„Wenn es keinen Gott gäbe wäre alles erlaubt“

Ältester Sohn des letzten Kaisers von Österreich und Königs von Ungarn.

Die Aussage, mit dem 11. September 2001 sei eine gewandelte Welt entstanden, hat sich als wahr erwiesen. Dies ist die Folge der technischen Veränderungen sowie der Machtverschiebungen, vor allem aber auch der Einstellung der Regierungen gegenüber dem für sie doch neuen Phänomen des weltweiten Terrorismus.

Es ist festzustellen, dass hier die Massenmedien nicht gerade hilfreich waren. Es hat sich leider wieder einmal gezeigt, dass schlechte Nachrichten „gute Nachrichten“ für diejenigen sind, die ein Ereignis sensationsgierig kommentieren. Es ist viel leichter, über Negatives zu schreiben, als darüber, was positiv an Leistungen erreicht wird.

Gegen diesen Hintergrund heben sich Tatsachen ab – und die Einsicht, dass sich in der Welt vieles geändert hat. Da steht an erster Stelle die Erfahrung, dass – für alle weithin sichtbar – die USA heute die einzige Supermacht in der Welt sind. Es ist ein Glück für uns, dass gerade in dieser Zeit die USA eine verantwortliche Regierung haben, die ausserdem auch moralisch schon darum vertrauenswürdig ist, weil Präsident Bush gewagt hat, etwas zu tun, was gegen den Zeitgeist ist: Er hat seine Arbeit mit einem Gebet angefangen.

Christentum wirkt gegen zerstörerische Instinkte

Dies ist nicht nur eine rein religiöse Feststellung. Es ist mit Recht gesagt worden, dass – wenn es keinen Gott gäbe – alles erlaubt wäre. Das Christentum ist die stärkste Bremse, die es gegen zerstörerische Instinkte der Menschen gibt, und auch jene Kraft, die tatsächlich zu guten Handlungen führt. Dies ist um so wichtiger in einer Zeit, in der es in allzu vielen Ländern einen Verfall der religiösen Einstellung – zumindest der Massen – gibt.

Nicht religiös verankerte geistige Werte helfen indes in kritischen Zeiten wenig. Bezeichnend dafür war ein Prozess, der in Barcelona gegen jene Straftäter angestrengt wurde, die unter dem Vorwand des Kampfes gegen die Globalisierung eine gewalttätige Aktion organisierten, die grossteils mit Brandlegung und Räubereien verbunden war. Noch bevor diesbezüglich die Verhafteten vor ein Gericht gebracht werden konnten, haben bereits die Advokaten der Globalisierungsgegner einen Prozess gegen die Behörden und die Polizei eingeleitet, weil diese eingeschritten waren, um die Gewalttätigkeit zu verhindern. Man habe damit die Menschenrechte der Chaoten eingeschränkt und das sei sträflich. Es ist bezeichnend für die Verdrehung der Begriffe, dass dieser Prozess nicht nur angenommen, sondern auch tatsächlich geführt wurde.

Problematische Machtfülle

Nicht weniger bezeichnend ist die allgemeine Sorge, wie die Welt überhaupt weiterbestehen kann, wenn am Schluss nur mehr eine Macht auf Erden übrig bleibt – nämlich die USA. Dabei sollte man eigentlich beruhigt sein, dass diese einzigartige Stellung in die Hände von Amerikanern gefallen ist, die, wie Präsident Bush, moralisch und religiös fest verankert sind. Allerdings, wer im Laufe des Zweiten Weltkrieges mit führenden Staatsmännern zu tun hatte, muss ernste Sorgen haben. Auf die Dauer verträgt ein Mensch nur dann die weitgehend unbeschränkte Macht, die ein Krieg gibt, wenn er tatsächlich von Jugend an auf diese Rolle vorbereitet ist.

Schutzwall gegen den Machtrausch

Dies zeigt eindeutig, dass eines der wirklichen Probleme unserer Zeit der Verfall der Religion ist. Wer überzeugt ist, er müsse einmal vor Gott Rechenschaft für seine Handlungen ablegen, hat damit einen Schutzwall gegen den Machtrausch. Die Chancen sind diesbezüglich nicht einmal so schlecht. Wenn man in der Geschichte zurückblickt, wird man finden, dass der Beginn der religiösen Krise bereits Jahrhunderte zurückliegt – in der Zeit, als die Entwicklung zum ersten Mal das einheitliche Weltbild zu zerstören begann. Es waren die Naturwissenschaften, die den ersten Schritt unternahmen. Es folgten das Recht und die Philosophie – bis in das 19. Jahrhundert, in dem praktisch der Verfall der Religion für alle sichtbar eingetreten ist. Zwar gingen die traditionsgebundenen Massen noch in die Kirchen, aber die Wissenschaft glaubte in ihrer Mehrheit nicht mehr an Gott.

In unseren Zeiten kann man die entgegengesetzte Entwicklung sehen. Die Kirchen leeren sich, aber die Wissenschaft kommt wieder zu der Erkenntnis des Schöpfers. Die Frage ist allerdings: Kommt diese Entwicklung noch zeitgerecht? Hier sind ganz besonders jene gefordert, die das Glück haben, an Gott zu glauben. Es ist nicht von ungefähr, dass heute die Kirchen immer grösseres Gewicht auf den Einsatz der Laien legen. Von ihnen und ihrer Bereitschaft wird vieles in den nächsten Jahrzehnten abhängen.

Otto Habsburg, am 20. November 1912 als ältester Sohn von Kaiser Karl I. und Zita geboren. Ab 1919 Exil. Matura in Spanien, Studium der Politik- und Sozialwissenschaften in Löwen; im Widerstand gegen Hitler; auf Einladung von Präsident Roosevelt 1940 nach Washington. 1951 Hochzeit mit Regina von Sachsen-Meinigen; sieben Kinder. 1966 erstritt er vor dem Verwaltungsgericht die Erlaubnis zur Wiedereinreise nach ÖsterreichOtto Habsburg. Seit 1973 Präsident der Paneuropabewegung; 1979–1999 CSU-Europaparlamentarier. 35 Bücher in neun Sprachen zu Geschichte, Gesellschafts-, Sozialpolitik und Europapolitik.

Autor: Otto von Habsburg

Datum: 01.11.2003
Quelle: Livenet.ch

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