"ChristNet" nahm an G8-Demonstration in Genf teil

ChrstNet-Leute während der G8-Demonstration.

Genf. Junge Christen, zusammengeschlossen im Forum "ChristNet", nahmen am in Genf an der Anti-Globalisierungs-Kundgebung teil, die anlässlich des G-8-Gipfels im französischen Evian stattfand. Die Gruppe wollte nicht zuletzt auch andere Demonstrationsteilnehmer zu gewaltfreiem Demonstrieren motivieren.

Um nicht an Glaubwürdigkeit zu verlieren, müssten selbst radikale Forderungen gewaltfrei vorgebracht werden, meinen die Verantwortlichen von "ChristNet". Demonstrationswillige aus Landes- und aus Freikirchen hatten sich an einem vorbereitenden Seminar unter Anleitung des Theologen und Friedensaktivisten Ueli Wildberger mit Strategien von gewaltlosen Einsätzen sowie mit Möglichkeiten zur Verhinderung von Gewalt auseinandergesetzt. "ChristNet" bezeichnet sich als Forum von bekennenden Christen, die sich sozial und politisch engagieren - im Zeichen der Bergpredigt mit deren Forderungen nach Gerechtigkeit, Frieden und Barmherzigkeit.

Halt dem Geldgott

"Der Herr wird sein Volk segnen mit Frieden." Die Losung aus dem Psalm 29 traf letzten Sonntag für eine Gruppe von um die zwanzig ChristNet nahestehenden ChristInnen und NichtchristInnen zu, die an der Grossdemonstration in Genf gegen den G8-Gipfel teilnahmen.

Die Teilnahme fand in drei Gruppen mit unterschiedlichen Aufträgen statt: Die Gruppe "Demonstration" nahm mit kreativen Elementen am Umzug teil. 8 "Dagobert Ducks" hielten einen Vertreter der Weltbevölkerung an der Leine und liessen sich von ihm ziehen (siehe Foto). Sie trugen Slogans wie "Es geht uns nicht nur um Geld, es geht uns auch um Knete - Halt dem Geldgott!" oder sarkastischer: "Dominiere deinen Nächsten wie dich selbst". Damit sollte das vom G8-Gipfel repräsentierte Weltwirtschafssystem kritisiert werden, bei dem eine Minderheit von reichen Ländern von einer Mehrheit armer Länder profitiert.

Ausserdem verteilte diese Gruppe den Flyer mit den Forderungen von ChristNet, mit dem die Demonstranten auch zu einem friedlichen Verlauf der Kundgebung aufrief. Bei der Ankunft am Zoll von Vallard beteiligte sich diese Gruppe erfolgreich am Organisationsdienst, um die Zollgebäude vor allfälligen Angriffen zu schützen.

Der Gewalt in den Weg stehen

Die Gruppe "Peacekeeping" - 10 Personen - hielt während des Umzugs Ausschau nach Randalierern mit dem Ziel, einen friedlichen Verlauf der Demonstration zu gewähren. Ziemlich schnell konnte eine Gruppe von etwa 100 Anarchisten ausgemacht werden, die Mietblöcke und Tankstellen angriffen. Durch direktes Anrufen, Diskussionen und wenn nötig In-den-Weg-Stehen konnte die Gewaltdynamik verschiedentlich zwar nicht aufgehoben, aber doch reduziert werden. Dabei spielte auch der offizielle Ordnungsdienst der Demonstration, sowie die vorbildliche Zurückhaltung der Polizei eine wichtige Rolle.

Die grösste Herausforderung wartete am späten Nachmittag nach Ende der Demonstration auf die Peacekeeper: In der Innenstadt standen sich Demonstranten und Polizei gegenüber. Hier galt es, sich zwischen die Fronten zu stellen, mit den Demonstranten das Gespräch zu suchen und Spannung abzubauen. Zweimal gelang es so, eine direkte Konfrontation zu vermeiden. Bei einem dritten Mal wurde es dem Ordnungsdienst zu viel. Leider war die allein zu schwach, dem Druck stand zu halten. So musste man aufgeben.

Spontaner Rückhalt

Eine dritte Gruppe, die sich im Laufe des Tages spontan in einer Privatwohnung bildete, stellte sich im Gebet hinter die gesamte Demonstration. Andere ChristInnen in der ganzen Schweiz beteten für die Aktion.

Trotz der anschliessenden Ausschreitungen in Genf und Lausanne wurde die Grossdemonstration in den Medien positiv beurteilt. Wie auch frühere Globalisierungskundgebungen, hat sie den Verdienst, den G8-Gipfel ins öffentliche Gespräch zu bringen. Ausserdem wurde die Bevölkerung der Genferseegegend ganz klar auf die Kritik der neoliberalen Globalisierung sensibilisiert. Damit ist die Demonstration ein klarer Erfolg.

Für die Gruppe rund um ChristNet ist die Bilanz geteilt. Die Gruppe "Demonstration" habe einen sehr schönen Tag mit guten Diskussionen und einem friedlichen Abschluss erlebt. "Die Möglichkeit, zusammen für ein gemeinsames Anliegen einzustehen wirkte ermutigend und förderte bei Vielen den Wunsch, ein nächstes Mal wieder in dieser Form teilzunehmen."

Die Gruppe "Peacekeeping" habe sehr wertvolle Erfahrungen mit gewaltfreien Techniken sammeln können, sei aber auch mit deren Grenzen konfrontiert worden. "Aufs Ganze gesehen war es beeindruckend, wie wenige Leute es braucht, um angespannte Situationen zu entspannen, wenn sie nur entschieden sind. Die psychische Kraft und das Gebet ersetzen dabei die Körperkraft. ChristNet habe konkret erlebt, was es heisst, Licht und Salz zu sein."

Warum ChristNet demonstrierte

Der G8-Gipfel ziehe neben den 8 mächtigsten Politikern der Welt viele mehr oder minder friedliche Demonstranten an. Sie werden Globalisierungsgegner genannt, zutreffender wäre aber Globalisierungskritiker, denn die Globalisierung selber ist nicht aufzuhalten. Entscheidend seien aber die Regeln der Globalisierung.

"Wer bestimmt? Die Macht des Geldes, der grossen Konzerne, der reichen Länder? Oder die Menschen, die betroffen sind, nach demokratischen Regeln?". frägt ChristNet.

In der Welthandelsorganisation (WTO) würden im Moment Weltwirtschaftsregeln ausgehandelt, wo die demokratisch gewählten Regierungen und die Bevölkerungen zu weiten Bereichen wie Gesundheitswesen, Schulen, Eisenbahn und Grundversorgung wie Wasser, Strom und so weiter nichts mehr zu sagen hätten.

Seit 1975 spiele der G8 eine zentrale Rolle bei der Entscheidungsfindung des IWF, der Weltbank und der WTO. Dabei werde unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ohne jegliche Transparenz verhandelt.

Die dabei getroffenen Entscheide seien sogenannte "Gentlemen's Agreements", das heisst persönliche Verpflichtungen der Staatschefs ohne jegliche parlamentarische Kontrolle.

Dabei würden vor allem die Interessen der multinationalen Unternehmungen und der durch die 8 vertretenen Industriestaaten berücksichtigt.

Die Forderungen des G8 seien oft ideologisch und würden in Richtung Liberalisierung und Privatisierung gehen. Dadurch werde das Recht des Stärkeren und die Geldlogik immer stärker verankert und universell gemacht.

ChristNet ist davon überzeugt, dass eine Gesellschaft, die auf der Unterdrückung der Schwächsten und der Ärmsten beruht, der Bestimmung des Menschen nicht gerecht werde.

Forderungen: Demokratie und Transparenz

o Für eine demokratische Kontrolle der Finanzmärkte und der Multis!

o Stop der Verhandlungen im G8 und in der WTO über die Totalliberalisierung und Privatisierung des Service Public: Wir haben unseren Regierungen kein Mandat dazu gegeben!

o Mehr Mitsprache für die Entwicklungsländer am G8 und in der WTO, die heute kein Geld haben, sich genügend mit den Themen auseinander zu setzen.

o Demokratisierung des IWF und der Weltbank, die im Moment alleine von den Industrieländern beherrscht werden.

o Öffentliche Diskussion und demokratische Mitsprache der Bevölkerung zur Politik des G8, des IWF, der Weltbank und der WTO.

Terrorismus und Krieg im Irak
o Zuerst muss die Ungerechtigkeit benannt und bekämpft werden!

o jegliche Verhandlung mit den USA und Grossbritannien, die sich nicht mit dem Krieg im Irak befasst, aufgegeben wird;

o der Wiederaufbau im Irak unter der Oberaufsicht der UNO erfolgt, damit er demokratisch und vom irakischen Volk bestimmt verläuft und nicht wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen der Grossmächte dient.
Politik des G8, FMI, der Weltbank und der WTO

o Ende der Austeritätspolitik des IWF, der ganze Völker in die Not treibt.

o Stop der Wasserprivatisierung: in Entwicklungsländern wird auf Druck und Zwang des IWF und der Weltbank in vielen Ländern die Wasserversorgung privatisiert. Inzwischen sind Millionen von Armen von der Wasserversorgung ausgeschlossen, weil die privatien Konzerne die Preise für das Wasser in unbezahlbare Höhen getrieben haben! Täglich sterben Tausende von Kindern, weil sie an Krankheiten sterben, die die Ursache in unsauberem Wasser haben.

Wie Silvia Hyka die Demonstrationen erlebte

"Endlich zu Hause, müde, zufrieden und trotzdem ein bisschen ‚verkatert'. Die verbarrikadierten Geschäfte in Genfs Innenstadt, die Polizeipräsenz und die Ausschreitungen der vergangenen Nacht haben Spuren hinterlassen, die auch eine schöne, sehr weitgehend friedliche Demonstration nicht auslöschen konnten. Ausserdem ist da auch die Angst vor dem, das noch kommen könnte.

Um zum Treffpunkt um acht Uhr hinter dem Bahnhof Genf zu gelangen, habe ich mit meinem Mann zu Fuss die ganze Innenstadt durchquert. Es ist fast gespenstisch still, kein Mensch am Bahnhof, im ‚Jardin Anglais' (Treffpunkt der Demo)... Was ist hier los?

Als ich gegen neun Uhr in einer Gruppe von rund 20 Personen wieder im Jardin Anglais ankommen, sind schon etliche Demonstranten versammelt. Die Stimmung ist festlich, erste Sprechchöre werden geübt, Traktate verteilt.

Ich nehme als Teilnehmerin an der Demo teil und geniesse das Verteilen von Traktaten, die unsere Anliegen präsentieren sowie zu Gewaltfreiheit aufrufen, an die Zuschauer. Die anfängliche Angst vor der Masse ist der Freude über das Zusammensein gewichen. Es tut gut zu merken, dass man mit seinen Anliegen nicht alleine ist. Am Zoll ‚Thônex-Vallard' angekommen verrichte ich mit anderen eine Art Ordnungsdienst, der recht gut abläuft. Die Teilnehmer sind friedlich, es gibt keine grösseren Zwischenfälle, soweit ich sehe. Ich bin sehr erleichtert und dankbar und merke insgeheim, dass ich nicht mit einem solchen Verlauf gerechnet habe.

Zu Hause kommen erste Fragen auf, Frustration macht sich breit. Ich denke, dass die am G8 vertretenen Staatschefs uns sowieso nicht ernst nehmen. Wozu also all dieser Aufwand? Ich bin ärgerlich, dass Volksvertreter sich so wenig um die Meinung des Volkes kümmern.

Vielleicht bin ich auch ein wenig frustriert, weil Slogans und Sprechchöre notwendigerweise kurz sein müssen. Es sind Forderungen, die gut und richtig sind, aber welches ist der Weg zum Ziel? Ein bisschen Enttäuschung mischt sich in meine Gefühle, weil halt eben kein ‚Wunder' geschehen ist. Die Welt hat sich, sichtbar, nicht verändert auf diesen acht Kilometern.

Ich versuche, mit meinen Gefühlen klar zu kommen. Gesellschaftliche Veränderungen brauchen Zeit, Geduld und vor allem tägliches Gebet und Engagement. Es geht nicht an, dass wir einmal im Jahr demonstrieren gehen, aber sonst weiterhin von dieser Gesellschaft profitieren, auf Kosten der Armen und Ärmsten. Eigentlich muss ich jeden Tag meine Solidarität und meinen Willen ‚demonstrieren'.

Aber ja, ich werde wieder an solchen Grossveranstaltungen teilnehmen, wenn... Wenn eine solche intensive Auseinandersetzung mit dem Thema stattfindet wie in den vergangenen Monaten. Wenn im Hintergrund gebetet und gefastet wird und Gott stark im Zentrum des Engagements steht. Ich denke, dass wir mit verschiedenen Artikeln in Genfer Zeitungen, mit unserem Vorbereitungstag und auch den verteilten Traktaten Menschen erreichen konnten. Es ist mir persönlich sehr wichtig, in dieser Gesellschaft Salz und Licht zu sein, präsent zu sein. Ich möchte den Menschen um mich herum zeigen, dass Christen sich interessieren und sich für die Gesellschaft einsetzen. Sich zur Gesellschaft ‚umkehren' ist für mich eine Frucht meiner Bekehrung zu Gott.

Und was hat der G8-Gipfel denn schliesslich gebracht? Ich weiss es nicht. Vielleicht hat die Genfer Tageszeitung ‚Le Temps' recht, wenn sie vom ‚Gipfel der Bedeutungslosigkeit' spricht. Tatsache ist aber, dass die Privatisierungsbestrebungen im Bereich der öffentlichen Dienste, des Wassers, der Elektrizität weitergehen werden und das dies verheerende Auswirkungen haben wird, auch auf unser Land.

Ich hoffe sehr, dass die Teilnahme von Christen (wir waren nicht die einzigen!) an solchen Anlässen die Kirche aufrüttelt und wir wieder vermehrt unsere sozial-politische Verantwortung wahrnehmen. Die Menschen um uns herum brauchen uns!"

Datum: 07.06.2003

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