Hilfe für Opfer des Bürgerkriegs

Schweizer Hoffnungsträger in der Côte d’Ivoire

Ratgeberin: Vreni Dietter mit Angèle (links) und Béatrice
Mit 16 Jahren Mutter: Freny mit ihrem Baby
In Daloa wird eine neue Methodistenkapelle errichtet.
Ein Evangelist von Campus für Christus erhält eine Salbe gegen Furunkel.

Angèle ist eine verwitwete Mutter von zwei kleinen Kindern. Oft ist sie krank, eine Arbeit hat sie nicht – und darum weiss sie nicht mehr, wie sie sie ernähren soll. Angèle möchte die zwei zur Familie ihres Mannes bringen. Doch das bedeutet eine Reise von 600 Kilometern, und sie hat keinen Identitätsausweis mehr.

Im September 2002 ist Angèles Land, die Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste), in einen tiefen Strudel der Gewalt geraten. Rebellen übernahmen den schwächer bevölkerten Nordteil des Landes. Die Kämpfe endeten vorübergehend, als Frankreich eingriff.

Vreni und Hans Dietter, Mitarbeiter der Mission Biblique, wurden wegen des Bürgerkriegs in die Schweiz zurückgerufen. Sie sind im Juni nach Daloa auf ihre Station zurückgekehrt, um den Notleidenden und Überforderten zu helfen. Vreni nimmt sich Zeit für die Frauen und sucht einen Weg für Angèle.

Mittellos und ohne Mann

Das kleine Baby von Béatrice ist krank, sie selbst mittellos. Vor ein paar Tagen erst ist sie aus einem Dorf geflohen, wo der Sohn ihres „Wohltäters“ sie vergewaltigen wollte. Letzterer bat sie darauf wegzuziehen, bevor etwas Schlimmes passiere. So nahm eine Nachbarin sie in ihre Obhut und brachte sie zu einer Bekannten nach Daloa. Béatrice hat wie Angèle zwei Kinder. Sie wurde vor drei Jahren von ihrem Mann verlassen und wohnte dann bei ihrem Vater. Im Oktober 2002 wurde ihm vor ihren Augen der Hals durchgeschnitten...

Die Geschichten von Angèle und Béatrice stehen für die von vielen tausend Ivoirern, Bewohnern der Elfenbeinküste, die den Boden unter den Füssen verloren haben. Sie mussten Hab und Gut zurücklassen, um ihr Leben zu retten. Frauen und Kinder sind von ihren Angehörigen getrennt und wissen nicht, wie sie sich versorgen sollen.

Afrikanische Mentalität

Hintergründe des Konflikts schilderte letzte Woche Robert Egli, ein Kenner des Landes, in einem Vortrag in Bäretswil im Zürcher Oberland. Der Primarlehrer arbeitete 1976-78 in der Côte d’Ivoire und wirkt seither im Komitee der französisch-schweizerischen Mission Biblique mit, die 1927 die ersten Missionare nach Westafrika aussandte.

Egli sieht historische Ursachen für die aktuelle Krise in dem Land, dessen 60 Stämme ebenso viele Sprachen sprechen. Er schilderte die Mentalität der Afrikaner, ihr Eingebundensein in die Sippe, die Hochachtung fürs Alter, auch die Verehrung für den Landesvater Houphouët-Boigny, der in der neuen Landeshauptstadt Yamoussoukro, im Gebiet seines Stammes, den Ivoirern eine Kopie des Römer Petersdoms ‚schenkte’ und dabei eine Viertelmilliarde Franken verbaute.

Der Norden vernachlässigt

Durch die geschickte Wirtschaftspolitik Houphouët-Boignys, der die Weissen nach der Unabhängigkeit des Landes 1960 nicht vertrieb, hatte sich die Wirtschaft rasant entwickelt. Die Côte d’Ivoire wurde zum grössten Kakaoproduzent der Welt. Der Wohlstand nahm zu.

1993 starb der unangefochtene Landesvater; seither machten sich Spannungen zwischen den Stämmen und Regionen bemerkbar, die sich manchmal mit dem religiösen Gegensatz zwischen Christen und Muslimen überlagern. Die Mehrheit der Ivoirer glaubt an Geister; manche verbinden dies mit der Zugehörigkeit zum Islam oder einer Kirche.

Hass und Gewalt gegen Gastarbeiter

Während die Küstenregion um die Metropole Abidjan florierte, erhielt der trockenere, schwächer bevölkerte Norden jahrzehntelang wenige Entwicklungsgelder; seine Bewohner waren unzufrieden. Die ebenfalls muslimischen Gastarbeiter aus den Nachbarländern, schätzungsweise gegen fünf Millionen (ein Drittel aller Einwohner der Elfenbeinküste!), wurden seit dem Militärputsch 1999 durch Verweigerung des Wahlrechts politisch gedemütigt.

Am 19. September 2002 entlud sich die Frustration in einer Rebellion, die in Abidjan niedergeschlagen wurde (es kam zu zahlreichen blutigen Übergriffen gegen Nicht-Ivoirer), aber im Norden erfolgreich war. Seither ist das Land geteilt.

Flucht vor Plünderern

Als die Rebellen aus dem Norden auf Gebiete im Zentrum des Landes vorrückten, flüchteten Zehntausende von Menschen. Im Kampfgebiet wurden neben Geschäften auch Apotheken und Spitäler ausgeplündert. „Wir haben nur noch Augen zum Weinen, Hände zum Beten und Füsse, mit denen wir davonrennen, um uns zu verstecken“, schilderte eine Betroffene ihre verzweifelte Lage.

Auch 50 Pfarrer der evangelischen Kirche flüchteten mit ihren Familien. Die Kirchenleitung richtete in Duékoué eine Notaufnahmestelle ein. Manche Christen hielten der Bedrohung stand. Eine Frau harrte in der umkämpften Stadt Man aus, an zwei Sonntagen war sie ganz allein in ihrer Kirche.

Der einheimische Leiter eines christlichen Säuglingsheims in der Stadt führte den Betrieb in den kritischen Wochen weiter und blieb wunderbarerweise von Überfällen verschont. Eine evangelische Frauenorganisation, die ‚Servantes de Béthanie’, hat Aufsehen erregt mit dem Entschluss, Versöhnung vorzuleben und „tiefe Scharten und Risse zu füllen“.

Prekärer Waffenstillstand

Nach wochenlangen Kämpfen (zu alledem stiessen Söldner aus dem westlichen Nachbarland Liberia auf ivoirisches Gebiet vor und plünderten ganze Landstriche aus) hatte Frankreich im letzten Herbst bereits eingegriffen: Mit mehreren tausend Soldaten zwang die frühere Kolonialmacht die Regierung und die Rebellen schliesslich an den Verhandlungstisch.

Der Waffenstillstand, der von einer westafrikanischen Friedenstruppe geschützt wird, ist prekär, Misstrauen überschattet die (von Paris aufgezwungene) Beteiligung der Rebellen an der Regierung.

Die Menschen sind dankbar, dass ihr fruchtbares Land nicht ganz im Chaos versank. Aber viele Geflüchtete haben kein Zuhause mehr. Für sie sind Hans und Vreni Dietter da. Hans betreibt eine Werkstatt; die Berufsschule, die daraus entstehen soll, konnte wegen des Bürgerkriegs noch nicht starten. Immerhin hat die Werkstatt Aufträge erhalten.

Rat und Hilfe am Zufluchtsort

In Daloa haben Hunderte von Kriegsvertriebenen Zurflucht gesucht. Vreni Dietter schreibt, dass im Nachbarhaus jetzt nicht weniger als 32 Personen wohnen. Sie betreut elternlose Jugendliche wie Freny, eine Schülerin, die ein Kind erwartete und hochschwanger von ihrer Schlummermutter auf die Strasse gesetzt worden war. „Die Geburt fand drei Wochen später statt, die Einführung in die Mutterpflichten und das Betreuen von Mutter und Kind folgte. Ein krankes Kind von Freunden aus einem Dorf gesellte sich für einige Wochen dazu.“

Viele Flüchtlinge sind traumatisiert. Vreni Dietter nimmt sie ihrer an: „Das Kommen und Gehen von Besuchern und Gästen, von Menschen mit Bedürfnissen, mit denen oft ein tieferes Gespräch zustanden kommt, gehören ohnehin zu meinem üblichen Tagesablauf. Ich konnte auch wieder in die Sonntagsschularbeit einsteigen. Es fehlte an Leitern; Kinder waren und sind viele da!“

Helfer: überfordert…

Die Präsenz der Missionare ist für die Einheimischen ein kostbares Zeichen der Solidarität. Doch Vreni Dietter und ihr Mann sind überfordert. Noch viel mehr als früher ist Unvorhergesehenes an der Tagesordnung: „Mehr denn je werden wir mit Problemen konfrontiert, denen wir oft machtlos gegenüber stehen. Auch wenn wir relativ vielen Leuten eine Hilfe vermitteln können, so ist es oft wie ein Tropfen Wasser auf einen heissen Stein. Die Kriegsvertriebenen haben teils alles verloren. Die einen sind entmutigt, die anderen machen Pläne, in der Hoffnung, zu deren Verwirklichung die nötige Unterstützung zu bekommen.“

…und wunderbar beschützt

Sandé, ein einheimischer Mitarbeiter, fuhr vor einigen Tagen weg, um eine Trauerfamilie zu besuchen: „In dieser Zeit sind drei bewaffnete Männer auf der Strasse gegen unser Gelände aufgetaucht und haben bei einem Jungen, der für seine Mutter Brötlein verkauft, nach mir gefragt. Er verneinte mich zu kennen, sie drohten, ihn zu töten, wenn er sie nicht zu mir führe. Trotz der Drohung beharrte er darauf, mich nicht zu kennen. Sie nahmen ihm die Brötchen weg, leerten seine Kasse in ihre Hosentasche und verschwanden im gegenüberliegenden Busch.“

Bei der Rückkehr erfuhr Sandé von den Räubern. „Ich rief gleich die meisten meiner Freunde an, die stets für mich beten, und informierte auch den Pfarrer, dass er die Sicherheitskräfte bitte, in der Nacht auf unserem Gelände aufzutauchen. Dann versteckte ich mich in einem unserer Gebäude. Die Nacht verlief ruhig, wenn auch der Hund verschiedentlich bellte und hin und her rannte. Mir wurde bewusst, dass der himmlische Vater auf die Gebete gehört hat!“

Am Morgen stieg Sandé in den Wagen, um in die Stadt zu fahren. „Bald aber hatte ich eine Panne, die mich zwang, zu Fuss weiterzugehen, um eingangs der Stadt in ein Taxi zu steigen. Nicht lange darauf vernahm ich, dass die Sicherheitskräfte gerade drei bewaffnete Männer beim Belästigen und Bestehlen eines mit Feldprodukten beladenen Bauern auf frischer Tat erwischt hatten. Sie wurden sogleich eingesperrt. Die Sache ereignete sich auf der von mir eben zu Fuss zurückgelegten Wegstrecke…“

Datum: 05.11.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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