Carl Hilty

«Schliessen Sie sich Christus an, nicht bloss Menschen»

Carl Hilty war einer der bedeutenden Schweizer der Neuzeit - wer kennt ihn noch? Vor 100 Jahren ist er gestorben.
Carl Hilty lebte vom 28. März 1833 bis am 12. Oktober 1909.
Das Geburtshaus von Carl Hilty in Werdenberg.
Christlicher Denker und Gestalter des Bundesstaates: Carl Hilty lehrte in Bern und wirkte im Nationalrat.
«Oberauditor der schweiz. Armee. Verfechter der Antialkoholbewegung und des Gemeindebestimmungsrechtes im schweiz. Nationalrat.»

«Wir Schweizer haben in Carl Hilty einen grossen Mann unter uns gehabt und haben das natürlich nicht gemerkt», notierte Leonhard Ragaz. Das scheint sich 2009 zu wiederholen: Ob des Gedenkens an Calvin und Darwin geht der Staatsrechtler und Politiker vergessen, der als Menschenfreund Schweizersein und christliche Existenz höchst eindrücklich verband. - Eine Würdigung.

Wegmarken

Als Arztsohn am 28. März 1833 in Werdenberg SG geboren, durchläuft er die Schulen in Chur und studiert in Göttingen und Heidelberg die Rechte. 1854 Doktor beider Rechte. Nach Studien in London und Paris Anwaltspraxis in Chur, Offizier im eidgenössischen Justizstab. 1857 Heirat mit Johanna Gärtner, harmonische Ehe. 1863 «Beginn des neuen Lebens»: Erfahrungen mit Gott.

1872 Mitglied des Churer Grossen Stadtrats. 1874  Professur an der Universität Bern für Allgemeines Staatsrecht und Schweizerisches Bundesstaatsrecht . 1890 Wahl als «Gewissen der Nation» in den Nationalrat durch den Heimatkanton St.Gallen.1892 Oberauditor der Armee.1899 Gesandter des Bundesrats am Internationalen Schiedsgerichtshof Im Haag. 1904 Präsidium des 1. Internationalen Kongresses gegen Mädchenhandel in London. 1906 Ehrendoktorwürde der Universität Genf. Am Todestag, dem 12. Oktober 1909, liegt auf seinem Tisch das eben fertiggestellte Manuskript des visionären Buchs «Pax perpetua» (Ewiger Friede).

Staat für die Menschen

Staat und Kirche brauchen nach Hilty dringend Regeneration. Die Erneuerung kann nur im Kleinen beginnen, beim Einzelnen. Das Parlament (Hilty erlebt das stürmische Werden und Reifen des Bundesstaats mit) muss eine Auswahl  der Einsichtigsten und Besten sein, nicht fotografisches Abbild von Parteien. Hilty wendet sich gegen die Proporzwahl.

Unter Politik versteht der einflussreiche Staatsrechtler nicht Gerangel um Macht, sondern Ringen um die Verwirklichung «leitender Ideen». Es habe noch kein bedeutendes Volk in der Geschichte gegeben, das nicht idealistische Ziele verfolgt hätte. Mit den Idealen der Aufklärung bekämpft Hilty die Welt der Eliten, die ihm künstlich und kleinlich vorkommt. Die republikanischen Kleinstaaten sollen selbstbewusst vorangehen; sie hätten immer die grossen Reformatoren hervorgebracht (er nennt Plato, Moses, Jesus, Dante, Michelangelo, Luther, Zwingli, Schiller).

Das Beste liegt vor uns

Als lebendiges und tolerantes Gemeinwesen ist die Schweiz stark. Hilty wird zum Verfechter der direkten Demokratie; er ist der Trennung von Kirche und Staat nicht abgeneigt. Mit einem positiven Grundton betrachtet er seine Zeit. Erneuerung beginnt stets beim Einzelnen. Auch wenn die heutige Kultur ein Ende finden wird, liegt der Idealpunkt nicht hinter, sondern vor uns. Sein Alterswerk «Pax Perpetua» spricht vom  kommenden Friedensreich unter Christus.

Religion als Erfahrung

Hilty wird vielen der Kirche Entfremdeten zum Seelsorger. Er trifft den Nerv der Zeit bei denen, die der kirchlichen Bekenntnisse und Richtungskämpfe müde geworden sind.

Er macht dem Einzelnen Mut, eigene geistliche Erfahrungen zu machen, ohne Zwischeninstanzen - wie in der Bibel und in Dantes Göttlicher Komödie beschrieben. «Schliessen Sie sich Christus an, nicht bloss Menschen, die von ihm reden.»

Pfarrern gegenüber ist Hilty eher zurückhaltend. «Alle wahren Christen haben eine gewisse Kindlichkeit; wo diese völlig fehlt, namentlich bei Geistlichen, da traue ich nicht.»

Weiter Horizont

Warmherzig porträtiert Hilty die Ingenbohler Oberin Sr. Maria Theresia Scherer, deren Rechtsbeistand er ist. Er schätzt die katholische Frömmigkeit. Beim Auftreten der Heilsarmee (ein nationales Verbot wird diskutiert) ist er der einzige Vertreter der Elite, der in sie grosse Hoffnung auf Erneuerung der Kirche setzt. Hilty zieht das Wirken dieser «friedlichen Armee» den «langen Reden der in Mode gekommenen Sozialpfarrer» vor.

Zusammen mit seinem Freund, dem Chirurgen und Nobelpreisträger Theodor Kocher, hört er gern die «sehr kräftigen Predigten» in der Herrnhuter Brüdergemeine. Doch hält er an der Volkskirche fest, da das Verschwinden dieser «Einrichtung» einer kulturellen Verarmung gleichkäme. Seine Fairness gilt auch den Juden. Nicht tierschützerische Anliegen, sondern antisemitische Tendenzen stellt er fest bei der Volksinitiative für einen Schächtartikel.

Fürsprecher der Frauen

Hilty kämpft für das Frauenstimmrecht, siebzig Jahre vor dessen Einführung. Es gefällt ihm, dass in der Heilsarmee auch für adelige Frauen Arbeit ist (Offizierin Anna von Wattenwyl), die sonst keine Arbeit übernehmen durften.

Zum Seelsorger wird Hilty in zahlreichen Briefen. Seine Werke (Glück, Andachten für «schlaflose Nächte», Ewiges Leben, Geheimnis der Kraft) bringen seinen Glauben kraftvoll zum Ausdruck, erscheinen in hohen Auflagen und werden auch ins Japanische übersetzt.

Der Theologe Ernst Troeltsch, sein Zeitgenosse, kommentiert: «Hilty berücksichtigt zwar das moderne Weltbild für den Glauben wenig, hat aber den unschätzbaren Vorzug, dass er die Religion wirklich aus Erfahrung kennt, die so viele nur vom Hörensagen oder aus der Theorie kennen.»

Autorin: Christa Heyd, Bearbeitung: Livenet

Datum: 20.11.2009
Quelle: Livenet.ch

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