Schuldenkrise

Wir brauchen eine Reform des Kapitalismus

Warum haben die wirtschaftlich «erfolgreichsten» Länder der Welt die grössten und zum Teil kaum überwindbaren Schulden? Was müsste sich ändern? Ein Gastkommentar des Fantasy-Romanschriftstellers und Jungpolitikers Jyoti Guptara.
Kapitalismus
Jyoti Guptara

Warum gehen selbst Grossbanken bankrott und können mit dieser Gefahr ganze Volkswirtschaften in den Ruin treiben? Warum hungert die Mehrheit der menschlichen Spezies, obwohl schon längst genug Ressourcen für alle bestehen? 


Grund ist keine Finanzkrise, sondern eine Werte-Krise. Die Institutionalisierung der Habsucht führte zur Zweckentfremdung des wirtschaftlichen Treibens. Digitale Zahlen haben durch Missbrauch zu nachhaltigen Problemen für die globale Ökonomie geführt und gleichzeitig jeglichen Bezug zur Realität verloren. So steckte beispielsweise am Anfang der Finanzkrise 2009 mehr als vierzig Mal soviel «Geld» in imaginativen Investitionen (wie Credit Default Swaps und andere «Toxic Assets»), als es überhaupt Geld auf der Welt gab!



Die zum Selbstzweck gewordene Finanzwirtschaft dient einer kleptokratischen Elite, sie zerstört Werte und Gesellschaft und schadet der Mehrheit der Menschen als auch grossen souveränen Ökonomien, und nicht zuletzt dem Planeten selbst. Als wichtiger Akteur auf dem globalen Parkett sollte die Schweiz Verantwortung auf der internationalen Bühne übernehmen und in ihrer Führungsposition diesem Eskapismus endlich Einhalt gebieten. 
Es muss ein grundlegendes Umdenken stattfinden. Wir müssen uns überlegen: Wurde der Mensch für die Arbeit oder die Arbeit für den Menschen gemacht? 



Hier meine konkreten Vorschläge für eine Politik, welche zu einer kreativeren, gerechteren und nachhaltigeren Form der Wirtschaft führen kann:

1. In das globale Wirtschaftssystem sollten die Werte Menschlichkeit und Nachhaltigkeit systemisch integriert werden. Dies soll von einer rein zahlen- und schuldenorientierten Ökonomie zu einer Ökonomie führen, die sich ganzheitlich versteht. Also nicht auf «Profit», sondern auf reelle Werte abgezielt. Wir müssen uns einer Ökonomie, die dem Gemeinwohl dient und Beziehungen fördert – dem «Relational Economy» – widmen.

2. Umsetzen der «Tobinsteuer» zum Schutz der (schwächeren) Volkswirtschaften vor kurzfristigen, destruktiven Investitionen, damit Währungen die Realwirtschaft widerspiegeln und um Spekulation einzudämmen.

3. Einführung von zwei Arten von Aktien: 1) Short-Term-Aktie: Kann sofort gekauft und verkauft werden. 2) Long-Term-Aktie: Muss gemeinsam mit der Short-Term-Aktie gekauft werden und kann erst 365 Tage nach Einkauf verkauft werden. Damit soll verantwortungsloses Investieren unmöglich gemacht werden.

4. Globale «Superreicheninvestmentverpflichtung»: Der reichste Prozent der Weltbevölkerung ist automatisch zu einer Investition von min. 1% seines Wohlstandes in die ärmsten Teile der Welt (z.B. durch Microfinance) verpflichtet. Dies ist nicht als Strafe, sondern als Ausgleichsmassnahme, die sogar wirtschaftlich lukrativ sein kann, gedacht.

5. Diese «Superreicheninvestmentverpflichtung» ist aber nicht nur auf einer globalen Ebene, sondern auch auf nationaler Ebene zu etablieren, damit das reichste Prozent der Bürger armer Länder auch zu Investitionen in ihr Land verpflichtet werden. (So kann es zum Beispiel sein, dass der reichste Bewohner eines Landes aus der dritten Welt nicht zu dem reichsten Prozent der Weltbevölkerung zählt – damit er aber nicht «ungeschoren» davonkommt, gibt es diese Regel auch auf nationaler Ebene.)

6. Ein Geheimnis der Stabilität der schweizerischen Wirtschaft ist die WIR-Währung. Die Schweiz sollte deshalb Forschung über die Hintergründe und Vorteile des WIR betreiben und seine spezifische Wirkung auf die Wirtschaft herausfinden. Diese Forschung sollte in englischer Sprache und durch öffentliche Ausschreibungen erfolgen.

7. Jede Volkswirtschaft der Welt sollte eine WIR-ähnliche Alternativwährung einführen, um die wirtschaftliche Aktivität am Laufen zu halten und sich selbst zu stabilisieren.

Ich sage nicht, dass alles Obige unbedingt umgesetzt werden muss, um die Lage zu bessern; ich behaupte auch nicht, dass alles gelöst wäre, wenn die sieben Punkte in Kraft treten. Das sind nur meine ersten Vorschläge, die natürlich diskutiert und verbessert werden müssen. Aber wir sollten es nicht nur den Wirtschaftsprofessoren überlassen!
 
Wer soll dann die Pionierarbeit leisten? Ganz einfach. Es ist schon geleistet worden. Man muss nur in den Spiegel der Geschichte schauen. Wir Protestanten haben den Kapitalismus erschaffen. Nun gilt es, sie wieder zurückzugewinnen.
 
Wesley und die Reformatoren ermutigten dazu: «Verdiene, so viel du nur kannst (ethisch) – spare, so viel du nur kannst – und gib, so viel du nur kannst.» Dank der biblischen Einstellung zu Wohlstand entstand erstmals in der Weltgeschichte ein Mittelstand … welcher nun wieder schrumpft, da anti-biblische Werte gelebt werden. Eigentlich müsste jeder Christ schockiert sein, dass heute so offensichtlich genau die umgekehrten Werte zum Wachstumsmotor der Wirtschaft geworden sind: Schuld und Defizit.
 
Warum setzt sich die Kirche nicht mehr mit diesen Themen auseinander? Sie gelten als «ungeistlich». Das ist völlig unbiblisch! Es waren die Heiden, die zwischen «sakral» und «säkular» trennten: Das hat die Kirche von den Griechen geerbt. Viele Fehler wurden bei der Reformation korrigiert, aber nicht alle, und heute ist die Kirche unfähiger als damals. Eine neue Reformation ist dringend nötig.

Mehr zum Thema:
Das Dossier zur Finanzkrise

Datum: 04.10.2011
Autor: Jyoti Guptara

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