Islamisten überraschend stark bei Wahl in Pakistan

Was wird die Zukunft den Menschen in Pakistan bringen?
Jubel der Islamisten nach den ersten Resultaten der Abstimmung.
Pakistan im Schatten der Moscheen.
Welche Zukunft haben die Kirchen in Pakistan?
Wie wird die Regierung nach den Wahlen auf den Druck der Strasse reagieren?
Religiöse Lehrer üben starken Einfluss auf die Gesellschaft aus.

Islamabad. Bei der Parlamentswahl in Pakistan zeichnet sich ein überraschend starkes Abschneiden religiöser Parteien ab. Bei der Parlamentswahl in Pakistan liefern sich das überraschend starke islamische Parteienbündnis MMA und die Militärmachthaber Pervez Musharraf nahe stehende Moslemliga PML-Q ein Kopf-Kopf-Rennen.

Religiöse Parteien haben bei der Parlamentswahl in Pakistan überraschend ihr bislang bestes Ergebnis erzielt. In der Provinz Nordwest nahe der afghanischen Grenze holte ein Bündnis aus sechs islamischen Parteien mit 50 Mandaten die Mehrheit der 99 Sitze, wie die Behörden am Freitag mitteilten. Auch in der Grenzprovinz Belutschistan zeichnete sich eine Regierungsbildung dieser Allianz ab. Die Auszählung der Stimmen für das Nationalparlament kam nur langsam voran.

Islamisten könnten Zünglein an der Waage sein

Bei den Wahlen 1997 hatten die damals zersplitterten Islamisten nur insgesamt vier Sitze errungen. Mit ihrem von Experten als überraschend deutlich bezeichneten Stimmengewinnen werde die MMA im neuen Parlament voraussichtlich Zünglein an der Waage sein, hiess es. Grossen Zulauf konnten die Islamisten in den an Afghanistan grenzenden Provinzen verzeichnen, wo sie nach dem von Musharraf unterstützten Afghanistan-Krieg von US-feindlichen Stimmungen profitierten.

Bis Freitagabend waren zwei Drittel der 272 Sitze ausgezählt. In Führung lag mit 54 Sitzen die mit Präsident Pervez Musharraf verbündete Partei Qaid-e-Azam, eine Splittergruppe der Muslimischen Liga. Zweiter wurde abgeschlagen die Pakistanische Volkspartei der ehemaligen Ministerpräsidentin Benazir Bhutto mit 37 Stimmen. Die religiöse Allianz folgte dichtauf.

Im nationalen Parlament könnten die religiösen Parteien damit ein wichtiger Partner für die Regierungsbildung werden. Der Vorsitzende der religiösen Partei Jamaat-e-Islami, Qasi Hussain Ahmed, forderte alle Gläubigen auf, in den Moscheen für das gute Wahlergebnis zu danken.

Zum ersten Mal seit dem Putsch von Musharraf im Oktober 1999 war die Bevölkerung am Donnerstag zur Wahl eines neuen Parlaments aufgerufen. Der neue Ministerpräsident soll am 1. November vereidigt werden, die Politik im Land wird er jedoch kaum ändern können. Musharraf sicherte vor der Wahl seine Macht: Er kann das Parlament auflösen und den Regierungschef entlassen. Gewählt wurden die Mitglieder beider Kammern der Nationalversammlung, von vier regionalen Parlamenten sowie der nächste Ministerpräsident. Wahlberechtigt waren rund 72 Millionen Bürger.

Eine Gruppe von Wahlbeobachtern des Commonwealths beschrieb die Abstimmung als «gut organisiert und grösstenteils transparent». Die amerikanische Regierung lobte die Wahl als «wichtigen Meilenstein» für den Übergang zur Demokratie. US-Regierungssprecher Ari Fleischer versicherte, die Vereinigten Staaten wollten Pakistan auf dem Weg zur Demokratie weiter beistehen.

Pakistanische Christen leben in Furcht vor Islamisten

Seit dem Überfall auf die "Murree Christian School", eine Internatsschule in den Bergen Pakistans, herrscht bei den Missionaren eine Art Ausnahmezustand. Bereits haben einige Missionen, wie etwa im August die protestantische Kirche Schottlands, den Rückzug aus dem Land beschlossen. Andere warten noch ab. Wenn islamische Extremisten die Oberhand gewinnen, dürfte es mit der Mission sehr schwierig werden.

Pakistan mit seinen 135 Millionen Einwohnern das siebtgrösste Land der Welt, war geprägt von grosser Offenheit und Toleranz. Die britische Kolonialerbe prägte das politische und soziale System bis in die 80-er Jahre. Mit der Machtergreifung von Zia ul-Haq kam es zu einem Bündnis zwischen Staat und Islamisten. Damit begann eine Islamisierung des politischen Systems. Seit 1985 werden die religiösen Minderheiten im Wahlsystem diskriminiert.1986 wurde das berüchtigte Blasphemie-Gesetz eingeführt, welches bestimmte, dass jede Verunglimpfung des Korans oder des Islams mit der Todesstrafe oder lebenslanger Haft bestraft werden soll. Damit wurde die Gesellschaft radikalisiert und die christliche Minderheit geriet zunehmend unter Druck.

Christen leben im Ghetto

Seit 1999 versucht der pakistanische Machthaber Pervez Musharraf auf ziemlich diktatorische Weise, gegen die grassierende Korruption vorzugehen und die islamischen Extremisten unter Kontrolle zu bekommen. Immer wieder versprach Musharraf auch den religiösen Minderheiten volle Rechte und Schutz. Unter Druck der Extremisten ist das Blasphemiegesetz aber bis heute noch in Kraft. Mit seinem Anti-Korruptionskurs geniesst Musharraf in der Bevölkerung eine gewisse Sympathie. Allerdings befindet er sich damit auf einem recht gefährlichen Kurs. Zunehmend werden ihm diktatorische, undemokratische Methoden vorgeworfen.

Die typische christliche Gemeinde in Pakistan ist arm, ländlich und lebt im Ghetto. In den grösseren Städten gibt es auch grössere Gemeinden. Es sind eigentliche Überreste der christlichen Mission im britischen Kolonialreich, die sich später zur "Church of Pakistan" zusammenschlossen und verschiedene kleinere evangelische Gruppen, durch eine Erweckungsbewegung in den dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden. Neue evangelistische Aufbrüche mit Gemeindegründungen gibt es zur Zeit vor allem bei den Hindu-Minderheiten an der Grenze zu Indien. Die 1993 noch etwa 700 Missionare im Land waren vorwiegend in der Gemeindearbeit tätig. Sie versuchten, die oft überalterten und schwachen Gemeinden durch den Aufbau von Jugendarbeit und Schulung zu unterstützen.

Interview

Leben mit der Angst vor den Extremisten: Thomas Hanimann befragte Peter Mayer über die Situation der christlichen Gemeinden in Pakistan. Peter Mayer, der während 25 Jahren die Bibelschule Beatenberg leitete, ist in "Britisch-Indien" – das heutige Pakistan war damals noch englische Kolonie – aufgewachsen. Von 1994-1997 unterrichtete er an der Schule, welche am 5. August überfallen wurde. In der gegenwärtigen Entwicklung sieht Mayer eine heikle Situation für die pakistanischen Christen.

Peter Mayer, ist Pakistan für Missionare gefährlich?
Peter Mayer: Bis vor dem 11. September 2001 war es nicht gefährlicher als andere Länder. Pakistan gilt als relativ offenes Land. Für eine islamische Republik gab es sogar eine erstaunliche Offenheit. Christliche Mission war möglich. Von Zeit zu Zeit fanden sogar öffentliche Evangelisationsveranstaltungen statt, vor allem in den Grossstädten.

Was sind die konkreten Spuren des 11. Septembers?
Peter Mayer: Heute ist die Situation für ausländlische Missionare schon kritischer. Der Hass gegen Amerikanisches und Westliches ist stärker verbreitet. Die aggressiven Fundamentalisten zielen bekanntlich jetzt ganz bewusst auf Ausländer und auf Mitarbeitende in den christlichen Kirchen. Wegen der Schliessung der Internatsschule in Murree haben sich auch Missionarsfamilien zurückgezogen. Einige Missionare finden es nicht richtig, die pakistanische Gemeinde jetzt in dieser heiklen Situation zu verlassen. Andrerseits könnten gerade sie die Gemeinden auch in Gefahr bringen.

Die Gruppe der Fanatiker ist anscheinend eine Minderheit. Was kann sie bewirken?
Peter Mayer: In Pakistan gibt es extrem viele Waffen. Diese stammen teilweise noch aus dem Krieg der Afghanen gegen die Russen. Zudem befinden sich hier ja auch die extremistischen islamischen Schulen, in denen die Taliban ausgebildet wurden. Für die Regierung ist es gefährlich, gegen die Extremisten vorzugehen.

Was bedeutet dies für die pakistanischen Gemeinden?
Peter Mayer: Sie sind eingeschüchtert. Besonders bei den Christen auf dem Land, die oft sehr arm sind, hat die Furcht zugenommen. Immer wieder werden Christen von lokalen Landbesitzern bedroht, die mit dem islamischen Klerus unter einer Decke stecken. Wenn es zu Einschüchterungen, Diskriminierungen, Morden oder Vergewaltigungen junger Christenmädchen kommt, sind die betroffenen wehrlos. Auch schon wurden die Leichen von ermordeten Christen hinter der Mauer der christlichen Internatsschule gefunden. Selten werden solche Fälle publik oder gelangen vor das höchste Gericht Pakistans. Hier erhielten die Opfer bisher einen gewissen Schutz und die Verbrecher wurden bestraft. Aber dazu kommt es wirklich nur in Ausnahmefällen.

Können ehemalige Moslems sich zum Christentum bekennen?
Peter Mayer: Es gibt schon heimliche Christen. Vom Christentum haben sie durch christliche Radiosendungen, durch die Verteilung von Neuen Testamenten oder auch in heimlichen nächtlichen Bibelstunden mit Missionaren erfahren. In der islamischen Kultur geschieht vieles im Verborgenen. Wieviele zum Christentum bekehrte heimliche Jünger im Lande leben, lässt sich kaum schätzen. Manchmal geschehen erstaunliche Dinge: Etwa, wenn solche heimliche Christen, die erwischt und verhört werden, plötzlich Märtyrermut zeigen und fest zu ihrem Glauben stehen. Ein Problem ist, dass die Gemeinden gegenüber neubekehrten Muslimen eher misstrauisch sind. Wenn ein solcher in die Gemeinde kommt, stellen sich viele die Frage: "Was will er hier? Was, wenn er rückfällig wird? Will er etwa meine Tochter heiraten?"

Quellen: idea schweiz/Livenet

Datum: 14.10.2002

Werbung
Livenet Service
Werbung