Italien: Streit um Gerichtsurteil gegen Kruzifixe in Staatsschule

„Union der Muslime“ wollen Kruzifixe in den Schulräumen abhängen.

Ein Gerichtsbeschluss zur Entfernung der Kruzifixe aus einer staatlichen Schule hat in Italien heftige Diskussionen ausgelöst. Ein Gericht in der Provinzhauptstadt L'Aquila hat angeordnet, dass in der Schule von Ofena die Kruzifixe entfernt werden müssen.

Was zunächst nach Provinz-Posse klang und anfangs nur ungläubiges Kopfschütteln auslöste, beschäftigt inzwischen die Spitzen von Staat, Kirche, Parteien und Justiz in Italien. Das Kruzifix-Urteil von L'Aquila hat die Italiener erregt, die Kirche zu energischem Protest veranlasst und Politiker von Regierung und Opposition zu ungewohnt einstimmiger Kritik zusammengeführt. Justiz-Minister Roberto Castelli will mit seinen Beamten prüfen, ob der Gerichtsbeschluss gegen geltendes Recht verstösst. Oder ob die Entscheidung, die Kreuze aus den Klassenzimmern des idyllischen Abruzzenortes Ofena entfernen zu lassen, rechtens ist - was Signalwirkung für ganz Italien haben könnte.

Das Urteil folgte einer Klage des Präsidenten der sogenannten "Union der Muslime Italiens", Adel Smith. Smith hatte verlangt, dass in den Klassenzimmern seiner Kinder auch islamische Symbole aufgehängt würden. Nach Ansicht von Richter Mario Montanaro widerspricht das Kruzifix in den Klassen der weltanschaulichen Neutralität der öffentlichen Schule. Diese Neutralität müsse auch darin ihren Ausdruck finden, dass es in den Schulräumen keine religiösen Symbole gebe. Das Kreuz nähre Verwirrung in Schülern, die nicht der christlichen Religion angehören. Die italienische Schule dürfe keine Religion "bevorzugen", sondern müsse pluralistisch eingestellt sein.

Dagegen verweisen Kirchenführer und Politiker auf das achtzig Jahre alte, nach wie vor gültige Gesetz, wonach in jeder Schul-Aula ein Kreuz anzubringen sei. Der Ministerrat bestätigte dieses Gesetz 1998. Das Kassationsgericht stellte im gleichen Jahr klar, dass "das Anbringen eines Kreuzes keine Verletzung der Religionsfreiheit darstellt". Und in einem Rundschreiben vom Oktober 2002 forderte Unterrichtsministerin Letizia Moratti alle Schulleiter auf, dafür Sorge zu tragen, dass überall Kruzifixe angebracht seien.

Kreuz ist "Wurzel des italienischen Volkes"

Die italienische Bischofskonferenz protestierte gegen das Urteil. "Der Gerichtsbeschluss widerspricht einem Staatsgesetz, das das Kreuz in Schulen erlaubt. Das Kreuz symbolisiert nicht nur eine Weltreligion, es ist ein Symbol der Wurzeln des italienischen Volkes", hiess es.

Unterrichtsministerium will weiter Kreuze in Klassenzimmern

Das italienische Unterrichtsministerium teilte mit, man werde trotz des Gerichtsbeschlusses weiterhin ein Gesetz aus dem Jahr 1923 anwenden, demnach in den italienischen Schulklassen keine anderen religiösen Symbole als das Kruzifix erlaubt seien. Man werde das Kreuz von den italienischen Schulklassen nicht abschaffen. Erst vor wenigen Wochen hatte die italienische Unterrichtsministerin Letizia Moratti im römischen Parlament betont, dass in Schulklassen keine anderen religiösen Symbole als das Kruzifix erlaubt seien. "Die Regierung will in der Schule die Kultur und die Werte unseres Landes hervorheben, auch die christlichen Wurzeln", hatte die Ministerin betont. Das Kreuz sei ein Symbol der christlichen Kultur und daher "ein fundamentales Element der Kultur Italiens und ganz Europas", so Moratti.

Auch muslimische Organisationen gegen Urteil

Kritik an dem Gerichtsbeschluss kommt auch von führenden Vertreter islamischer Organisationen in Italien. Das Urteil gefährde das friedliche Zusammenleben von Christen und Muslimen in Italien, sagte der Sekretär der "Vereinigung islamischer Gemeinden in Italien" (UCII), Hamza Roberto Piccardo, im Gespräch mit der italienischen Tageszeitung "Il Giornale". Der Sprecher der Grossen Moschee in Rom, Omar Camiletti, äusserte im Gespräch mit der "Repubblica" die Befürchtung, dass mit dem Urteil Ängste unter den Katholiken geschürt würden. Die Schule sei ein Ort, der alle Religionen einschliesse und nicht ein neutraler Ort, der Glaubenssymbole verbieten dürfe.

Politiker einig

Das Kruzifix-Urteil von L'Aquila führte Politiker beider Lager in Italien zu ungewohnt einstimmiger Kritik zusammen. Justizminister Roberto Castelli will prüfen lassen, ob der Gerichtsbeschluss gegen geltendes Recht verstösst oder ob die Entscheidung, die Kreuze aus den Klassenzimmern des idyllischen Abruzzenortes Ofena entfernen zu lassen, rechtens ist - was Signalwirkung für ganz Italien haben könnte. Auch für die ex-kommunistische Politikerin Livia Turco von der DS - Demokratische Linke - wäre die Abnahme der Schulkreuze eine "Zwangsmassnahme" gegen die Kultur und Geschichte des Landes, die nicht dazu beitragen würde, das Verständnis der Italiener für den Islam zu fördern.

Ungünstiger Zeitpunkt

Für Italien kommt das Urteil samt seiner emotional aufgeladenen Diskussion zu einem höchst ungünstigen Zeitpunkt. An diesem Donnerstag kommen auf Einladung von Innenminister Giuseppe Pisanu dessen Amtskollegen aus der EU in Rom zu einem Treffen zusammen. Das Thema: Der interreligiöse Dialog als Faktor der sozialen Zusammengehörigkeit in Europa und als Instrument des Friedens.

Quellen: Kipa/orf

Datum: 29.10.2003

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