der Auslese sie beherrscht, dass der Stärkere Sieger bleibt und der Schwächere unterliegt. Sie lehrt uns, dass das, was dem Menschen dabei oft als Grausamkeit erscheint, weil er selbst betroffen ist oder weil er durch seine Erziehung sich von den Gesetzen der Natur abgewandt hat, im Grunde doch notwendig ist, um eine Höherentwicklung der Lebewesen herbeizuführen. Die Natur kennt vor allem nicht den Begriff der Humanität, der besagt, dass der Schwächere unter allen Umständen zu fördern und zu erhalten sei, selbst auf Kosten der Existenz des Stärkeren. ... Der Krieg ist also das unabänderliche Gesetz des ganzen Lebens. Ein Volk, das sich nicht zu behaupten vermag, muss gehen und ein anderes an seine Stelle treten» (Adolf Hitler).

Die Evolutionstheorie konsequent zu Ende gedacht und als ethische Basis verwendet, scheint nicht das Gelbe vom Ei für unser Zusammenleben zu sein. Dies musste sogar der englische Naturalist und Gegner des Christentums, Thomas Henry Huxley (1825- 1895) eingestehen: «Ich muss bekennen, wie verwirrt ich war, als ich eine Grundlage suchte zu einer moralischen Verhaltensweise für unsere chaotische Zeit, ohne die Bibel zu brauchen.» Wie manifestiert sich das Unbehagen in unserer Wirtschaft und Gesellschaft denn konkret?

1. Wir sehen uns einem Wirtschaftsschlamassel gegenüber und einem vielfältigen Angebot an Ethiken und können uns nicht entschließen, welche wir wählen sollen.
2. Wir suchen irgendwo den Sinn und meinen, ihn in Luxus, Prestige, Image und Macht zu finden. Damit verbunden ist ein kurzfristiges Denken, wo es nicht mehr um das Überleben und die Entwicklung von Unternehmen, sondern um den nächsten Quartalsabschluss und die damit verbundenen Boni geht.
3. Wir fühlen uns bewusst oder unbewusst schuldig und überfordert; können die Belastung aber nicht beim Namen nennen.
4. Wir grollen Mitmenschen/Mitarbeitern jahrelang, ohne in der Lage zu sein, zu vergeben. Das schadet nicht in erster Linie den Betroffenen, sondern uns selbst.
5. Wir suchen Halt aneinander und stellen fest, dass wir alle schwach und vergänglich sind und weder wirklichen Halt geben noch empfangen können.
6. Wir führen Menschen und können uns selbst nicht führen.
7. Das Vertrauen in unsere Mitmenschen und vor allem Führungskräfte ist geschwächt, d.h. jeder kämpft für sich selbst.

Anders gesagt: Wir haben kein Vertrauen, sehen keinen Sinn, verfügen über keine verbindlichen, gültigen Richtlinien, suchen Halt am falschen Ort, betrügen uns selbst und andere fortlaufend und passen unsere Ethik den jeweiligen Umständen flexibel an. Das sind keine idealen Voraussetzungen für ein Zusammenleben.

Die ethische Frage heißt: «Was sollen wir tun?» Das führt zur Frage: «Wer oder was sagt uns denn verbindlich, was recht und was falsch ist?»

Ich habe mich entschieden, mein Leben Gott und Jesus Christus anzuvertrauen, und dass sein Wort für mich verbindlich gelten soll. Das ist die Ethik, an die ich glaube, und ich will Ihnen sagen, warum.

15 Jahre wissenschaftliche Tätigkeit haben mir gezeigt, mit wie vielen Wahrheiten wir konfrontiert sind. Wahrheit ist immer eine Frage der persönlichen Entscheidung.

Die Wissenschaft hat mich weiter gelehrt, dass man kein System aus sich selbst heraus erklären kann. Man braucht immer ein unabhängiges Referenzsystem von außerhalb. Ich habe außer der Bibel keinen vertrauenswürdigen Anhaltspunkt dafür gefunden, wer oder was das sein könnte.

Als Wissenschafter sucht man immer nach Beweisen. Das Ungewohnte in Glaubensfragen ist, dass man sich zuerst darauf einlassen muss und schauen, ob die Beweise folgen. Ich habe erlebt, dass selbst zögerliche Bitten, schüchterne Versuche vehemente Wirkung zeigten. Es gab Zeiten in meinem Leben, wo kein Stein mehr auf dem anderen stand; «…aber siehe, es war gut!»

Ich habe weiter feststellen müssen, dass ich zwar meinen Körper fit kriege, meine Seele aber beim besten Willen nicht. Meine garstigen Eigenschaften bringe ich mit meinem Willen allein einfach nicht weg. Gott aber verändert mich von innen heraus. Heute merke ich, dass ich gewisse bösartige Dinge einfach nicht mehr fertig bringe, dass ich in die Lage versetzt werde, verzeihen zu können, mir selbst und anderen – dies zur Entlastung meiner Mitmenschen wie auch zu meiner eigenen Befreiung. Auch kann ich vieles loslassen, was früher meine Psyche Tag und Nacht bedrückte und zahllose Ängste verursachte.

Gott ist beliebig belastbar, nie überfordert, und niemand nimmt ihn mir weg. Er bietet Sinn und unerschöpflichen Halt, wo alle andern längst erschöpft und überfordert sind.

Was bedeuten christliche Grundwerte für die Führung unserer Wirtschaft? Führungskräfte, die ihren eigenen Wert vor Gott kennen, schöpfen ihr Selbstvertrauen nicht aus Macht, Status und Materie. Das macht sie unabhängiger von persönlichem Nutzenstreben, gelassener, belastbarer und freier in ihren Entscheidungen. Führen in diesem Sinne heißt dienen, nicht herrschen.

Wer die Sinnfrage für sich beantwortet hat, ist in der Lage, sich selbst und andere durch Krisen zu führen, Mut zu machen und mit Kritik objektiv und konstruktiv umzugehen. Wo Taten und Worte übereinstimmen, Offenheit und Ehrlichkeit erfahren wird, entsteht Vertrauen – selbst in schwierigen Zeiten.

Ein Manager, der sich selbst und anderen vergeben kann, verfügt über mehr Energie, seine Kraft und Gedanken in den Dienst einer Unternehmung und ihrer Mitarbeitenden zu stellen.

Warum braucht es eigentlich Mut, sich auf Gott einzulassen? Wenn es ihn nicht gibt, verliere ich ja nichts. Das Problem liegt wo anders: Wir haben Angst, dass tatsächlich etwas passiert, dass sich in unserem Leben tatsächlich etwas verändert. Das eigentliche Problem ist also nicht, Gott zu finden, sondern, dass wir ihn gar nie so richtig loswerden.

Autorin: Andrea Keller, Dr. oec. publ., CH-Illnau

Datum: 20.06.2005
Quelle: Reflexionen

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