Skurriler Streit

Wer darf den Gotthardtunnel segnen?

Der ehemalige Abt von Einsiedeln, Martin Werlen, hat sich in die Nesseln gesetzt. Zuerst musste er den Reformierten erklären, warum es sie nicht braucht, wenn die Christen den Gotthardtunnel segnen. Nun bekommt er doch einen Reformierten zur Seite. Vielleicht als Wasserträger.
Neue Gotthard-Lokomotive zur Eröffnung des neuen Gotthard-Basistunnels.
Abt Martin Werlen
Gerhard Pfister

Als Pater Werlen von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (AGCK) die Vollmacht erhielt, die Christen bei der Segnung des monumentalen Bahntunnels zu vertreten, dürfte er kaum geahnt haben, was danach auf ihn zukommen würde...

Nämlich jede Menge Proteste von mehr oder weniger prominenten Reformierten, die es daneben finden, dass allein ein Katholik die Schweizer Christen vertreten soll. Dass kein Reformierter, aber dafür Imam Bekim Alimi und Rabbiner Marcel Ebel zur Segnung aufgeboten werden, wurde gar als Provokation empfunden. Claude Ruey, Präsident des Heks, war geschockt, wie er «Le temps» verrät. «Ein politischer Fehler!», donnerte er.

Und eine Online-Umfrage von «20 Minuten» gab ihm Recht: 60% der Umfrageteilnehmer fanden, dass ein Reformierter zur Tunnelsegnung gehöre. Segnen nicht die Reformierten auch sonst so ziemlich alles ab?

Der Reformierte als Wasserträger

«20 Minuten» blickte daher auf die Segnung des Lötschbertunnels 2007 zurück: «Dort waren mit dem reformierten Pfarrer und Berner Synodalratspräsidenten Samuel Lutz und dem Sittener Bischof Norbert Brunner je ein Vertreter der beiden grössten christlichen Konfessionen in der Schweiz anwesend. Während der katholische Bischof die Tunnelwände mit Weihwasser besprühte, trug Lutz den Wasserkessel.»

Doch nun hat sich auch der katholische Präsident der CVP, Gerhard Pfister, zu Wort gemeldet. Und auch er findet, da müsste unbedingt ein Reformierter (oder eine Reformierte?) dazu gehören. Er erwartet, dass Martin seinen Entscheid korrigiere und die «Protestanten» in die Feier einbeziehe. Beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) gab man sich vorerst gelassen und sah keinen Grund zum Protest. Man stand dazu, dass die Christen sich heute auch von einem Katholiken vertreten lassen können.

Tempi passati. Seit gestern steht die Kirche wieder im Dorf. Der Kirchenbund hat dem Druck nachgegeben und erreicht, dass auch ein reformierter Pfarrer dabei sein darf. Wer es sein wird, steht noch nicht fest. Ist auch nicht so wichtig, denn er wird wohl auch wieder der Wasserträger sein.

Alle Christen «mit einer Stimme vertreten»!

Der Versuch, die Christen bei einem nationalen Event durch einen Katholiken repräsentieren zu lassen und sie so mit einer Stimme zu vertreten, ist also definitiv gescheitert. Mit diesem Argument hatte Martin Werlen seinen Soloauftritt für die Christen gerechtfertigt. Neben Martin Werlen hatte sich auch Tunnelfeier-Projektleiter Gregor Saladin in die Nesseln gesetzt. Er gab den Schwarzen Peter aber weiter: Martin Werlen selbst habe eine interreligiöse statt eine ökumenische Zeremonie vorgeschlagen. Das Bundesamt habe einfach diese Idee aufgenommen. 

Auch die Atheisten mit einer Stimme dabei

Und noch eine andere Neuerung wird es bei dieser Segnung geben: Auch die Atheisten werden bei der Segnung dabei sein! Pieter Zeilstra, Abteilungschef Sicherheit im Bundesamt für Verkehr, vertritt bei der Feier die «Gruppe ohne Religionszugehörigkeit», die ja «fast einen Viertel der Bevölkerung ausmacht», so das BAV. Die Freikirchen dagegen und viele andere Religionen in der Schweiz dürfen Zuschauer sein.

Leicht überrumpelt durch die neue Entwicklung schlägt Martin Werlen jetzt vor, dass der Reformierte den vorbereiteten Textteil mit Versen aus der Zürcher Bibel vorlesen wird. Mit der Lesung aus der «Zwingli-Bibel» wollte er zuvor auch den Reformierten eine Stimme geben.

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Datum: 20.05.2016
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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