USA: Werte entschieden am Wahltag

US Wahlen 2004

In einem Telefongespräch hat John Kerry Präsident Bush zum Wahlsieg gratuliert. Auch die Wahlmänner des zuletzt umstrittenen Gliedstaats Ohio fallen dem Amtsinhaber zu. Bush gewann – entgegen allen Prognosen – 3,5 Millionen Stimmen mehr als sein Konkurrent. Am grossen US-Wahltag hat sich klar gezeigt, dass sehr viele Amerikanerinnen und Amerikaner die Werte in den Vordergrund stellten, vor allem die Bevölkerung in der Tiefe des Landes, das Amerika fernab der Küsten.

Erstaunt hatten gewiefte Beobachter am frühen Abend das Ergebnis einer Umfrage registriert, wonach moralische Gesichtspunkte bei 22 Prozent der Wählenden entscheidend ins Gewicht fielen; die Wirtschaftslage und der Irakkrieg folgten.

Dass die Republikaner ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus hielten und jene im Senat ausbauten, ist zum einen den Persönlichkeiten der Kandidaten zuzuschreiben. Anderseits dürfte der Sieg der Grand Old Party damit zusammenhängen, dass Millionen von Amerikanern Grundlagen ihrer Gesellschaft gefährdet sehen. Bezeichnend: der demokratische Senatsführer Tom Daschle wurde in South Dakota abgewählt.

Die äussere Bedrohung durch den Terrorismus, durch Bin Ladens Video am Wochenende in düsterer Weise verdeutlicht, trug zu einem Gefühl der Unsicherheit bei. In diesen Zeiten will das ländliche Amerika Ehe und Familie, die Grundlagen des Zusammenlebens, nicht weiter abbröckeln lassen. Nicht weniger als 72 Prozent der Amerikaner, sagt eine Umfrage, wünschen sich einen gläubigen Präsidenten, eine Persönlichkeit, deren Überzeugungen religiös fest verankert sind.

Gefühl der Unsicherheit

Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten mit seiner jüngeren Kultur schlägt das Pendel weiter aus als in der Alten Welt: Amerikaner sind unbekümmerter, wagen mehr und suchen dann pragmatisch Korrekturen. David Frum, der für George W. Reden schrieb, sagte dem Fernsehsender CNN, Bushs Hinwendung zum christlichen Glauben in der Mitte des Lebens habe den Mann geerdet und ihm einen Sinn für Gut und Böse gegeben.

Die Wahl- und Abstimmungsresultate sind vor dem Hintergrund der sozialen Probleme und der tiefen Klüfte in der US-Gesellschaft zu verstehen, über die kaum mehr Brücken des Kompromisses geschlagen werden können. In dieser Lage ist die Besinnung auf Wurzeln für konservativ gestimmte Gemüter umso dringender geboten.

11 Bundesstaaten: Ehe nur zwischen Mann und Frau

In elf Bundesstaaten war über einen Verfassungszusatz abzustimmen, der es verbietet, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen. Alle Staaten stimmten dem Zusatz zu, jene des Bibelgürtels meist mit über 75 Prozent Ja, Ohio mit 62 Prozent, Michigan mit 59 Prozent (vorläufige Angaben).

Die Kulturkampfstimmung, zu der in den letzten Monaten alle Seiten beigetragen haben – die Bürgermeister, die Schwulen- und Lesbenpaaren provokativ das Rathaus öffneten, dann auch konservative Politiker und Kirchenführer –, brachte mehr konservativ gestimmte Wähler an die Urnen. Die Wahlkampfmanager von Präsident Bush, der sich für einen Verfassungszusatz auf Bundesebene einsetzte, dürften ihr Ziel erreicht haben: Sie motivierten viele der vier Millionen evangelikalen Wähler, die im November 2000 zu Hause blieben, zum Urnengang.

Lebensschutz

Die Republikaner mögen viele fragwürdige Politik-Elemente haben; Bush, Rumsfeld und Co. haben im Irak arg geschnitzert und die Selbstsicherheit des intellektuell nicht brillanten Amtsinhabers hat manche vor den Kopf gestossen. Doch die meisten evangelikalen Christen, jedenfalls jene, denen der Schutz der Ungeborenen am Herzen liegt, meinten nur der Grand Old Party die Stimme geben zu können.

Denn die Demokraten befürworten das Recht der Frau abzutreiben; Kerry hat sich für die Stammzellenforschung ausgesprochen und würde als US-Präsident Richter fürs Oberste Gericht nominieren, die die Autonomie des Einzelnen über den Schutz von Ehe, Familie und Embryonen stellen. Der leitende Richter des Obersten Gerichts William Rehnquist ist eben an Krebs erkrankt; dies macht den Amerikanern verstärkt bewusst, dass in den nächsten Jahren die Ausrichtung des Supreme Court geändert werden könnte.

Es scheint, dass religiös gestimmte Wähler auch durch Bushs aussenpolitische Rhetorik eher bei der Stange gehalten werden konnten. Wen das Problem des Terrors (und darin inbegriffen auch der Unterschied zwischen Christentum und Islam) beschäftigt, der wählte eher Bush. Wem vor allem die wirtschaftliche, soziale oder ökologische Entwicklung Sorgen macht, der wählte meist Kerry.

Forum: Ihre Meinung zu den Wahlen

Datum: 03.11.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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