Religion wird zur Legitimierung von Gewalt missbraucht

Gewalt und Religion

Hannover. Die Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat auf die Bedeutung der Religion bei gewaltsamen Konflikten hingewiesen. Religiöse Identität könne zur Legitimierung von Gewalt missbraucht werden, sie enthalte aber auch ein Potenzial zur Wahrung und Wiederherstellung des Friedens, heisst es in einer Studie der EKD-Kammer für Entwicklung und Umwelt. Es sei wichtig für den Dialog, ob Religionsführer zur Versöhnung oder Verschärfung von Konflikten beitrügen.

Die Anschläge vom 11. September hätten gezeigt, "wir sehr wir selbst mit scheinbar weit entfernten gewaltsamen Konflikten verwoben sind", schreibt der EKD-Ratsvorsitzende Manfred Kock im Vorwort der Studie mit dem Titel "Richte unsere Füsse auf den Weg des Friedens". Dabei sei auf dem Balkan und in Afghanistan deutlich geworden, dass "militärische Interventionen im Grunde nur wenig beisteuern können, um dauerhafte Lösung zu gewährleisten".

Mehr innergesellschaftliche Konflikte

Im Jahr 2000 wurden der Studie zufolge insgesamt 35 Kriege geführt, davon alleine 13 in Afrika. Brennpunkte der Gewalt auf dem Kontinent seien die Bürgerkriege in Westafrika, die Konflikte in Kongo und am Horn von Afrika. Weltweit habe die Zahl der zwischenstaatlichen Kriege kontinuierlich abgenommen, seit 1945 seien 83 Prozent aller Kriege innergesellschaftliche Konflikte gewesen. In den vergangenen Jahren seien die Todesopfer zu 90 Prozent Zivilisten gewesen. Terrorakte wie die Vergewaltigung von Frauen und das Niederbrennen von Dörfern gehörten zur Strategie der Konfliktparteien.

Zur Reduzierung der Gewalt sei eine "wirksame Kontrolle des Handels mit Produkten nötig, die aus Kriegszonen stammen und zur Finanzierung von Kriegen genutzt werden", heisst es in der Untersuchung. Wichtig sei es zudem, Gruppen in der Bevölkerung zu unterstützten, die nicht aktiv an Gewalttätigkeiten beteiligt seien. Diese Möglichkeit werde von kirchlichen Hilfsorganisationen und entwicklungspolitischen Initiativen genutzt.

Die Studie geht der Frage nach, was Christen tun können, um die gewaltsame Austragung von Konflikten zu vermeiden. Untersucht wird dabei die Rolle von Religionen bei aktuellen Kriegen und die Ursache und Folge des Zerfalls staatlicher Strukturen vor allem in Afrika.

Wort zur Nachricht
Mord und Terror gehören nicht zur Morallehre der grossen Weltreligionen. Doch immer wieder töten Gläubige - motiviert durch religiösen Wahn, aufgehetzt von fanatischen Priestern. Die Anschläge im Namen Allahs gegen die USA haben eine lange Tradition. Auch der jüdische Extremist Jigal Amir glaubte im Namen Gottes zu handeln, als er Israels Premier Yitzhak Rabin erschoss. Religiösen Fanatismus hat es zu allen Zeiten und in allen Glaubensrichtungen gegeben.

Alle grossen Weltreligionen verurteilen Hass, Gewalt, Mord und Krieg. Nichtsdestotrotz bleiben alle Religionen faktisch hinter ihren eigenen Ansprüchen zurück. Anspruch und Wirklichkeit prallen hart gegeneinander. Irland und Bosnien dürfte es eigentlich nicht geben. Aber auch nicht den Kampf zwischen Hindus und Muslimen in Indien oder Terrorakte muslimischer Fundamentalisten.

Fast immer machen solche Konfliktherde deutlich, dass der Kern der Konflikte soziale, nationale, kulturelle und historische Ursachen hat. Es geht um Privilegien und Diskriminierung, um den Wunsch nach Arbeit, Gleichheit, besseren und gerechteren Lebensbedingungen. Die Religionen werden regelmässig missbraucht, um Machtinteressen ideologisch zu überhöhen, die Motivation der "Kämpfer" (der nützlichen Idioten) zu stärken, damit sie im Glauben an eine angeblich gute oder gar heilige Sache bereitwilliger ihr Leben hingeben.

Entgegen dem, was Religionsgegner oft behaupten, ist es nicht die Überzeugung, die Wahrheit zu kennen oder gar zu besitzen, die Religionen heute zu Intoleranz und Gewalt verführt, und auch nicht der Anspruch auf den Zugang zu der alleinigen und vollständigen Wahrheit. Toleranz setzt in keiner Weise Meinungs- und Überzeugungslosigkeit voraus, im Gegenteil. Was die Religionen in Gefahr bringt, zu Gewalt zu greifen, ist die irrige Auffassung, die Wahrheit dürfe jemandem unabhängig von seiner inneren Einstellung zu ihr aufgezwungen werden. Jede Religion sollte deshalb auch die Religionsfreiheit praktizieren.

Quelle: epd/Livenet

Datum: 03.10.2002

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