Wolfgang Huber

„Die Kirche muss künftig das Glaubensthema ins Zentrum rücken“

Was muss geschehen, damit die Menschen wieder in die Kirche strömen, wie sie es zur Zeit der Reformation taten? Gedanken dazu machte sich anlässlich der Feier zum 500. Geburtstag von Heinrich Bullinger der evangelische Bischof von Berlin-Brandenburg Wolfgang Huber. Der Vorsitzende des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hielt am Sonntag in Zürich einen pointierten Vortrag unter dem Titel ‚Kirche in der Zeitenwende’.
Wolfgang Huber, Vorsitzender der EKD, bei seinem Vortrag in Zürich
Predigte dreimal wöchentlich: Heinrich Bullingers Denkmal am Grossmünster
Kirchenratspräsident Reich, Bischof Huber, SEK-Ratspräsident Wipf und Grossmünsterpfarrerin La Roche beim anschliessenden Gottesdienst

Huber würdigte eingangs den Reformator als Seelsorger, der auch die „Kunst des Briefschreibens in den Dienst der Aufgabe stellte, die ihm in Zürich in der Nachfolge Zwinglis zugewachsen war. Als ein Kirchenführer erwies er sich dabei, der es verstand, den Menschen Gott nahe zu bringen, aber auch die Menschen in die Nähe zu Gott.“

Voraussetzung für eine bessere Stadt: freie Predigt

Aus der Barmer Erklärung, mit dem vor 70 Jahren bekennende Christen gegen die Nazi-Herrschaft antraten, zitierte Huber den Satz des Apostels Paulus, der auch Bullinger über die Lippen kam, als ihm die Herren zu Zürich 1531 vorschreiben wollten, was er zu predigen habe: „Gottes Wort ist nicht gebunden.“

Bullinger habe die „freie Predigt des Gottesworts“ verteidigt, sagte Huber im Zürcher Rathaus. „Man kann die Freiheit von Theologie und Verkündigung, die eine unmittelbare Folge aus der Bindung an das Wort Gottes darstellt, als einen Grundzug in der Haltung Bullingers wie der Theologischen Erklärung von Barmen ansehen.“ Kurz und aktuell zugespitzt: „Die Erneuerung der Kirche braucht eine klare Theologie.“

Reformator mit klarem Kopf

Laut Bischof Huber hat Heinrich Bullinger „in seiner Zeit manche heiss umstrittenen Fragen ausserordentlich klar gesehen und gelöst. Seine … Verhältnisbestimmung von Kirche und Obrigkeit kann bis heute als ein tragendes Modell gelten, insofern sie dazu anhält, dass Kirche und Staat jeweils bei ihrem Eigenen bleiben und sich nicht gegenseitig zu verdrängen bzw. zu ersetzen versuchen. Damit war der Kirche erlaubt, wo nötig ihre prophetische Rolle wahrzunehmen, ohne dass die Vertreter der Kirche damit als die besseren Politiker auftraten. Die Kirche stützt sich allein auf das Wort, das überzeugt und andere erreicht. Umgekehrt aber darf die Obrigkeit auch die Kirche in ihrer freien Predigt weder bekämpfen noch beschränken.“

Vom Wesen her handeln

Das Wesen der Kirche muss ihren Auftrag bestimmen: dass die Gemeinschaft der Christen „durch die Verkündigung von Gottes Wort auferbaut und erneuert wird“. Wolfgang Huber erwähnte die Frequenz der Predigten in Bullingers Zürich (12 jede Woche allein im Grossmünster). Mit einer fortlaufenden Auslegung der biblischen Bücher zeigte Bullinger „was auch im Zentrum kirchenleitenden Handelns steht: die Verkündigung des Evangeliums, die Anleitung zu evangelischer Bibelfrömmigkeit. Diese Grundaufgabe gewinnt heute neue Aktualität.“

Andere Erwartungen der Menschen

Laut dem EKD-Vorsitzenden haben sich die Erwartungen der Menschen an die Kirche in Deutschland deutlich verschoben: „Drei Erwartungshaltungen treten in den Vordergrund: Die Begleitung der einzelnen und der Familien an den Krisen- und Knotenpunkten des Lebens, die Zuwendung zu den Menschen in persönlicher oder sozialer Not und schliesslich die Eröffnung eines Raums zur Begegnung mit dem Heiligen, die Hilfe bei der Zwiesprache mit Gott, der Zugang zur Sprache des Glaubens.“ Anderes wie das gesellschaftspolitische Engagement der Kirche, ihr Wächteramt, oder „die Verbindung zwischen Glauben und Kultur“ stehe nicht mehr im Vordergrund.

Mehr als Werte vermitteln

Pointiert nahm Wolfgang Huber Stellung zu dem Auftrag, der Kirchen heute von Politikern (in derselben Feier Bundesrat Moritz Leuenberger) am ehesten zugesprochen wird: Werte zu vermitteln. „Die Kirchen können sich jedoch gerade heute nicht mehr auf die Frage nach moralischen Massstäben beschränken, sondern müssen ihre spezifische religiöse Kompetenz zur Geltung bringen. In einer Zeit, in welcher der christliche Glaube nicht nur im Osten, sondern auch im Westen Mitteleuropas seine Selbstverständlichkeit verloren hat, ist es für uns als Kirche eine zentrale Zukunftsaufgabe, das Glaubensthema ins Zentrum zu rücken.“

Menschen sollen Christen werden

Huber fuhr fort: „Vom Glauben und seiner Freiheit müssen wir wieder so reden, dass wir auch diejenigen Menschen anrühren und überzeugen, die ohne Berührung mit dem christlichen Glauben aufgewachsen sind oder die den Zugang zu ihm über die Jahre verloren haben. Glaubensweckende Sprachmächtigkeit: sie ist sehr zu wünschen. Wenn wir sie wieder entwickeln wollen, dürfen wir nicht in der Selbstsäkularisierung befangen bleiben, die den Weg der Kirchen in West- und Mitteleuropa in den letzten Jahrzehnten geprägt hat, den Weg der protestantischen Kirchen zumal.“

…und Christen bleiben

Wolfgang Huber erwartet viel von geistlichen Aufbrüchen: „Aus glaubensweckender Sprachmächtigkeit muss dann aber auch glaubensstärkende Sprachfähigkeit entstehen. Dass Menschen für ihren Glauben Sprache finden, ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass sie Christ werden und Christ bleiben können.“

Bullinger-Jubiläum in Zürich: www.der-nachfolger.ch

Quelle: Livenet/SEK

Datum: 16.06.2004
Autor: Peter Schmid

Werbung
Livenet Service
Werbung