Zukunft der Glaubensfreiheit

«Europa ist daran, sich selbst zu verlieren»

Glaube gehört in den öffentlichen Raum. Auch wenn Religion Streit auslöst. Dies führt zu Angriffen auf die Religionsfreiheit im säkularisierten Europa. Christel Ngnambi tritt für seinen christlichen Kern und die Freiheit des Glaubens ein – als Vertreter der Europäischen Evangelischen Allianz (EEA) in Brüssel.
Der Glaube muss öffentlich geäussert werden können: Christel Ngnamb an der Jahreskonferenz der EEA in Spanien.

Ngnambi lobbiiert für die Religionsfreiheit: In der Öffentlichkeit, wo Menschen aufeinander einwirken und Werte zur Debatte stehen, müssen auch Gläubige ihre Stimme haben. Die grundlegenden Menschenrechte hängen zusammen: Wenn das Recht, sich zu versammeln und öffentlich die Meinung zu äussern, bestritten wird, kommt auch die Glaubens- und Gewissensfreiheit unter die Räder.

Religionsfreiheit anno 1846

Als Vertreter der Europäischen Evangelischen Allianz (EEA) Bei EU und Europarat arbeitet Ngnambi (ausgesprochen Njambi) daran, dass sich die Haltung zur Religion im öffentlichen Raum positiv verändert. Der Einsatz für Religionsfreiheit gehört zur DNA der Evangelischen Allianz: Schon bei ihrer Gründung 1846 in London setzte sie sich für verfolgte Christen ein – als die meisten Länder des Kontinents noch autoritär regiert wurden.

Mehr als Gottesdienst

Infolge der Säkularisierung des Westens stellt die EEA heute Spannungen im Bereich der Religionsfreiheit und der mit ihr verbundenen Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit fest. Militante Atheisten und Freidenker arbeiten auch in Brüssel daran, den Einfluss der Religion auf Staat und Gesellschaft zu beschränken. Ngnambi: «Eliten und Meinungsmacher wollen die Religionsfreiheit als Kultusfreiheit neu definieren: Gläubige sollen sich damit begnügen, dass sie ihren Gottesdienst in der Kirche oder ihrem Haus halten können. Dabei geht die Auffassung verloren, dass wir nicht nur frei sind, etwas zu glauben, sondern uns auch entsprechend verhalten und den Glauben öffentlich zum Ausdruck bringen können.»

Auf dem Beobachtungsposten

Der gebürtige Kameruner Christel Lamère Ngnambi ist in Brüssel aufgewachsen. Er hat einen Master in Politikwissenschaften. Seit 2006 vertritt er die EEA bei den Europäischen Institutionen. «Ich verfolge, was EU-Gremien vorbereiten und diskutieren, und analysiere Vorschläge und Entscheide aus evangelischer Sicht.» Ngnambi tut dies neben und mit den Vertretern der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), welche altprotestantische und orthodoxe und anglikanische Kirchen repräsentieren, und Vertretern der katholischen Bischofskonferenzen und des Vatikans. «Wir arbeiten gerade im Bereich der Religionsfreiheit eng zusammen.»

EEA im Vorteil

Die Allianz kann laut Ngnambi schneller auf neue Entwicklungen reagieren; er ist flexibel, weil er nicht viele Gremien konsultieren muss. Die KEK hat Kommissionen, die bei Migrations-, Entwicklungs- und Diakoniefragen Einfluss nehmen wollen. «Wir Evangelikalen sprechen mit einer Stimme, obwohl die Spanne der Kulturen zwischen Island und Kasachstan sehr gross ist.»

Für Schöpfungsdenken in der Schule

Christel Ngnambi wurde auch aktiv bei einem Bericht an den Europarat in Strassburg, der darauf abzielte, das Schöpfungsdenken aus öffentlichen Schulen zu verbannen. Er unterstützte den Schweizer Vertreter Walter Schmied, indem er einen Zusatz entwarf. «Er besagt, dass die Evolutionstheorie wie der Schöpfungs-Ansatz in den Schulen der kritischen Prüfung bedarf. Und dass die Entschliessung weder Gläubige noch religiösen Glauben an sich verurteilt, sondern sich auf die Vermittlung von Naturwissenschaften im Unterricht bezieht.» Dem Europarat stehe es nicht zu zu definieren, was richtige Wissenschaft ist, betont Ngnambi. In der Verhandlung konnte Walter Schmied den Zusatz durchbringen und deutlich machen, dass religiöse Menschen in ihren Rechten verletzt werden, wenn andere unbedarft über ihren Glauben an den Schöpfer herziehen.

Kirchen sind andere Arbeitgeber

Als weiteren Erfolg seiner Arbeit bezeichnet Ngnambi die Änderung der Antidiskriminierungs-Richtlinie der EU. «Wir gehörten zu denen, die bei Artikel 4 darauf drangen, dass religiöse und philosophische Institutionen bei Anstellungen und Kündigungen das Ethos der Betroffenen, also religiöse Überzeugungen und Lebensweise, berücksichtigen können. Das ist eine ganz wichtige Schutzbestimmung für christliche Arbeitgeber.»

Neue Charta

Die EEA wirbt für ein tieferes Verständnis der Freiheitsrechte. Als wirkungsvolles Instrument erweist sich die neue Globale Charta für Gewissensfreiheit, die im Juni 2012 im Europäischen Parlament vorgestellt werden konnte. Das Grundlagenpapier vermittelt aus christlicher Sicht eine Vision von Religion im öffentlichen Raum. «Die Charta ist religionsneutral, sie ruft die Grundlagen der Gewissens- und Religionsfreiheit für die Arbeit an der pluralen Gesellschaft in Erinnerung.»

Wie wenig Religion?

Europa säkularisiert sich nach Einschätzung des Brüsseler EEA-Vertreters weiter. «Die Eliten ziehen den Kontinent in diese Richtung.» Dabei dürften aber militant antireligiöse Säkularisten und Vertreter einer gemässigten Säkularität nicht in einen Topf geworfen werden. «Die ersteren wollen den öffentlichen Raum von Religion befreien oder religiöse Äusserungen minimieren oder gegen Gläubige kämpfen, die ihrem Glauben öffentlich Ausdruck geben. Die letzteren, etwa der Präsident des EU-Parlaments Martin Schulz, ein liberaler Katholik, haben keine antireligiöse Agenda. Für sie ist das Christentum einfach Privatsache.»

Der Kern Europas

Wohin driftet Europa? Ngnambi bedauert, dass die Schuldenkrise im Euro-Raum Grundfragen in den Hintergrund drängt. «Die letzten Monate zeigen, wie schwer es der EU fällt, eine Vision von sich zu vertreten. Für die Väter der europäischen Einigung waren die Werte, die den Kern Europas ausmachen, christliche Werte.»

Heute werde dies in Frage gestellt, urteilt Ngnambi und verweist auf die Debatte um die Erwähnung Gottes in der EU-Verfassung. «Europa ist daran, sich selbst zu verlieren, nicht unbedingt durch weitere Säkularisierung, sondern weil es keinen Kompass mehr hat, sich seiner Werte nicht mehr bewusst ist. Was haben wir im Tiefsten gemein, was macht unsere Identität als Europäer aus? Die grundlegenden Werte sind christliche Werte, die ihren klarsten Ausdruck im christlichen Glauben finden.»

 

Datum: 26.11.2012
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet

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