Wohin steuert die schiitische Religionsszene?

Schiiten

Mit dem gemeinsamen Ziel einer Islamischen Republik haben sich im Irak drei Strömungen unter drei Führergestalten herauskristallisiert: Von ihnen ist der erst dreissigjährige Muktada Sadr der radikalste, Ayatollah Ali as-Sistani, ein Perser, eher gemässigt, und Ayatollah Bakr al-Hakim der schon jetzt Mächtigste. Doch ausgerechnet von einem Khomeini-Enkel erwächst ihnen ein gemässigter Widersacher.

Bakr al-Hakim hat bereits die stärkste Hausmacht vom Exil in Teheran mitgebracht. Dort leitete er den so genannten "Hohen Rat der islamischen Revolution im Irak", die wichtigste Auslandsorganisation von Saddam-Gegnern. Heute ist Ayatollah Hakims kräftigste Trumpfkarte seine Kontrolle der heiligen Städte Nadschaf und Kerbela.

Bei den Schiiten ist es wie bei uns im Mittelalter mit Rom: Wer die heilige Stadt beherrscht, der setzt sich auf die Dauer durch. In Iran verfügte Hakim auch über eine bewaffnete Miliz in der Stärke von zwei Divisionen, die Badr-Armee. Davon sind etwa 2000 Mann bereits in den Irak eingeschleust worden, unter ihnen auch Sprengstoffspezialisten.

Hoffnungsträger Khomeini junior

So tragen in Bagdad die immer schrecklicheren Anschläge immer deutlicher die Handschrift schiitischer Extremisten, die aus Iran einsickern. Von dort kommt nun aber auch ein Hoffnungsträger, ausgerechnet der Enkel von Ayatollah Khomeini, Hussein. Er verurteilte als einziger das schreckliche Blutbad am irakischen UNO-Hauptquartier vom 19. August sofort und scharf. Für ihn ist die blutige Spur eines wachsenden Terrors, der auch vor den Christen im Irak nicht halt macht, nicht das Werk der letzten Anhänger des alten Regimes, sondern klar das Unwesen radikaler Schiiten. Und dafür macht er letztlich seinen Grossvater verantwortlich.

Der heute 45-jährige Hussein Khomeini lebt schon seit dem Frühsommer in Iraks heiliger Schiitenstadt Nadschaf. Von dort war Grossvater Ruhollah Khomeini vor 25 Jahren mit Umweg über Frankreich aufgebrochen, um den Schah zu stürzen und in Iran Allahs Gottesreich aufzubauen. Dessen Entwicklung zu einem brutalen Unterdrückungssystem aller Andersdenkenden und Andersgläubigen musste der Enkel in der Folge miterleben.

Er bezeichnet das Erbe seines Grossvaters heute als eine "totalitäre religiöse Diktatur". Seine Botschaft lässt in Kreisen der jetzt durch die schiitische Aggressivität verunsicherten christlichen Minderheiten des Irak aufhorchen. Gerade im Vorfeld der Wahl eines neuen Patriarchen bei den irakischen Chaldäern.

Für eine Reform des Islam

Für Hussein Khomeini braucht es keinen Politislam und keine Islamischen Republiken, sondern eine Reform des Islam. Jahrhunderte der Unterdrückung und Rückständigkeit in der islamischen Welt müssten endlich ein Ende nehmen. Dafür seien vor allem Staat und Religion zu trennen. Als eine der schlimmsten Irrlehren bezeichnet Hussein Khomeini das Konzept seines Grossvaters von der "Velayet-e-fakih", von der absoluten Herrschaft des schiitischen Klerus über die islamische Gesellschaft, nicht nur in religiösen, sondern auch in den politischen und sozialen Angelegenheiten. Religionsfreiheit für alle Andersgläubigen und der Dialog mit ihnen, besonders mit Christen und Juden, seien ebenfalls vorrangiges Anliegen für einen recht verstandenen Islam.

Bei solchen Äusserungen ist es kein Wunder, dass der Khomeini-Enkel bereits die ersten Morddrohungen aus den Reihen seiner fanatischen Glaubensbrüder erhalten hat. Er will jedoch unbeirrt seinen Weg gehen. Das ist eine sehr mutige und im Grunde hundertprozentig schiitische Haltung. Denn bei dieser Richtung des Islam war und ist das Leiden, die Passion, immer die Hauptsache.

Datum: 25.08.2003
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Kipa

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