Religionszugehörigkeit bestimmt Nigerias Wahlausgang

Präsident Obasanjo

Abuja. In Nigeria, Afrikas bevölkerungsreichstem Land, wurden am Osterwochende Präsidentschaftswahlen abgehalten. Das Wahlergebnis hing grössten Teils von der Religionszugehörigkeit der 130 Millionen Einwohner ab.

Der nigerianische Präsident Olusegun Obasanjo scheint die Präsidentenwahl klar gewonnen zu haben. Nach Auszählung von mehr als drei Viertel der Wahlbezirke lag Obasanjo nach Angaben der Unabhängige Nationalen Wahlkommission (INEC) mit 61 Prozent der Stimmen weit in Führung.

Sein stärkster Herausforderer, der aus dem moslemischen Norden stammende Ex-General Muhammadu Buhari von der Allnigerianischen Volkspartei (ANPP), kam demnach auf 31 Prozent. Von den übrigen 17 Kandidaten kam nur noch Emeka Ojukwu auf drei Prozent.

Konflikte bleiben

Nach mehr als 30 Jahren Militärregierung hat Nigeria erst seit den vergangenen vier Jahren eine demokratische Regierung. Für Millionen von Nigerianern spielte die Religion eine ausschlaggebende Rolle bei der Wahl ihres Regierungsoberhauptes. Über Jahre hinweg haben skrupellose Politiker diese Tatsache ausgenutzt, um Nigerias Bevölkerung, die religiös und ethnisch vielfältig ist, zu manipulieren, um bei den Wahlen zu gewinnen. Solche Ausbeutung hat neben der Einführung der Sharia (islamisches Gesetz) in 12 nördlichen Staaten zwischen den Religionen Gewalt ausgelöst. In den vergangenen vier Jahren sind Tausende von Menschen umgekommen und Sachschaden von mehreren Millionen Dollar als Ergebnis des religiösen Streites entstanden ist.

Ungeachtet der Proteste vieler christlicher Kirchen hatten die Bundesstaaten im Norden Nigerias die Scharia eingeführt. Offiziell gilt sie in den mehrheitlich von muslimischen Haussa bewohnten Gebieten nur für die muslimische Bevölkerung. Doch muslimische Milizen halten sich nicht an diese Einschränkung und fordern, dass die Scharia für alle Bürger gelten müsse. Präsident Olusegun Obasanjo ist Christ. Eine direkte politische Auseinandersetzung mit den muslimischen Führern des Nordens hat er bisher als Staatsoberhaupt noch nicht geführt. Nach dem Wahlausgang steuert Nigeria auf eine weitere Zerreissprobe zu.

Mit dem sich verdichtenden Wahlergebnis werden auch die Vorwürfe der Opposition, die Wahl sei manipuliert worden, lauter. Nationale und internationale Wahlbeobachter berichteten von vielen Unregelmässigkeiten, insbesondere in den Bundesstaaten des instabilen Niger-Deltas. Die Opposition hat für den Fall nachgewiesener Wahlfälschung mit Gewalt gedroht, will jedoch das Endergebnis der Auszählung abwarten. INEC-Beamte in Abuja sagten indes, sie hätten bislang keinen Wahlbetrug feststellen können.

300 Stämme und 500 Sprachen

Die in 36 Bundesstaten lebenden 130 Millionen Nigerianer gehören mehr als 300 Stämme an und beherrschen rund 500 Sprachen. Drei grosse ethnische Gruppen bestimmen seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1960 weitgehend das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben:

Die christlichen Yoruba im Südwesten, aus deren Reihen auch Präsident Obasanjo stammt; die christlichen Ibo im Südosten, deren Versuch einer Loslösung aus dem nigerianischen Staatsverband im Völkermord in Biafra Ende der 60-er Jahre tragisch endete; die muslimischen Haussa-Fulani, die überwiegend im Norden sowie im Zentrum des Landes leben.

Daneben gibt es im Nigerdelta und im Zentrum Nigerias (dem sogenannten Middle Belt) zahlreiche Minderheiten, die sich als benachteiligt empfinden. Seit Jahren beklagen sie, dass sie sowohl im wirtschaftlichen als auch im politischen Leben von den dominierenden drei grossen Bevölkerungsgruppen diskriminiert werden. Viele der ethnisch-religiösen Konflikte sind auf die Benachteiligung dieser Minderheiten zurückzuführen. Oft überlagern sich bei den Auseinandersetzungen aber auch ethnische und religiöse Fragen.

Die Diskussion um die Scharia schürt Konflikte, doch dahinter liegen zum Teil seit Jahrzehnten schwelende Spannungen zwischen Bevölkerungsgruppen. Auch wirtschaftliche Fragen spielen eine enorme Rolle bei den bewaffneten Auseinandersetzungen. So trägt die ständig steigende Arbeitslosigkeit und die katastrophale wirtschaftliche Lage insbesondere unter den Jugendlichen zu einer Radikalisierung bei. Korruption, Vetternwirtschaft und politische Machtkämpfe verschärfen die ohnehin bestehenden Konflikte. So nutzen einige Gouverneure von Bundesstaaten im Norden des Landes ganz gezielt die Scharia-Frage, um ihren politischen Einfluss zu vergrössern und die Chancen auf eine Wiederwahl zu verbessern. Es ist ein Spiel mit dem Feuer angesichts der ethnisch-religiösen Spannungen. Sollten die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Nigerias zunehmen, ist eine Eskalation der Gewalt zu befürchten.

Quellen: Livenet/og

Datum: 23.04.2003
Autor: Bruno Graber

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