Heilsarmee-General

„Es braucht eine Revolution“

Es geht ums Heil der Seele – und um den Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit. Im Gespräch mit Livenet gibt sich Shaw Clifton, der neue General der Heilsarmee, ebenso nüchtern wie sendungsbewusst. Er ist entschlossen, gegen Frauenhandel und Zwangsprostitution anzukämpfen, auch den Mächtigen auf die Finger zu klopfen.
„Wenn die Heilsarmee auftritt, vertreten wir Gott“: Shaw Clifton.
Laut UNICEF-Schätzung werden jährlich weltweit eine Million Kinder entführt, verkauft und zur Zwangsarbeit oder Prostitution gezwungen.
Mit diesem Logo macht die Heilsarmee international auf die Not von Frauen aufmerksam.
Vertriebene sind besonders gefährdet: Kinder im Norden Ugandas.
Die Reichen mit ihrer Verantwortung konfrontieren: das Podium der Heilsarmee vor dem Hauptsitz der Schweizerischen Nationalbank.
Stärke durch Tradition: General Clifton bei seiner Ansprache auf dem Berner Bundesplatz…
…und im Gottesdienst in der Festhalle.
Jeder Einzelne ist wichtig: Begrüssung an der Türe.

Auf Mitte Jahr richtet die Heilsarmee in New York – nahe beim UN-Glaspalast – eine permanente Kommission für soziale Gerechtigkeit ein. Sie soll bei den internationalen Organisationen die Einhaltung der Menschenrechte einfordern. General Clifton steigt in alte Stiefel: „Der Kampf gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution gehört sozusagen zur DNA der Heilsarmee. 1885 drängten wir das britische Parlament, das Schutzalter auf 15 Jahre anzuheben. Man wollte im viktorianischen England nicht wahrhaben, dass weisse Sklaven verkauft, Mädchen verschachert und auch über den Ärmelkanal transportiert wurden. Die Heilsarmee brachte diese Praktiken ans Licht; darauf hob das Parlament das Schutzalter gar auf 16 Jahre an.“ Bis heute hat diese Gesetzesbestimmung (age of consent) in Grossbritannien Gültigkeit.

Auch gegen die Mafia

Mit der Globalisierung wachsen der Heilsarmee, mittlerweile in 112 Ländern tätig, neue Aufgaben zu. Clifton, seit Frühjahr 2006 oberster Befehlshaber der Heilsarmee: „In vielen, vielen Ländern treten wir gegen Menschenhandel an, obwohl wir dabei Risiken eingehen, denn das organisierte Verbrechen betreibt diese Geschäfte.“ Die Salvation Army arbeitet eng mit Polizeistellen zusammen. Sie gewährt Opfern Unterschlupf; einige Frauen konnten auch schon in ihre Heimatländer zurückgebracht und dort betreut werden.

In Krisengebieten

Der grossgewachsene Brite , Sohn von Heilsarmee-Offizieren, weiss, wovon er spricht. Er studierte Theologie und Jura und beriet das Londoner Internationale Hauptquartier der Heilsarmee in Rechtsfragen. In den 70er Jahren wirkten Shaw und Helen Clifton in Rhodesien, als das Land in Aufruhr war und sich zu Simbabwe wandelte. 1997-2000 leiteten Cliftons die Heilsarmee im unruhigen Pakistan, worauf sie mit dem Kommando über Neuseeland, Fidschi und Tonga betraut wurden. Seit 2004 kommandierte das Ehepaar die Army in Grossbritannien und Irland. Mit einer Ethik-Arbeit über die Tätigkeit der Heilsarmee in Kriegszeiten hat Shaw Clifton in London einen Doktorhut erworben.

Warum bricht die Gesellschaft auseinander?

Die neue ‚International Social Justice Commission’ unterstreicht den Willen der Heilsarmee-Leitung, nicht nur Bedürftigen zu dienen, sondern auch für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen: „We make a distinction between social service on the one hand and social action on the other.“ Die Heilsarmee wolle sich nicht nur der Folgen und Symptome einer zerbrochenen Gesellschaft annehmen, sondern auch den Ursachen nachgehen. „Warum werden Menschen zu Opfern? Warum wächst die Kluft zwischen Armen und Reichen immer weiter? Wir wollen das Risiko eingehen, die tieferen Ursachen ergründen. Und manchmal werden unsere Folgerungen gewissen Leuten nicht passen.“

Ende September 2006 hat die Heilsarmee an einem Aktionswochenende international zum Gebet für die Opfer von Frauenhandel aufgerufen. (Der Schweizer Zweig, den General Clifton zum 125-Jahr-Jubiläum in Bern besuchte, unterstützt die Prävention von Menschenhandel auf den Philippinen.) Die Heilsarmee werde nicht jeden Kampf kämpfen, sagt ihr General, dafür reichten ihre Kräfte nicht. „Aber in vielen Teilen der Welt sprechen wir bei Landes- und Provinzregierungen vor. Wir drängen diskret auf Massnahmen, ohne anzuprangern – wenn sich so Fortschritte erzielen lassen. Wenn nicht, treten wir in die Öffentlichkeit.“

Diplomatie und…

Die neue Kommission soll die weltweiten Bemühungen der Heilsarmee in New York, Genf und Wien koordinieren und sie nach aussen wirksam vertreten. Gesellen sich die Salutisten zu den Lobbyisten? Lächelnd meint Shaw Clifton, dass man nach einem gediegenen Lunch ernste Angelegenheiten eher ansprechen könne. „Beim Tee sagen wir: ‚Nun müssen wir über etwas sehr Wichtiges sprechen. Vielleicht ist es Ihnen unangenehm.’ Und dann lächeln wir und senden ein Gebet zum Himmel, bitten Gott, dass er uns hilft, das Richtige in seinem Namen richtig zu sagen.“

…unmissverständliche Worte

Wie steht der Heilsarmee-General zum Wohlstand in den westlichen Ländern? „Reichtum ist wunderbar, wenn er unter Gottes Leitung richtig eingesetzt wird, wenn wir die Mechanismen zur Wohlstandsvermehrung und unseren Unternehmergeist der Herrschaft von Jesus Christus unterstellen. Dann wird Reichtum grossartige, segensreiche Wirkungen in der Gemeinschaft entfalten.“ Doch es läuft anders, und Clifton fragt: „Wie können wir als hoch entwickelte westeuropäische Gesellschaften Gott in die Augen sehen, wenn wir um den Schmerz und die Pein Afrikas und Asiens wissen? Wie lange werden wir noch über Armut reden, wenn wir sehen, dass Reden zu nichts führt?“

„Wir vertreten Gott“

Dringend plädiert der General für eine sinnvolle Entschuldung armer Länder, auch für den wirksamen Schutz lokaler Märkte vor billiger internationaler Massenware. „All dies muss angegangen werden. Es braucht dafür eine Revolution.“ Wird die Heilsarmee dies auch in Machtzentren wie Peking vorbringen? „Wir werden mit jedermann überall über alles reden. Aber man muss wissen: Wenn die Heilsarmee auftritt, vertreten wir Gott. Wir stehen nicht für uns selbst. Wir sprechen für die Sprachlosen, an den Rand Gedrängten, Leidenden. Dies vorausgesetzt, werden wir überall jederzeit mit jedermann reden.“

Die drei S

Mit dem hohen Anspruch des Ethikers und Sozialaktivisten Clifton verbindet sich der eindringliche Appell des Geistlichen. In Ansprachen vor Offizieren hat der 61-jährige General die geistliche Berufung seiner Organisation mit drei S umrissen: Sie solle „Salvation Army, Sanctified Army and Sensible Army“ sein: eine Armee Gottes, die Menschen zum Heil hilft, die selbst von seiner Heiligkeit geprägt und zugleich sensibel ist für neue Aufgaben.

Salvation: es geht um das Heil von Menschen, nichts weniger, um die Rettung ihrer Seele für Zeit und Ewigkeit. Alles karitative und soziale Wirken darf über dieses oberste Ziel nicht hinwegtäuschen, unterstreicht der General. Sanctified: Die Heilsarmee entstand auf dem Boden der englischen Methodistenkirche; sie wurde geprägt durch deren Streben nach anhaltender charakterlicher Besserung der Persönlichkeit (die von Christus in der Umkehr erneuert wird) und einem gottgefälligen Leben. Indem sie sich Gott täglich unterstellen, sollen Salutisten einen „sanctified common sense“ entwickeln, einen von ihm geleiteten gesunden Menschenverstand.

Flexibel reagieren

Mit dem dritten S (Sensible) spricht der General das Managment an: Neue Aufgaben und Möglichkeiten sind wahrzunehmen und Abläufe, die sich überlebt haben, loszulassen. Auf eine Nachfrage erklärt Clifton, dass die Offiziere (Vollzeiter) der Heilsarmee sich aufs Wesentliche, die geistliche Arbeit mit Menschen, konzentrieren und von administrativem Kleinkram entlastet werden sollten.

Kraft aus dem Gehorsam

Der Preis für die Treue zum Auftrag Gottes sei zu zahlen. Dazu gehöre eine klare Sprache, heute wie zur Gründerzeit: „Wir müssen von Sünde reden – auch wenn dies nicht zeitgemäss ist. Wenn Sie eine Woche in einem unserer Innenstadt-Korps leben, sehen Sie die zerstörerische Wirklichkeit der Sünde.“ Clifton scheut sich nicht, einen der drastischen Bibelverse zu zitieren: „Satan geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht Menschen zu verschlingen.“ Und hält fest: „Die Durchschlagskraft der Heilsarmee erwächst aus unserer Nähe zu Gott, unserem Gehorsam – auch wenn dieser uns auf einsame Wege führt.“

Website der Schweizer Heilsarmee
Website des Internationalen Hauptquartiers

Datum: 24.05.2007
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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