Gewähren die Saudi-Prinzen endlich Freiheit?

Prinz
Flagge
Mädchen zeigt Menschenrechtserklärung

Riad - Die saudische Führung will die US-Militärpräsenz im Land beenden – wenn die Irak-Krise vorüber ist. Zudem sind im königlichen Clan der Saud, der das Land beherrscht und ihm auch den Namen gegeben hat, offenbar Entscheidungen für eine grössere Beteiligung der Untertanen an der Politik gefallen. Der Wandel betrifft laut der in der Regel gutinformierten New York Times auch die strikt konservative islamische Geistlichkeit; ihre Macht im Wüstenkönigreich soll eingeschränkt werden.

Die Entschlüsse wurden offiziell noch nicht bekanntgegeben; sie sollen das Ergebnis langwieriger Debatten im Schoss des 7'000 Prinzen umfassenden Saud-Clans sein. Es heisst, dass Kronprinz Abdullah Präsident Bush um den Abzug aller US-Truppen ersuchen wird, sobald die Entwaffnung Iraks abgeschlossen ist.

In den USA hat die Kritik am saudischen Regime, das seinen Bürgern grundlegende Menschenrechte vorenthält, nach dem 11. September 2001 massiv zugenommen. Menschenrechtsorganisationen und christliche Gruppen weisen auf die dauernden Verletzungen grundlegender Menschenrechte hin. Vernehmlicher wurden letzthin grundlegende Reformen gefordert, wobei Washington die Beziehungen zum Land mit den grössten Erdölreserven der Welt nicht abbrechen will.

US-Truppen auf saudischem Boden: ein Skandal

Anderseits ist die dauernde Anwesenheit von Truppen der nicht-islamischen USA (auch ‚ungläubiger‘ Frauen) auf saudischem Territorium für viele Einheimische ein Skandal. Sie verträgt sich nicht mit der Staatsidee Saudi-Arabiens, wonach das Land ganz dem Islam geweiht ist (und allein auf den Schutz Allahs zählen soll). Der Chef-Terrorist Osama bin Laden gewann darum die Sympathie vieler saudischer Landsleute, als er die US-Truppen zum Vorwand nahm, um dem Prinzen-Regime der Saud den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Die meisten Attentäter des 11. September waren Saudis.

Mit dem Ende der Stationierung der US-Truppen soll nach den Andeutungen saudischer Beamter auch ein Demokratisierungsprozess eingeleitet werden. Die Bürger des Landes – die Männer, wohlverstanden – könnten in einem sechsjährigen Prozess Vertreter in Provinzversammlungen und später in eine Nationalversammlung wählen, hiess es. Die Kompetenzen dieser Gremien sind noch unbekannt.

Gegen die bornierten Geistlichen

Mit ihnen, so vermuten US-Experten, wird Kronprinz Abdullah die Macht der islamischen Geistlichen einzuschränken suchen. Sie stehen in der Tradition von Scheich Muhammad bin Abd al-Wahhab, dem Verbündeten der ersten Saud-Herrscher im 18. Jahrhundert, und predigen die intolerante wahhabitische Version des Islam. Mit Unterstützung des Königshauses prägen die Wahhabiten bis heute das Gesicht Saudi-Arabiens; sie fordern Misstrauen und Kampf gegen Nicht-Muslime und die globale Ausbreitung und kompromisslose Durchsetzung ihres Islam.

Die intoleranten Auffassungen der Wahhabiten werden an den islamischen Hochschulen des Landes gelehrt, wo Muslime aus aller Welt, auch aus Europa, die Ausbildung zum Imam durchlaufen. Die Ideen kommen von Mauretanien bis Indonesien in den Moscheen und Koranschulen zum Tragen, die mit saudischen Petrodollars gebaut werden. Die muslimische Welt-Liga hat seit den 70-er Jahren von Mekka aus den grössten Missions-Effort der Geschichte betrieben. Laut dem christlichen Handbuch ‚Operation World‘ wurden in einem Jahr 28 Millionen Exemplare des Koran gedruckt.

Noch immer keine Frauen am Steuer

Ob und wie diese Bestrebungen weiterlaufen, bleibt vorderhand offen. Im Land viel mehr zu reden geben dürfte die Aussicht auf mehr Mitsprache des Volks. Mit demokratisch gewählten Versammlungen, so wird vermutet, könnte das Königshaus auch versuchen, den Frauen mehr Rechte zu geben. Die Macht der Wahhabiten zeigt sich darin, dass saudischen Frauen das Wirken in der Öffentlichkeit, auch das Lenken eines Autos verboten ist.

Nun ist von einem Prinzen zu hören, im Koran sei nicht zu lesen, dass Frauen nicht selbst fahren könnten. „Aber wir haben die Meinung, dass Frauen fahren können, einfach nie getestet.“ Denn die Königsfamilie habe sich einfach den Vorschriften der Geistlichkeit unterworfen, deren Unterstützung ihr ursprünglich die Macht über das Land gesichert habe. „Bisher kann ein religiöser Führer alles verhindern, was man ändern will“, äusserte ein Prinz. Nun sei die Zeit für die Koalition des Herrscherhauses mit den Geistlichen abgelaufen.

Wachsende soziale Unrast ...

Mit der langsamen Reform will das saudische Königshaus dem Druck begegnen, der seine Macht über die riesigen Schätze der arabischen Halbinsel in Frage stellt. Zugleich bemüht sich das Haus Saud, den Wandel als etwas darzustellen, was nicht einfach von der Supermacht USA erzwungen wird. Das würde den geschwundenen Respekt der saudischen Untertanen für die Herrscher weiter abbröckeln lassen. Diese Untertanen sind laut der New York Times „zunehmend jünger, ohne Arbeit, religiös und antiamerikanisch“ gesinnt.

Wegen der guten medizinischen Versorgung wächst die saudische Bevölkerung rasch; das Durchschnittsalter ist weit unter 20 Jahre gesunken. Hunderttausende finden keine Arbeit – oder sind sich zu gut dafür, weshalb die Staatsführung mit harten Massnahmen die Zahl der Ausländer (derzeit sieben Millionen, bei 17 Millionen Einheimischen) zu verringern sucht. Das Ministerium für Soziales und Arbeit will innert fünf Jahren 800'000 Arbeitsplätze für junge Saudis schaffen. Vier von fünf Saudis leben heute in Städten; viele von ihnen hegen extreme islamistische Erneuerungsphantasien.

...zwingt zum Handeln

Der saudische Innenminister Prinz Nayef bin Abdul Aziz und auch der Verteidigungsminister Prinz Sultan bin Abdul Aziz, der offenbar als nächster Kronprinz ausersehen ist, sollen sich gegen die Reformpläne ausgesprochen haben. Doch würden diese Vertreter der älteren Generation die Entscheidungen von Kronprinz Abdullah mittragen, denn „die königliche Familie wird immer zusammenhalten, besonders in Krisenzeiten“, sagte ein Mitglied des Hauses laut der New Yorker Zeitung. Allerdings birgt jede politische Reform viel Sprengstoff. (Ein Mitglied des Könighauses verglich sie mit dem Versuch, das indische Erotikbuch Kamasutra im prüden viktorianischen England des 19. Jahrhunderts herauszugeben!)

Begeisterte Zustimmung finden die Reformabsichten bei saudischen Geschäftsleuten und den vielgereisten Prinzen der mittleren Generation. Einer bezeichnete die Reform als ein Muss und keine Option; auch die Beteiligung des Volks an der Macht müsse kommen. Bisher regieren die Saud-Prinzen das Land mit unbeschränkten Kompetenzen, wie einen Familienbesitz – ähnlich wie im Mittelalter die europäischen Adelshäuser.

Brutale Intoleranz

Der Gipfel der Intoleranz ist jedoch das Verbot anderer Religionen, das die massgebenden wahhabitischen Theologen bis heute beibehalten konnten. Saudi-Arabien hat vermutlich die weltweit ärgste Menschenrechtsbilanz (obwohl es die UN-Menschenrechtserklärung unterzeichnet hat): Versammlungsfreiheit gibt es nicht, Misshandlungen und grausame Körperstrafen gehören zum Polizei- und Gefängnisalltag.

Die Glaubensfreiheit wird geleugnet; eine brutale Religionspolizei und eine korrupte Justiz bedrohen jene an Leib und Leben, die anders als von oben verordnet glauben wollen. Saudis, die den Glauben an Christus bekennen, droht die Hinrichtung. Wie lange noch?

Datum: 12.02.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

Publireportage
Werbung
Livenet Service
Werbung