Bekehrung

Über das Reizwort reden

Eine Kirche, die nicht missioniert, gibt sich auf. Welche Rolle soll oder darf dabei ‚Bekehrung’ spielen? Eine Tagung in Basel bot Gelegenheit zum Austausch über das vielschichtige Thema.
Die religiöse Vielfalt wird noch grösser: Christine Lienemann (Bild: Fritz Imhof)
Mit dem Wirken von Gottes Geist rechnen: Bernhard Ott. Links Michèle Morier-Genoud.
Miteinander: Benedikt Schubert und Martin Voegelin gestalteten den Rahmen des Forums.
Die Geschichte des einzelnen Menschen stehen lassen: Joël Sommer zwischen Urs Joerg und Christine Lienemann.
Emanzipation: Inderinnen lesen die Bibel (Bild: TearFund)
Alte Fragen stellen sich neu: Benedikt Schubert und Magdalena Zimmermann von mission 21 (rechts) gehörten zum Vorbereitungsteam.
Geschichtsträchtig: Die Tagung fand im Raum statt, in dem die Basler Mission einst ihre Missionare aussandte.

Nach 1960, im Zug der Entkolonialisierung, suchten landeskirchliche Missionswerke ein partnerschaftliches Verständnis von Mission. An die Stelle der Verkündigung traten Dialog und Entwicklungshilfe, Bekehrung war lange Jahre tabu. Doch im globalen Durcheinander profilieren sich die meisten Religionsgemeinschaften (nach altem christlichem Vorbild!), indem sie aktiv einladen und zuweilen aggressiv Mitglieder werben. Damit sind ‚Mission’ im traditionellen Sinn und ‚Bekehrung’, ob man will oder nicht, wieder ein Thema. (Auch der Schweizerische Rat der Religionen will sich damit befassen.)

Begegnung nach über zehn Jahren

Der Wechsel von einer Religionsgemeinschaft in die andere wird weltweit mit dem vielschichtigen Begriff ‚Konversion’ gefasst. Was dabei passiert und welche Faktoren mitspielen, wurde an der Tagung in Basel am 6. Februar aus verschiedenen Blickwinkeln erläutert und diskutiert. Das Forum wurde vom Schweizerischen Evangelischen Missionsrat (SEMR) und der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Missionen (AEM) gemeinsam veranstaltet; zum erstenmal seit 1994 kamen Verantwortliche beider Seiten und Interessierte, insgesamt 40 Personen, zum Austausch, Singen und Beten zusammen. Das imposante Basler Missionshaus, Zentrum von mission 21 (m21, früher Basler Mission), bot den geschichtsträchtigen Rahmen für die Suche nach dem „gemeinsamen Grund, der uns trägt“, wie Moderatorin Magdalena Zimmermann sagte.

Emotionen

Eingangs stellte Pfr. Benedikt Schubert (m21) heraus, was Bekehrung/Konversion zum Reizthema macht: Sie betrifft alle Beteiligten und stellt ihre Wertvorstellungen in Frage, schafft neue Identitäten, löst als Ergebnis eines längeren Prozesses unter Umständen blitzartig eine neue Dynamik aus und ist oft ein hoch emotionales Geschehen. Magdalena Zimmermann kontrastierte das auf Emanzipierung setzende Handeln aufgrund der Nazareth-Predigt von Jesus (Lukas 4) mit dem traditionellen Verständnis, das vom Missionsauftrag von Jesus („Macht zu Jüngern alle Völker, tauft und lehrt…“, Matthäus 28) ausgeht.

„Macht alle Völker zu Jüngern…“

Diese Worte von Jesus legte der mennonitische Missionstheologe Bernhard Ott aus, um den Sinn von „Bekehrung gestern und heute“ zu erhellen. Dabei ist die Bibel und die Geschichte, auch die eigene, miteinzubeziehen: „Wir können nicht bei Null anfangen – und wir reden auch über uns selbst.“

Ott verdeutlichte, worauf der von Matthäus überlieferte Missionsbefehl abzielt: „Durch Umkehr und Glaube antwortet der Mensch auf Gottes Ruf und wird in den heilsamen Raum von Gottes Herrschaft hineingestellt.“ Bekehrung dürfe nicht individualistisch verengt und verinnerlicht werden; aus der Hinwendung zu Jesus im Glauben folgt Leben nach seinem Vorbild in der Gemeinschaft, die auf die Vollendung von Gottes Reich hinwirkt. Andere Wissenschaften helfen der Theologie, Bekehrung „auch auf der Erfahrungsebene zu verstehen“. Die vielfältigen Erfahrungen von Bekehrung dürften allerdings nicht zum Verschwimmen des theologisch eindeutigen Begriffs führen.

Verwirrendes Nebeneinander

Christine Lienemann-Perrin, Professorin für Ökumene, Mission und interkulturelle Gegenwartsfragen an der Universität Basel, ging das Thema von der aktuellen religiösen Vielfalt her an. ‚Konversion’ sei für Theologen des Ökumenischen Rats der Kirchen lange tabu gewesen. Indes bemühten sich Vertreter des ÖRK und des Vatikans zusammen mit der Weltweiten Evangelischen Allianz und Pfingstkirchen, Regeln zum Religionswechsel zu erstellen.

Lienemann skizzierte die unüberschaubare religiöse Vielfalt, die heute in den USA herrsche und auf Europa zukomme. Sie beleuchtete verschiedene Motive für Konversion und stellte sie in soziologische Zusammenhänge. Konversion berühre den Einzelnen im Innersten und sei doch von höchster öffentlicher Relevanz, weil Konvertiten sowohl die verlassene Gemeinschaft provozieren als auch in der neuen etwas auslösten. Jede Person, die die Religion wechsle, sei ein Sonderfall, doch gebe es Muster.

Lassen sich missionarische Gemeinschaften verändern?

Christine Lienemann unterschied nach Andrew F. Walls Konvertiten von Proselyten: Letztere müssten sich, aus anderen Religionen kommend, ohne Abstriche integrieren. Konvertiten hingegen verändern die Gemeinschaft, in die sie eintreten. Die Urkirche habe sich gegen Proselytismus (jüdische Beschneidung und Halten aller Gebote von Griechen wurden nicht gefordert) und für die Konversion entschieden. In der Folge konnten hellenistisch geprägte Christen den Mittelmeeerraum evangelisieren. Lienemann bilanzierte, dass das Konversions-Modell „auf ungewisse Wege führt und unvorhersehbare Entwicklungen der Kirche freisetzt. Aber wir müssen es tun, im Glauben an Jesus Christus, der bei uns bleibt.“

Innen – aussen

Nach dem Mittagessen diskutierte ein Podium das Verhältnis von Konversion und Bekehrung. Der deutsche Begriff verdeutlicht das innere Geschehen (metanoia: Reue, Umdenken, Busse), ohne das die Konversion ein äusserlicher Wechsel der religiösen Zugehörigkeit ist. Der Missiologe Joël Sommer regte an, Begriffe nicht überzubewerten. Der Süden lebe mit Geschichten. „Eine Geschichte muss man stehen lassen, ohne alles zu erklären.“

Der AEM-Sekretär Martin Voegelin regte an, „mit den Leuten über ihre Geschichte mit Jesus zu reden“, dann sei es nicht mehr so wichtig, ob Bekehrung ein punktuelles Geschehen oder ein Prozess sei. „Bleibt jemand bei seinem ersten Motiv stehen – oder wächst er, im neuen Glauben unterrichtet, weiter?“ fragte Bernhard Ott. Er rechnet damit, dass bei der Bekehrung„Gottes Geist etwas im Leben von Menschen bewirkt“, auch wenn dies auf der Erfahrungsebene nicht eindeutig zu bewerten ist.

Nicht über einen Leist scheren

Der Austausch unter den Teilnehmenden brachte weitere Gesichtspunkte.

Aus der Missionsgeschichte ist viel zu lernen. Laut Lienemann beeindruckten die Christen im Römerreich ihre Umgebung dadurch, dass sie – als Einzige – Gefangene aufsuchten. In Afrika und Asien wünschen Menschen Christen zu werden, ohne dass sie eine Predigt gehört haben, bloss aufgrund von Lektüre. „Überall sind Leute auf der Suche“, sagte AEM-Präsident Daniel Berger; ihr Recht, die Religion zu wechseln, müsse respektiert werden.

Die AEM will, wie Martin Voegelin zum Abschluss sagte, die Facetten des Themas weiter bearbeiten. Urs Joerg (Bibelgesellschaft) äusserte sich dankbar für die Begegnungen und rief zum weiteren offenen Gespräch auf.

Homepage der AEM: www.aem.ch
Homepage von mission 21: www.mission-21.org
Oekumene – Mission – Entwicklung: reformiertes Portal

Kommentar: Bekehrung zu wem?

13 Jahre ist es her, dass sich Vertereter der SEMR-Seite („Oekumeniker“) und AEM (Allianz-bezogene Missionen – „Evangelikale“) zu einer missionstheologischen Tagung zusammenfanden. Man spürte am Dienstag am Forum in Basel etwas vom Weg, der in diesen Jahren auf beiden „Seiten“ zurückgelegt wurde.

Bekehrung als Grundthema der christlichen Mission mit einer grossen Sensiblität für die Bedeutung der Kulturanthropologie, Soziologie und Psychologie im Prozess der Bekehrung bildeten ein spannendes Diskussionsfeld, auf dem mit grossem Wohlwollen und engagiertem Interesse gearbeitet wurde.

Während ich bei der Wahrnehmung der Komplexität einer Bekehrungsgeschichte (mit all den dazugehörenden Aspekten) grosse Übereinstimmung empfand, sehe ich die Notwendigkeit, an folgenden Fragen weiter zu arbeiten:

-Was ist das „Besondere“ einer Hinwendung zur Nachfolge Jesu Christi als dem Herrn der Welt (gemäss Matthäus 28) gegenüber irgendeinem „Religionswechsel“?

- Was ist der Unterschied in einer Bekehrungsgeschichte im „christlichen Abendland“ gegenüber einer Bekehrungsgeschichte aus einer völlig „fremden“ Religiosität? (Was heisst es z.B. in der Schweiz, die „Nicht-Selbstverständlichkeit des Christseins“ vorauszusetzen?)

- Inwiefern gehen wir vom christlichen Glauben als einem mit anderen Religionen gleichwertigen Lebensentwurf aus – oder was bedeuten für uns der universale Herrschaftsanspruch und die Einzigartigkeit Jesu? Und was heisst das für den Dialog zwischen den Religionen?

In einer Bekehrungsgeschichte passiert immer mit allen Beteiligten etwas – mit denjenigen, die den Bekehrten entlassen müssen, mit dem Bekehrten selber und mit denjenigen, die den Bekehrten in ihrer Gemeinschaft empfangen. In der Geschichte von Petrus und Kornelius (Apg.11,1-18) kommen einige dieser Prozesse deutlich zum Ausdruck. Nur wer bereit ist, sich selber auch verändern zu lassen, ist in der Lage, einen Dialog zu führen. Die Frage, wie weit diese eigene Veränderung als „christlicher Missionar“ im interkulturellen und interreligiösen Kontext gehen soll und kann, wäre eine weitere Tagung wert!

Aus AEM-Sicht halte ich Begegnungen, wie wir sie in Basel erlebten, für sehr wichtig, stimulierend, herausfordernd. Im Ringen um gegenseitiges Verständnis und das Schärfen unserer Gedanken kann Gott „beiden Seiten“ begegnen. Falsche Fronten können abgebaut und unsere Ergänzungsbedürftigkeit aufgebaut werden. Daraus wünsche ich uns eine wachsende Abhängigkeit vom Herrn der Welt, der sich in Geschichte und Wort offenbart.

Martin Voegelin, Exekutivsekretär AEM

Datum: 12.02.2007
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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