«Tout est pardonné»

Die Ratlosigkeit angesichts einer Schlagzeile

Die in Millionenauflage erschienene erste Ausgabe von Charlie Hebdo nach dem Massaker in der Pariser Redaktion des Blattes provoziert nicht nur erneut mit einer Mohammed-Karikatur, sondern auch mit einer Schlagzeile, welche die Kommentatoren ratlos macht.
Eine Millionenauflage der ersten Auflage von Charlie Hebdo nach dem Massaker in Paris.
Schweizer Karikaturist Felix Schaad
Redaktor Fritz Imhof

«Tout est pardonné» – Journalisten und Kommentatoren rätseln: Was könnte der Zeichner damit gemeint haben? Was wollen die überlebenden Redaktoren damit sagen? Das Titelblatt sorgt gleichzeitig für «Zündstoff und Verwirrung», wie der Tagesanzeiger bemerkte.

«Gelungene Mehrdeutigkeit»

Keiner glaubt, dass die überlebenden Kollegen damit den Attentätern in grossherziger Manier vergeben wollen. Das hätten sie stellvertretend für die Angehörigen der Opfer auch gar nicht tun können. Der Schweizer Karikaturist Felix Schaad spricht daher von einer «gelungenen Mehrdeutigkeit» des Titelbildes. «Gilt die Vergebung der Redaktoren also Mohammed?», fragt sich Schaad. «Einem guten Kerl, der ebenfalls trauert? Oder ist es gar Mohammed selbst, der verzeiht und vielleicht sagt: es ist nicht schlimm, dass ihr mich gezeichnet habt?»

Ein weinender Mohammed, der den Attentätern vergibt? Weil sie einfach eine Dummheit gemacht haben? Aber auch das würde nicht zum landläufigen Bild des Propheten passen, der seine Feinde wonötig mit Gewalt bekämpft. Sollte Mohammed diesen Terroristen vergeben und sie damit quasi für ihre Untat belohnen? Das wirkt mehr als zynisch.

Vergebung im Koran

Dies bedeutet allerdings nicht, dass «Vergebung» im Koran etwas Unbekanntes wäre. Zu den grundlegenden Aussagen des Korans gehört laut der Islamwissenschafterin Christine Schirrmacher, dass «Gott gnädig und barmherzig ist» (Sure 4,16). Das werde bereits daran deutlich, dass alle 114 Suren des Korans (mit Ausnahme von Sure 9) mit der Einleitung beginnen: «Im Namen des gnädigen und barmherzigen Gottes», oder, anders übersetzt, «Im Namen Gottes, des Gnädigen und Barmherzigen».

Auf dieses Erbarmen Gottes kann, wie Schirrmacher erklärt, ein Mensch stets hoffen: Wenn er gesündigt hat, über seine Sünde Busse tut und sich von ihr abkehrt, wird Gott alle seine Verfehlungen verzeihen, seien es grosse oder kleine, denn Gottes Barmherzigkeit «kennt keine Grenzen» (Sure 7,156).

Unterwerfung als oberstes Gebot

Sure 3,135-136 verspricht zudem allen gläubigen Muslimen, die Gott für ihre Sünden um Vergebung bitten, Vergebung und den Eingang ins Paradies: «Diejenigen, die, wenn sie etwa Schändliches getan oder sich gegen sich selber vergangen haben, Gottes gedenken und um Vergebung für ihre Schuld bitten – und wer könnte Schuld vergeben, ausser Gott? – und in dem, was sie begangen haben, nicht verharren, wo es ihnen doch klar ist, deren Lohn besteht in Vergebung von ihrem Herrn und in Gärten (gemeint ist das Paradies), unter denen Bäche fliessen, und in denen sie ewig bleiben werden. Welch trefflicher Lohn für die, die so handeln!» (Sure 3,135-136; ähnlich Sure 4,110).

Fakt ist, dass Vergebung im Islam dennoch nicht zur Kernbotschaft gehört. Im Zentrum steht die Unterwerfung unter Allah und das Tun seines Willens. Dazu gehören die täglichen Gebete, das Glaubensbekenntnis und die fünf Säulen (Pflichten) des Islam.

Im Christentum: Vergebung als zentraler Wert

Anders im christlichen Glauben, der seine Basis in der Vergebung der persönlichen Schuld durch den Glauben an Jesus Christus hat. Es gibt immer wieder auch neue Zeugnisse von Menschen, die unter schwierigsten Umständen Folterknechten und Mördern vergeben haben. Dabei kann an die grosse christliche Evangelistin Corrie ten Boom erinnert werden, die ihrem Peiniger im Konzentrationslager nachträglich vergeben hat. Oder an die Eltern, die öffentlich dem Mörder ihrer Kinder nach dem Massaker in Clarksdale vergeben haben.

Zur Webseite:
Busse und Vergebung im Islam

Datum: 16.01.2015
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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