Was spricht aus christlicher Sicht für die Wiederwahl von Bush?

Wahlkämpfer G.W. Bush
Wahlkampfgegner Kerry
Robert J. Samuelson

George W. Bush verheimlicht seine persönliche Frömmigkeit nicht. Seine Stellungsbezüge zur Abtreibung und Familie, zu Israel und Irak machen ihn für die meisten wertkonservativen Christen zum Mann, der im Weissen Haus bleiben soll. Doch es gibt auch kritische und mahnende Stimmen.

Siehe auch: [ Was spricht aus christlicher Sicht gegen eine Wiederwahl von Bush? ]

Präsident Bush zog vor bald vier Jahren ins Weisse Haus ein, weil seine Losung vom „Konservativismus mit Mitgefühl“ viel Anklang fand. Dem Versprechen, christliche Institutionen im Bildungs- und Sozialbereich gleich zu behandeln wie nichtreligiöse, applaudierten viele Christen.

George Walker Bush wurde durch eine markante Hinwendung zu Christus in den 80-er Jahren vom Alkoholismus frei; das macht ihn glaubwürdiger im Land, wo sich fast jeder Präsidentschaftskandidat der letzten Jahrzehnte als ‚born again’ verkauft hat.

Unverhohlen gläubig und optimistisch

Bush machte den Pfingstler John Ashcroft zum Justizminister; er lässt in Kabinettssitzungen beten, liest Oswald Chambers’ Andachtsbuch „Mein Äusserstes für sein Höchstes“ und sagt in Interviews, dass er selbst um göttliche Führung bittet. Im Wahlkampf bringt er seine Frömmigkeit offen zum Ausdruck und benutzt christliche Sprache. Bei einem Auftritt in Philadelphia schloss er mit dem Satz: “Es ist patriotisch, den Nächsten zu lieben, wie du selbst geliebt werden möchtest.”

Allerdings stellen einige christliche Leiter die Frage, ob Bush das Evangelium nicht für seine Politik vereinnahmt. Der Soziologe Tony Campolo schrieb ein Buch mit dem Titel „Ist Jesus Republikaner oder Demokrat?“ Der Mann des Glaubens, als den sich Bush vorstellt, scheint gegen Selbstzweifel immun zu sein; das fällt auch Christen auf. Laut der Los Angeles Times glaubte im Juni eine Mehrheit der Wähler, dass Bush „seine Fehler nicht zugibt“.

‚Kulturkrieg’ um die Zukunft Amerikas

In seiner Amtszeit hat Bush wertkonservative Christen, vor allem Evangelikale, aber auch Katholiken, mit klaren ethischen Stellungsbezügen hinter sich geschart. An der Front, die viele US-Christen als entscheidend für die Zukunft ihres Staates ansehen, hat er indes erst wenig erreicht: Die 1973 freigegebene Abtreibung wurde nur unwesentlich eingeschränkt, durch ein Verbot einer grausamen Form der Spätabtreibung.

Doch die Konservativen und Lebensrechtlerinnen erhoffen sich von Bush, dass er durch neue Köpfe die Mehrheit im Obersten Gericht zugunsten des Lebensrechts der Ungeborenen kippt (der Präsident kann die Richter nominieren).

Die Wut über so genannte liberale, aktivistische Richter, die mit Urteilen den Gang der Dinge im Staat bestimmen und die Politik entmachten, ist vor allem in ländlichen Gebieten gross. Kerry würde, das weiss Amerika, andere Richter nominieren; sein Ja zur freien Abtreibung hat ihm von den katholischen Bischöfen den Vorwurf mangelnden Gewissens eingetragen.

Gegen Schwulen-Ehe

Nicht nur in der Abtreibungsfrage markieren Bush und Kerry zwei entgegengesetzte Pole. Das Gleiche gilt bei der staatlichen Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschaften (gay marriage), welche in den Augen konservativer Amerikaner die Familie als Grundzelle der Gemeinschaft schädigt.

Nach dem Senat hat am 30. September auch das Repräsentantenhaus einen Verfassungszusatz zum Schutz der Ehe (Verbot von gay marriage) abgelehnt; Bush hatte, von Familienorganisationen unter Druck gesetzt, den Zusatz deutlich befürwortet. Viele Amerikaner denken, dass ein Verbot auf Gesetzesstufe genügen würde.

Auch bei der Forschung mit embryonalen Stammzellen scharen sich konservative Wählerinnen und Wähler hinter Bush, der diese Forschung staatlich nicht fördert, im Kontrast zu Kerrys Forderung. Und: Bush lehnt das Klonen von menschlichen Embryos ab.

Wer ist standfester, berechenbarer?

Der amtierende Präsident profitiert von der freizügigen Haltung des Ostküsten-Politikers Kerrys und seiner Frau Teresa Heinz in ethischen Belangen. Er begann den Wahlkampf, indem er herausstellte, Kerry habe als Senator seine Meinung in fast allen politischen Fragen im Lauf der Jahre geändert. Der Demokrat hat sich mit Bannern als Kämpfer für amerikanische ‚Values’ (Werte) zu profilieren versucht, doch frühe Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit und charakterlichen Beständigkeit nur schwer ausräumen können.

Auf diese Festigkeit aber kommt es für viele Amerikanerinnen und Amerikaner in erster Linie an – vor allem auch, weil sich das Land nach ihrer Wahrnehmung im Krieg befindet, im Kampf gegen den weltweiten Terror.

Bush ist für sie nicht der schiesswütige Cowboy aus Texas, sondern Kämpfer für die Freiheit in einem bitteren, blutigen Ringen, dem nicht auszuweichen und dessen Ende nicht absehbar ist. Dass die USA auf ihrem Weg nach Bagdad Verbündete verloren und Freunde vor den Kopf gestossen haben, gibt den Menschen in den Weiten des Mittleren Westens kaum zu denken.

Freund Israels – oder Kumpel Sharons?

Bushs Wahlstrategen bedienten sich dieser ethischen, religiösen und charakterlichen Unterschiede, um die wertkonservativen weissen Wähler früh hinter sich zu scharen. Im Sommer suchten sie die Mobilisierung der Evangelikalen, von denen im Jahr 2000 vier Millionen nicht wählen gingen, sicherzustellen.

Sie wissen, dass bibelorientierte Protestanten stärker als der Durchschnitt der Bevölkerung an der Unterstützung Israels und dem Einsatz für Religionsfreiheit weltweit, an militärischer Stärke und dem Kampf gegen islamistischen Terrorismus interessiert sind.

Durchzogener Erfolgsausweis

In den letzten Wochen dreht sich der Wahlkampf indes vor allem um die wirtschaftlichen und sozialen Fragen. Hier ist Bushs Bilanz gemischt; manche christliche Kommentatoren befriedigt sie nicht.

Im Online-Dienst von Christianity Today schrieb Andy Crouch, er werde sich am 2. November nur mit Furcht und Zittern zur Urne begeben können, da die Gewissen beider Kandidaten zu rein seien. Recht und Gerechtigkeit fördern heisse, Macht in den Dienst der Ohnmächtigen zu stellen und Reichtum zum Wohl der Armen einzusetzen.

Die Initiative, die Bush vor vier Jahren zur Förderung christlicher Sozial- und Bildungsprogramme ansagte, hat wenig gebracht, da der Kongress sie zerzauste – und das Weisse Haus wenig dafür tat. In der republikanischen Wahlplattform für die nächsten Jahre haben Evangelikale zu diesem Thema nichts mehr gefunden.

Freund der Wirtschaft – Streit um Statistiken

Bush hat den Interessen des Big Business kaum gewehrt und Steuersenkungen durchgesetzt, die nach dem Platzen der New-Economy-Blase zu gigantischen Fehlbeträgen im Staatshaushalt führten. Dass die US-Durchschnittsfamilie einkommensmässig schlechter dasteht als vor vier Jahren (wie gegen den Präsidenten ins Feld geführt wird), bestreitet der Ökonom Robert J. Samuelson in der Washington Post. Er verweist darauf, dass die USA immer mehr Einpersonen-, Rentner- und Immigrantenhaushalte aufweist.

Die Zunahme der Armut geht grösstenteils aufs Konto der Hispanics, der Zuwanderer aus Lateinamerika, wie ein genauer Blick auf die Statistik zeigt. Laut Samuelson sank im Vergleich zu 1990 die Zahl der weissen Nicht-Hispanics in Armut um 700'000, ebenso wie die Zahl der armen Schwarzen. Dagegen ist die Zahl der Hispanics unter der Armutsgrenze seit 1990 um drei Millionen gestiegen – eine Folge der kaum einzudämmenden Zuwanderung.

Wahl der Emotionen

Die drei Fernsehdebatten zwischen Bush und Kerry haben keinem der beiden klare Vorteile verschafft. Am Schluss werden viele noch unentschlossene Amerikanerinnen und Amerikaner aus dem Bauch heraus wählen gehen. Die beiden Lager scheuen harte Attacken nicht; es wird darauf ankommen, ob eineinhalb Jahre nach dem Einmarsch im Irak die grossen Worte des Mannes im Weissen Haus noch greifen.

„Freiheit ist die mächtigste Gabe“

Im Mai 2004 betonte er in einem Gespräch mit christlichen Journalisten: “Ich glaube, dass wir einen Zusammenprall von Ideologien erleben. Und ich denke – ich weiss einfach –, dass Amerika entschlossen und zuversichtlich daran glauben muss, dass Freiheit die mächtigste Gabe für alle Menschen in der Welt ist und dass freie Gesellschaften friedfertige Gesellschaften sein werden.“

Siehe auch: [ Was spricht aus christlicher Sicht gegen eine Wiederwahl von Bush? ]

Datum: 15.10.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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