Christen in China

Wachsende Kirchen verunsichern die Herrscher

Zur dynamischen Entwicklung Chinas leisten Christen einen nicht zu unterschätzenden Beitrag. Doch christliche Kirchen, die auf Freiheit von staatlicher Kontrolle pochen, sind strammen Kommunisten ein Dorn im Auge.
Volle Kirche: Gottesdienst in Xian.
Geistlicher und gesellschaftlicher Umbruch: Ian Prescott.

Devon Chang ist mit 18 der Kommunistischen Partei beigetreten. Sein Vater fand dies nützlich fürs berufliche Fortkommen. Ein Jahr später wurde Chang Christ. Im Ministerium in Peking hat er eine Stelle erhalten – als Antwort auf seine Gebete, ist er überzeugt, nicht wegen des Parteibuchs. Seinen Arbeitskollegen verschweigt er den Glauben, weil er den Posten sonst verliert. Doch mittelfristig, so erzählte er dem Reporter des «Economist», will er weg. Dies obwohl die Eltern finden, die Partei werde der Familie eher Stütze sein als Gott. Chang findet Parteibuch und Glaube vereinbar.

Vom Land in die Stadt

Devon Chang ist einer von Millionen gebildeten, städtischen Chinesen, die sich für Christus entscheiden. Sie haben das Bild der Kirche seit 1990 grundlegend verändert; zuvor hatten ländliche Gebiete ihr Rückgrat gebildet. Nach Ian Prescott von der Missionsorganisation OMF (in der Schweiz: ÜMG) sind die Christen in den südlichen Küstenprovinzen am stärksten vertreten, mit teils über 15 Prozent der Bevölkerung. Anderseits gibt es in manchen innerasiatischen Regionen der Volksrepublik nur eine Handvoll Christen. Mit der Massenwanderung in die Städte – Prescott spricht von einer halben Milliarde Chinesen in wenigen Jahrzehnten – hat das chinesische Christentum ein urbanes Gesicht und Mobilität gewonnen, mit noch unabsehbaren Folgen für das Land und ganz Asien.

Kontraste

Chang reitet zwei Rösser. Wie weit er damit kommt, bleibt abzuwarten. Der «Economist» zeichnet das Schwanken der herrschenden Kommunisten gegenüber den Christen im Land nach. Die Unterschiede zwischen Provinzen und Städten sind markant. An vielen Orten haben aktive Christen Freiräume oder bleiben wenigstens unbehelligt. Es kommt vor, dass Polizisten bei einer evangelistischen Weihnachtsfeier von Christen im Freien den Ordnungsdienst übernehmen. Anderswo walzen zur selben Zeit Bulldozer eine Kirche platt.

Nützliche Werte – gefährlicher Glaube?

Im Machtzentrum haben manche Funktionäre Sympathie für das Christentum erkennen lassen, weil es Anstand und Ehrlichkeit fördert und der moralischen Haltlosigkeit von konsumgierigen Chinesen etwas entgegensetzt. Gemäss Prescott können sich manche Vertreter der herrschenden Partei vorstellen, christliche Werte zu übernehmen. «Andere sehen darin hingegen eine westliche Strategie, China zu unterminieren, und kämpfen dagegen.»

Die Stunde der Reaktionäre

Nach der Arabellion 2011 und vor der Übergabe der Macht in Peking an die nächste Generation im Herbst haben sich Hardliner zu Wort gemeldet. Von der zunehmenden sozialen Unrast beunruhigt, fordern sie eine strikte Kontrolle namentlich der Christen und die Bekämpfung von nicht registrierten Hauskirchen und romtreuen Katholiken. Ein einflussreicher Ideologe warnte Ende letzten Jahres vor dem Aufkommen von Gläubigen in der KP. Laut dem «Economist» ist in der Volksrepublik alles verdächtig, was nach Zivilgesellschaft riecht und sich selbst organisiert. Dissidenten und ihre Angehörigen haben ein schweres Leben. Völker wie die Tibeter und Uiguren, die sich der ungeheuren Masse der Han-Chinesen kulturell nicht ergeben wollen, werden mit Härte unterdrückt.

Bereits über 100 Millionen Christen

Mitgliedermässig geraten die Kommunisten, mit gegen 80 Millionen die weltgrösste Partei, ins Hintertreffen. Nach Berechnungen des Religionsstatistiker Jason Mandryk (Operation World) leben bereits über 100 Millionen Christen in China. Sie stellen eine grosse Minderheit der 1,3 Milliarden Chinesen dar, die laut Forschern religiös sind – 35 Jahre nach dem Tod Maos, der für seine Lehre absolute Geltung beansprucht hatte.

Das Mao-Paradox

Maos Terror-Herrschaft brachte das Gegenteil dessen, was er erzwingen wollte. Laut Ian Prescott zerfiel in der Kulturrevolution (1966-76) der Glaube an das neue China. «Die Leute suchten in der Leere wieder Halt in der Religion.» Als China sich unter Deng allmählich öffnete, habe sich der Glaube an Christus angeboten. «Es kam zu einem ungeheuren Wachstum der Kirchen.» Prescott beobachtet, dass Chinesen Christen werden, weil das Evangelium von Jesus Christus ihnen «wirklich Hoffnung, wirklich Transformation und echte Heilung für die Wunden bringt, die das Leben ihnen geschlagen hat». Das Christentum stehe für den Wert jedes Menschen – unabhängig von der Leistung. Der Wohlstand, den der städtische Mittelstand in China zunehmend geniesse, nehme die Leere des menschlichen Herzens nicht weg.

Das Evangelium weitertragen

Die Kirche in China reift. Ian Prescott arbeitet für OMF, die Organisation, die der britische Chinamission-Pionier Hudson Taylor begründete. Derzeit hat sie eine neue Aufgabe: Chinesen zu unterstützen, die die Gute Nachricht von Jesus weitergeben wollen. «Im letzten Jahrzehnt nehmen die christlichen Han-Chinesen vermehrt andere Völker in den Blick, sowohl innerhalb Chinas wie ausserhalb seiner Grenzen.» Laut Jason Mandryk stellt das Land im weltweiten Vergleich bereits am meisten Missionare in anderen Kulturen – mehr als die USA. Die im Westen bekannte «Zurück nach Jerusalem-Bewegung» ist ein Teil der Entwicklung.

Leidenden helfen

Zudem engagieren sich Christen auch verstärkt an sozialen Brennpunkten. Prescott erwähnt ihre Katastrophenhilfe in Sichuan nach dem Erdbeben. «Sie reisten in grosser Zahl spontan an, um zu helfen, während andere Chinesen sich aus Geisterfurcht (nicht beerdigte Tote) davonmachten. Der Fleiss der Menschen im Reich der Mitte ist sprichwörtlich.» Und: «In der Regel sind chinesische Christen viel eher als westliche bereit, zu leiden und für ihren Glauben Schweres zu ertragen. In den Hauskirchen (Bibelgesprächskreisen) ist oft vom ‚Weg des Kreuzes‘ die Rede.»

Datum: 17.02.2012
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet

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