GEO-Titelgeschichte

Christentum, das «Schweizer Taschenmesser unter den Religionen»

Den Jägern und Sammlern ging es noch paradiesisch. Doch irgendwann wurden die Menschen sesshaft, bildeten Städte, und damit fing das Übel an. Dies sei die «Vertreibung aus dem Paradies» gewesen, von der in der Bibel die Rede ist. Diese und andere Erklärungen biblischer Geschichten bieten zwei Autoren in der wenig christlich-erbaulichen aktuellen Ausgabe des Magazins GEO an.
Das Thema der aktuellen «GEO»-Ausgabe ist «Die wahre Bedeutung der Bibel».

Im Grunde sei die Bibel einfach nur «verwirrend». Das stellt schon der GEO-Chefredakteur Christoph Kucklick im Vorwort fest. Die beiden Autoren Kai Michel und Carel van Schaik hätten «Die wahre Bedeutung der Bibel» erkannt, und daher sei es «höchste Zeit», die Bibel neu zu lesen, heisst es in GEO.

Die neue Sicht des Literaturwissenschaftlers Michel und des Evolutionsbiologen Schaik auf die Bibel stellt in der Tat einiges auf den Kopf. Die Bibel ist nach ihrer Interpretation ein einziger grosser Versuch, ein Volk des Altertums zusammenzuhalten. Sie erfuhr dabei immer wieder «Updates», weil die vorherigen Versionen Lücken aufwiesen. Auch Gott ist demnach eine Erfindung von schlauen Menschen, um Gesetze durchzudrücken und für Ordnung im Volk zu sorgen.

Die These, die Michel und Schaik in der Titelgeschichte der GEO-Ausgabe darlegen, beginnt mit der Vertreibung aus dem Paradies. Die sei im übertragenen Sinne der Schritt des Menschen zur Sesshaftigkeit vor rund 12'000 Jahren gewesen. Denn wo die Jäger und Sammler noch direkt von den Früchten der Natur lebten, schufen sich Siedler einen Raum, in dem Arbeit, Leid, Krankheit, Missgunst und Streit das Leben zunehmend bestimmten. Also musste diese neue Art des Zusammenlebens organisiert und geregelt werden. Was eignete sich da besser als eine Religion und ein Gott, der bei Zuwiderhandlung straft?

«Karrierevorteil für Israel»

So erklären Michel und Schaik die komplette Bibel. Der Religionskritiker Richard Dawkins habe die Bibel für «grotesk» erklärt, stellen sie fest. Da überrasche es nicht, «dass die Bibel allenfalls noch an Weihnachten hervorgeholt wird». Erstaunlich, dass die Autoren all jene Millionen von Gläubigen auf der Welt missachten, die die Bibel durchaus auch an anderen Tagen aufschlagen. Es soll sogar Menschen geben, die geradezu täglich in der Bibel lesen – seien es Juden oder Christen. Und sie gehören keineswegs einem altertümlichen Volk des Nahen Ostens an, das sich gegen die Imperien Ägypten, Assyrien und Babylon zur Wehr setzen muss.

Es ist schwierig, nach der Sichtweise Michels und Schaiks zu erklären, warum auch heute noch viele Menschen den Gott der Bibel für existent und bedeutend für ihr Leben halten. Und so kommen sie in der Tat zu Schlüssen wie: «Gottes Zorn mag Gläubige heute befremden». Allerdings ignorieren sie, dass auch heute noch Millionen Menschen die Bibel ernst nehmen und also auch einen Zorn Gottes nicht ausschliessen können oder wollen. Doch eventuell ordnen sie ihn im Lichte des Evangeliums theologisch ohne Reibungsverluste ein.

Der Monotheismus habe dem kleinen Israel «den entscheidenden Karrierevorteil» gebracht, behaupten die Autoren. Erstaunlich aber ist, dass historisch betrachtet die Entwicklung («Karriere») jenes Volkes der Bibel alles andere als erfolgreich verlief. Wer wurde in den Jahrtausenden mehr bekriegt, zerstreut und verfolgt als die Juden?

Die Bibel bessert nach

Michels und Schaiks drehen die biblische Sichtweise um 180 Grad. Nicht Gott hat den Menschen erschaffen, sondern der Mensch Gott; die Gebote sind nicht von Gott zum Wohle des Menschen aufgestellt, sondern vom Menschen zum Wohle des Glaubens an Gott; die Bibel beschreibt nicht Gottes Weg mit den Menschen, sondern den Weg, den die Menschen mit ihrem erfundenen Gott bestreiten. Die Bibel ist nicht länger eine Geschichte von einer Beziehung eines Gottes zu seinem Volk, sondern die Bedienungsanleitung für eine Religion. Die Autoren sind überzeugt: «Deshalb bessert die Bibel nach. Sie ist lernfähig! In den späteren Psalmen tritt uns ein barmherziger Gott entgegen, der auf die spirituellen Bedürfnisse der Individuen Rücksicht nimmt.»

Alle jene Menschen, die laut der Bibel mit Gott zu tun hatten, von Abraham über Mose und König David bis Jona, all der Aufwand der Chroniken, Psalmen und Gesetze – alles wurde im Dienste einer Gemeinschaft erfunden, die sesshaft geworden war. Die Autoren bemerken an einer Stelle selbst ein Problem, das sich aus dieser Sichtweise ergibt. Wenn Gott, wie in der Bibel dargestellt, für Gerechtigkeit sorgt, und Leid eine Prüfung ist, warum bleibt die Gerechtigkeit dann im realen Leben so oft aus? Noch schlimmer: Wieso gab es Märtyrer, die sich opferten? Die Antwort: Die Bibel musste hier erneut nachbessern. Diesmal wurde das Leben nach dem Tod erfunden. Auf das konnten jene hoffen, die in diesem Leben keine Gerechtigkeit erfuhren. Das Christentum schliesslich sei dann so weit entwickelt, dass die Autoren vom «Schweizer Taschenmesser unter den Religionen» sprechen. «Da ist für jeden Bedarf etwas dabei.»

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Datum: 07.01.2018
Autor: Jörn Schumacher
Quelle: Christliches Medienmagazin pro | www.pro-medienmagazin.de

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